Aufbruch

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Träge stapfte ich neben Karliah durch den Schnee. Die Festung, die mein Vater mit seinen Leuten bewohnte, lag schon vor uns. Nachdem wir es geschafft hatten, durch einen Felsspalt in der Decke des Heiligtums aus Irknthand zu entkommen, hatte die Nachtigall darauf bestanden mich zu begleiten. Sie wollte sicherstellen, dass ich auch ja lebendig ankäme. Zwei Tage waren wir etwa unterwegs gewesen, in denen ich weder gegessen noch geschlafen hatte. Karliah hatte Mercers Dolch aus meiner Seite entfernt und die Wunde notdürftig versorgt. Immer wieder betonte sie, wie wichtig es sei, dass die Wunde bald ausreichend versorgt würde, doch ich fragte mich nur, wieso Mercer zu unfähig gewesen war mich zu töten. Jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, sah ich Brynjolf vor mir. Wie er mich das letzte Mal angelächelt und mir seine Liebe bekundet hatte, wie das Leben seinen Körper verlassen und er sich für immer verabschiedet hatte. Sein Blut klebte noch immer an meinen Händen, auch wenn Karliah versucht hatte es mir abzuwaschen. Das war alles, was ich noch von ihm hatte. Sein Körper würde für immer in dieser gefluteten Kammer umhertreiben, nicht einmal anständig bestatten konnten wir ihn. Er war weg, einfach weg. Nichts war mehr von ihm übrig. Nicht einmal wirklich weinen konnte ich um ihn. Ich fühlte mich weder traurig, noch wütend, noch spürte ich den Schmerz in meiner Seite. Ich war wie ein leeres Gefäß. Am liebsten wäre es mir aber, jemand würde dieses Gefäß auf den harten Erdboden werfen. Wozu sollte ich noch am Leben bleiben?

,,Saphir, seid Ihr es wirklich?" hörte ich die Stimme meines Vaters aus dem Hof schallen, als wir das Tor erreichten. Sofort eilte der Bosmer auf uns zu, blieb stehen und sah uns prüfend an. ,,Euer Freund Rodrik hatte mir erzählt, Ihr würdet zu dritt erscheinen. Wo ist denn Euer dritter Mann geblieben?" Ich schüttelte bloß langsam den Kopf und sah ihn teilnahmslos an. Unsicher warf er Karliah einen Blick zu. Diese räusperte sich und erläuterte: ,,Brynjolf ist im Kampf gegen den Feind gefallen. Aber nicht nur er, sondern auch Eure Tochter wurde verletzt," sie deutete auf die Einstichstelle an meinem Harnisch ,,ihre Wunde muss versorgt werden." ,,Ist nicht so schlimm" meinte ich kalt. Vielleicht hoffte ich auch nur darauf, doch noch dem Wundfieber zu erliegen. Hilflos blickte mein Vater zwischen uns hin und her, bis Karliah wieder das Wort ergriff: ,,Hört zu. Sie ist gerade nicht sie selbst. Sie muss medizinisch versorgt werden!" dann wandte sie sich an mich ,,Denkt daran Saphir, Ihr habt ein Versprechen abgegeben, das werdet Ihr auch halten. Ich werde mich um das Dämmergrab kümmern und erwarte Euch bald in der Zisterne." Sie klopfte mir noch einmal auf die Schulter. Dann drehte sie sich um und stapfte fort. ,,Ihr könnt auch ein Pferd nehmen!" rief mein Vater ihr hinterher, doch scheinbar hatte sie daran keine Interesse. Ausdrucklos starrte ich ihn an, er schien nach Worten zu ringen. Er ergriff meine Hand, ließ sie dann aber wieder los, nachdem ich nicht reagiert hatte. Nachdenklich scharrte er mit dem Fuß im Schnee, bis er schließlich etwas hervorbrachte: ,,Wollt Ihr nicht hineinkommen? Wir kümmern uns um Eure Wunde und Ihr könnt Euch stärken. Eure Freunde freuen sich sicherlich auch Euch zu sehen." Super, vielleicht könnte Rodrik meinem Leiden ja ein Ende setzten, wenn ich ihn darum bitten würde. Ich nickte abwesend und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Mein Vater legte einen Arm um meine Schulter und warf mir mitleidige Blicke zu, doch ich blendete ihn aus. Als wir die düstere Burg betraten, musste ich daran denken, wie wir damals mit Vilkas hergekommen waren. Nicht, dass ich ihn vermisste, aber damals schien alles noch irgendwie einfacher zu sein. Wäre ich bloß weiter bei den Gefährten geblieben und hätte niemals das Geheimnis um meinen Vater gelöst. Wer wusste denn schon, vielleicht wäre Brynjolf dann noch am Leben, wenn auch ohne mich. Als wir die Treppe hinunterliefen, begann meine Erschöpfung dann doch mich zu übermannen, und ich rutschte auf einer der Stufen aus. Gerade noch rechtzeitig hielt mein Vater mich fest. ,,Ich kann mir das so nicht ansehen" murmelte er und plötzlich lag ich auf seinen Armen. Er trug mich hinunter und bald erreichten wir einen kleinen Raum, in dem außer einem Bett, ein paar Kerzen und einem Tisch nichts zu finden war. Vorsichtig legte Nurelino mich auf diesem ab und versprach mir, bald mit einem Heiler zurück zu sein. Regungslos lag ich auf dem harten Holz und starrte gegen die Decke, an der sich bereits Moos sammelte. Tatsächlich kehrte mein Vater bald mit einem anderen Waldelfen zurück. Gemeinsam befreiten sie mich von meinem Harnisch und betrachteten die Wunde. Der fremde Bosmer beschrieb sie als leicht infektiös und bedrohlich. Also schwebte ich noch immer in Lebensgefahr. Vielleicht würde ich Brynjolf doch schon früher wiedersehen als gedacht. ,,Ich muss die Wunde schließen" sagte der Elf schließlich und verließ den Raum wieder. Mein Vater nahm meine Hand und flüsterte: ,,Verlasst mich nicht meine Liebe. Haltet durch, Ihr seid stark." Er küsste meine noch immer blutverschmierte Hand, dann kam auch schon der Heiler mit einem Sack zurück. ,,Ich kümmere mich darum, Herr. Wenn ich fertig bin, lasse ich Euch wieder zu ihr. Ich muss mich konzentrieren." Mein Vater nickte verständnisvoll, warf mir einen letzten Blick zu und verließ den Raum. Der Waldelf breitete seine Sachen auf dem Bett aus und kam zunächst mit einer grünen Flasche auf mich zu. ,,Was ist das?" fragte ich knapp. ,,Wein" entgegnete er ,,es könnte sehr wehtun, deshalb solltet Ihr etwas davon trinken. Ich schüttelte nur den Kopf. Wenigstens Schmerz wollte ich spüren können. ,,Seid Ihr sicher, meine Dame? Ich möchte Euch kein Leid zufügen." Zornig richtete ich meinen Blick auf ihn und knirschte: ,,Ich brauche keinen Wein. Los. Tut es einfach." Verängstigt wich der Heiler einen Schritt zurück. Bevor er sie weglegte, nahm er selbst noch einen großzügigen Schluck aus der Flasche, dann trat er mit einem kleinen Messer, einer Nadel und einem Faden an mich heran. Fragend sah er mich noch einmal an, doch ich gab ihm klar zu verstehen, dass er endlich loslegen sollte. Ich biss die Zähne zusammen, als er in meine Wunde schnitt, doch es tat gut. Der Schmerz tat gut. Er war das einzig wirkliche, das ich über die letzten Tage empfunden hatte. Wieder starrte ich die Decke an, während der Waldelfe irgendetwas gegen meine Seite drückte. Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, half er mir auf das Bett, verneigte sich, nahm seine Instrumente und verließ das Zimmer. Den Wein ließ er mir da, falls ich ihn zum Einschlafen bräuchte. An Schlafen wollte ich gar nicht erst denken, obwohl ich sehr erschöpft war. Ich würde sicher von ihm träumen, ihn sehen, ihn fühlen. Das konnte und wollte ich nicht ertragen. Bald klopfte es, mein Vater trat ein, in seiner rechten Hand hielt er eine hölzerne Schüssel aus der es dampfte. ,,Wie geht es Euch?" fragte er vorsichtig und schloss die Tür hinter sich. Ich warf ihm bloß einen ausdruckslosen Blick zu. Wie sollte es mir schon gehen? Rodrik hatte ihm doch bestimmt von meiner Verlobung erzählt. Vielleicht hatte er ja schon damit gerechnet, dass das nichts werden würde. In meinem Leben durfte ja nichts Gutes passieren. Jedes Mal, wenn ich dachte, es würde endlich bergauf gehen, kam ein neues Unglück. Die Göttlichen waren wohl nicht nur erzürnt, nein, sie hassten mich. Mein Vater setzte sich auf das Bett und sah mich besorgt an. ,,Ihr müsst Essen. Euer Körper braucht Kraft, er ist geschwächt." Ich drehte meinen Kopf weg und antwortete nicht. ,,Saphir, bitte. Esst ein wenig, und wenn es nur mir zur Liebe ist!" flehte mein Vater verzweifelt. ,,Nein, ich werde nicht essen. Bitte geht jetzt" entgegnete ich schließlich. Seufzend stellte mein Vater die Schüssel auf den Tisch, machte aber keinerlei Anstalten, sich zu erheben. Ich warf ihm einen kühlen Blick zu, doch er bewegte sich nicht. ,,Ich werde so lange bleiben, bis Ihr gegessen habt" meinte er bestimmt und fixierte mich. Ich zuckte nur mit den Schultern und wandte mich wieder ab. Mit dem was nun folgte, hätte ich nicht gerechnet. Zornig erhob Nurelino sich und schrie: ,,MEINE GÜTE SAPHIR! JETZT ESST ENDLICH. DENKT IHR, ICH WÜRDE MEIN EINZIGES FLEISCH UND BLUT EINFACH SO STERBEN LASSEN? DAS LASSE ICH NICHT ZU." Seine funkelnden Augen ließen mich sogar etwas erschauern. Unsicher sah ich ihn an. Was sollte ich nun sagen? Ich konnte doch nicht essen. Etwas in mir blockierte mich. Ich wollte nicht mehr leben. Die Miene meines Vaters wurde wieder sanfter und er setzte sich wieder neben mich. ,,Entschuldigt Saphir" begann er und strich mir über die Wange ,,ich wollte nicht schreien. Ich mache mir bloß große Sorgen um Euch. Ihr seid doch mein Kind." Ich wich schwach zurück und nickte unsicher. ,,Ach Saphir" seufzte er ,,dieser Mann muss Euch viel bedeutet haben, wenn Ihr in so einem Kummer versinkt. Ich kannte ihn nicht, ich weiß nicht, in welch einer Beziehung ihr zueinander standet, aber ich denke, ich kann den Schmerz nachvollziehen. Als Eure Mutter starb, war es, als bräche die ganze Welt über mir zusammen. Für eine Weile aß ich nicht, ich trank nicht, ich konnte nicht einmal mehr schlafen. Ich hatte damals noch nicht einmal gewusst, ob ich nur sie oder auch Euch an diesem Tag verloren hatte. Die Liebe meines Lebens und mein einziges Kind. Die stille Hoffnung, Euch doch eines Tages noch zu finden, war das Einzige, das mir Lebenskraft schenkte. Und siehe, ich habe Euch gefunden. Und dafür bin ich so dankbar." Missmutig drehte ich mich wieder um. Seine Worte bewegten irgendetwas tief in mir, doch das wollte ich nicht an die Oberfläche lassen. Schweigend starrte ich die Wand an, bis ich schließlich knapp entgegnete: ,,Wir waren verlobt." Nurelino legte eine Hand auf meine Schulter. ,,Das tut mir leid. Wie lange kanntet Ihr Euch?" vermutlich fragte er das wegen Vilkas. ,,Seit ich ein junges Mädchen war" sagte ich leise. Ich wollte nicht an damals denken, es machte mich traurig. Ich war nicht bereit für diese Trauer. ,,Eure erste große Liebe, von der mir Eure Mutter schrieb?" Ich wandte mich ihm wieder zu und nickte traurig. ,,Und trotzdem" brachte ich hervor ,,hatten wir viel zu wenig Zeit." ,,Es ist immer zu wenig Zeit meine Liebe. Ob wir nun Tage, Wochen oder Jahre miteinander verbringen. Es gibt keinen passenden Zeitpunkt für den gewaltsamen Tod eines Geliebten," erwiderte Nurelino ,,auch wenn es Euch schwerfällt, manchmal müssen wir einfach dankbar für die wenigen schönen Augenblicke sein, die wir gemeinsam erleben durften, anstatt dem nachzutrauern, was hätte sein können." Fassungslos schüttelte ich den Kopf und erhob mich. ,,Dankbar? Wofür soll ich dankbar sein? Dass ich, wo auch immer ich hingehe, vom Unheil verfolgt werde? Dankbar wäre ich, wenn die Göttlichen mir ein schnelles Ende gewährend würden! Ich habe so lange gekämpft, und immer nur verliere ich!" ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Nein. Bitte nicht. ,,Saphir, alles wird gut, ich verspreche es Euch. Ihr habt sehr starke Schmerzen, das verstehe ich. Ihr seid noch jung, das Leben liegt noch vor Euch. Und am Abend Eures Lebens, da werdet Ihr Euren Geliebten wiedersehen. Davon bin ich überzeugt. Irgendwann werde ich auch Eure Mutter treffen, frei von allen Lasten dieser irdischen Welt." Ich entgegnete nichts. In meinem Hals saß schon wieder ein Kloß, genau wie in Irknthand. Meine Augen brannten fast schon. Ruhig strich mein Vater mir durchs Haar und deutete auf den Tisch. ,,Es wird auch nicht besser, wenn Ihr nicht esst. Bitte Saphir, tut mir den Gefallen. Zumindest ein bisschen. Inzwischen dürfte es auch nicht mehr heiß sein." Traurig sah ich zu der Schüssel hinüber. Wenn es ihm zu Liebe wäre, würde ich es versuchen, aber ich konnte nichts essen. Das ging doch nicht. ,,Vater, ich kann aber nicht" nun brach mir die Stimme weg und die Tränen hatten sich einen Weg hinausgebahnt. Schnell nahm mein Vater mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich wollte nicht weinen, den Schmerz nicht zulassen. Doch jetzt kam alles aus mir heraus und auch wenn es unglaublich wehtat, es fühlte sich sogar etwas befreiend an. Ich schrie, schlug um mich, doch mein Vater ließ mich nicht los. ,,Lasst es raus" flüsterte er nur immer wieder in mein Ohr, während ich alles mit Tränen benetzte. Brynjolf war tot. Er war tot und nichts in der Welt könnte ihn wieder lebendig machen. Es zerriss mich innerlich, alles tat weh, alles war schwer. Nie wieder könnte ich glücklich werden, niemals wieder. Ich brauchte ihn, ohne ihn war ich alleine. Natürlich, ich hatte Rodrik, die Gilde, meinen Vater, ja vielleicht sogar die Gefährten, aber niemand war mir so nah gewesen wie Brynjolf. So lange hatte ich ihn schon geliebt, endlich hätte ich ihn haben können und dann war er mir genommen wurden. Ich schrie wieder laut auf. Mein Schluchzen erfüllte den kleinen Raum ganz, hoffentlich hörte mich im Flur keiner. Und wenn doch, dann war es mir eigentlich auch egal. Ich wollte doch nichts, nur Brynjolf. Nur meinen geliebten Brynjolf. Ich liebte ihn, ich liebte ihn so sehr. Warum musste er mir genommen werden. Ich konnte nicht sagen, wie lange, aber nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich nicht mehr weinen. Es schien als sei ich ausgetrocknet wie ein Flussbett. Meine Augen brannten, meine Seite schmerzte und mein Kopf dröhnte heftig. Vorsichtig löste mein Vater sich von mir und lächelte mich tröstend an. ,,Ihr müsst jetzt wirklich etwas zu Euch nehmen" sagte er fürsorglich und griff nach der Schüssel. Ich wollte meine Hände heben, doch ich war zu schwach. Nun musste mein Vater mich füttern wie ein kleines Kind. Erbärmlich. Wie tief war ich bitte gesunken? Seine Kartoffelpampe schmeckte furchtbar, aber mein Magen knurrte tatsächlich schon seit Tagen, bloß fehlte mir der Appetit. Es fiel mir schwer das Zeug herunterzubekommen, aber nach einem langen Kampf war es geschafft. Zufrieden stellte er die Schüssel wieder auf den Tisch und nahm die Flasche. ,,Ich bin kein Freund des Frusttrinkens, aber Ihr braucht Schlaf. Wenn der Wein Euch dabei helfen kann, solltet Ihr einen guten Tropfen zu Euch nehmen." Ich nickte abwesend und mein Vater reichte mir die Flasche an. Nach ein paar Schlucken fühlte ich mich etwas leichter und auch müder. Meine geschwollenen Lieder wurden schwerer und ich ließ mich langsam sinken. Mein Vater blieb neben mir sitzen und streichelte meinen Kopf. ,,Ich bleibe bis Ihr eingeschlafen seid und komme bald wieder, versprochen." Ich nickte müde. Bald schlief ich mit einem leisen Schluchzen ein.

Saphir    [~Vilkas FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt