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Anne hieß das Mädchen‹, stand es da schlicht geschrieben. Immer wieder lies sich Paddy Thomas' Nachricht durch, die er vor zwei Stunden bekommen hatte – aber erst seit wenigen Minuten richtig verstehen konnte. Was er damit anfangen sollte, wusste er jedoch immer noch nicht. Aufseufzend schloss er nur den Chat und scrollte nach dem einen, der innerhalb der letzten Woche viel zu weit nach unten gerutscht war.

Mit verzogenen Mundwinkeln betrachtete er dann Marks ›Dümpel kommende Woche im Süden rum. Vielleicht willst du ja drüber reden‹ und das ›Okay. Gut‹, das Mark ihm geschrieben hatte, nachdem Paddy ihn über Thomas' Besuch informiert hatte. Diesen ganzen Sonntag lang hatte er sich nur kaum zusammenreißen können und auch erst gegen Mitternacht auf Marks indirekte Frage mit einem vagen ›We'll see? The week's gonna be busy‹ reagiert.

Nachdem Thomas gegangen war, war er einfach nicht mehr mit sich klargekommen. Er hatte so viel nachgedacht, bis er nicht mehr klar hatte denken können; er hatte so lange vor der Haustür gestanden, bis er es mit den Kopfschmerzen nur noch auf die Couch geschafft hatte. Später am Abend war er dafür in die Kirche gegangen und hatte alles beichten wollen. Aber dann hatte er keine zehn Minuten mit Tränen in den Augen auf einer der hintersten Holzbänke gekauert, bis er zu dem Entschluss gekommen war, dass er das einfach nicht konnte, vielleicht nicht sollte und auch nicht musste.

Er mochte Mark – wie er einen Freund nach all dem geteilten Trauma mögen sollte. Alles andere war von dem Weed und Whiskey abhängig und somit nicht seine eigene hundertprozentig bewusste Entscheidung gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass er Mark immer nur in Ausnahmesituationen nähergekommen war – in Situationen, wo so viel von seinem schlechten Gewissen und von seiner Trauer, Wut oder Verzweiflung zwischen ihnen gestanden hatte. Nie hatte er sonderlich an Mark gedacht, als er wirklich mit sich und Junia im Reinen gewesen war – wie im letzten Spätsommer bis in den tiefen Herbst. Und dementsprechend konnte er sich auch nicht sonderlich schlecht fühlen, während er Marks ›Okily dokily‹ las, das er die ganze vergangene Woche unbeantwortet gelassen hatte.

Die letzten Tage mit den vorerst letzten Konzerten waren wirklich zu busy gewesen, und er hatte immer noch nicht mit Junia geredet, geschweige denn sie gesehen. Er wollte nichts provozieren, indem er Mark schrieb oder ihn traf und mit ihm redete – wenn es auch eigentlich nichts zu bereden gab. Mark wollte er immer noch nicht in sein wirres Verhalten hineinziehen und auch nur ansatzweise vermitteln, er hätte irgendein Interesse abseits ihrer seltsam unbeständigen Freundschaft an ihm entwickelt. Diese seltsam unbeständige Freundschaft in ihren Höhen und Tiefen wollte er einfach nicht verlieren – besonders nicht, wenn sie die zweite Hälfte des Jahres bei The Voice of Germany so viel Zeit miteinander verbringen würden.

Seufzend schob Paddy all das nur weit von sich weg, sah noch einmal zur Uhrzeit und überbrückte die nächsten fünf Minuten, indem er sein Handy wieder wegsteckte und den großen Blumenstrauß betrachtete. Mittig und vor ihm auf dem Esstisch stand die Glasvase mit den unzähligen weißen, orangefarbenen und roten Gerbera und irgendein anderes Strauchgedöns. Ein wenig rückte er Junias Lieblingsblumen zurecht, sodass die schönste Seite ihrem Platz zugewandt war, und wollte gar nicht mehr daran denken, wie viele Nerven es ihm heute gekostet hatte, den Strauß gegen Abend noch aufzutreiben.

Gerade nach einer weißen Gerbera greifen wollend, kam ihm nur wieder und wieder diese zynische Frage in den Sinn, warum er so viel mehr bei Marks Kuss als bei Thomas' gefühlt hatte. Aufstöhnend brauchte er dann nur keine Sekunde, um sich abermals klarzumachen, dass er Thomas nun mal viel länger und viel besser kannte und Thomas nicht Mark war – und vor allem nicht schwul. Da lag der Unterschied an seinen Reaktionen – und dann war er es sich auch ein für alle Mal Leid, sich einzubilden, dass er irgendwelche Gefühle für Mark entwickelt hatte.

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