Der Hinterhalt

27 3 4
                                    

,,Nur noch ein kurzes Stück!" knirschte Aela angestrengt, während sie einen weiteren Pfeil nach hinten verschoss. Fast hätten wir es geschafft an das Bruchstück zu gelangen, doch der Feind war zu stark. Die Flucht war unsere einzige Möglichkeit lebendig aus der Festung zu entkommen. Hastig sprinteten wir durch den Flur aus dem wir in die Burg eingedrungen waren, den Koch hatten wir auf dem Weg aus den Augen verloren, hoffentlich könnte er entkommen, dann wäre unsere Mission zumindest nicht vollkommen sinnlos gewesen. ,,Da ist die Tür!" keuchte Vilkas. Ich erreichte sie als erste und drückte schnell die Klinke hinunter, bis mir auffiel: Ich selbst hatte sie verschlossen. Panisch sah ich zu den Feinden hinüber, die sich unabbringlich näherten. Aela verschoss weitere Pfeile, Vilkas hielt sein Schwert bereit und warf mir einen fordernden Blick zu. Rasch zog ich meinen Dietrich hervor und begann damit, das Schloss zu bearbeiten, doch ich hatte Pech. Ein Pfeil traf mich in die rechte Schulter. Durch den brennenden Schmerz des Silbers war ich unaufmerksam und der Dietrich brach im Schloss ab. ,,Nein" murmelte ich und zog mir hastig den Pfeil aus dem Arm. Der Feind kam immer näher und wir saßen in der Falle. Ich hörte nun auch Schritte aus der anderen Richtung des Flurs, bald würden wir eingekreist sein. ,,Saphir, tut doch etwas!" rief Vilkas, der im selben Moment von einem Pfeil in der Seite getroffen wurde. Nein. Mir musste etwas einfallen, und zwar jetzt! Wütend blickte ich zu unseren Angreifern hinüber, sammelte all meine Kraft und warf mich gegen die Tür, die tatsächlich nachgab. Ohne meinen kleinen Trunk vorhin hätte das vermutlich nicht so gut funktioniert. Das Holz schlug mit einem lauten Knall auf den Steinboden und ich stürmte in den Raum hinein. ,,Aela! Vilkas! Los!" schrie ich verzweifelt, da standen die beiden schon im Türrahmen. ,,Lasst sie nicht entkommen!" hörte ich eine raue Männerstimme im Flur rufen. ,,Hoch mit Euch!" flehte ich meine Gefährten an. Aela sprang auf die Leiter, Vilkas sah mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an und knurrte: ,,Ihr geht zuerst." Ich schüttelte bestimmt den Kopf und erwiderte: ,,Entweder Ihr steigt da jetzt hoch oder wir sterben hier beide." Widerwillig zog er sich die Sprossen hoch. Ich zog mein Schwert und wehrte mit aller Kraft einen Angreifer ab, der in den Raum gestürzt kam, während Aela, die schon auf dem Turm stand, Vilkas am Arm hochzog. ,,Saphir!" rief er besorgt, doch ich schaffte es gerade noch, meinen Feind niederzustrecken, bevor ich mich ebenfalls auf die Leiter schwang. Hastig kletterte ich hinauf, während sich unter mir immer mehr Feinde versammelten. Oben angekommen drückte ich angestrengt die Falltür hinunter. ,,Vilkas, geht mit Aela vor, ich halte hier Stellung!" befahl ich den Werwölfen, doch Vilkas meinte einmal mehr zu widersprechen: ,,Saphir, Ihr könnt unmöglich diese Horde von Werwolfsjägern aufhalten." Mit aller Kraft drückte ich weiter auf die Falltür, gegen die schon von unten gedrückt wurde. ,,Geht jetzt!" fauchte ich wütend. Aela packte den großen Nord am Arm und zog ihn mit sich. Vilkas ächzte bei jedem Schritt, wie wollte er etwas gegen die silberne Hand ausrichten können, wenn er so verletzt war? Auch wenn die Sonne furchtbar auf meinem Kopf brannte, setzte ich alles daran, die Tür zuzuhalten. Der Gegendruck von unten wurde immer stärker, doch ich ließ nicht locker. Nach einer Weile, Aela und Vilkas waren schon länger aus meinem Sichtfeld verschwunden, schienen die Angreifer nachzugeben. Ich legte mein Ohr an das Holz und konnte vernehmen, dass die Werwolfsjäger sich zornig entfernten. Vermutlich würden sie zu einem anderen Ausgang eilen, also musste ich schnell verschwinden. Unsicher ließ ich von der Falltür ab, damit rechnend, sie könnte doch jeden Moment noch aufgedrückt werden und lugte vorsichtig am Turm hinunter. Allzu tief war es nicht, außerdem war ich eine Vampirin, also fasste ich meinen Mut zusammen und sprang hinunter auf das feuchte Gras. Ich rollte mich schnell ab und prüfte mit einigen Handbewegungen, ob auch noch alles da war. Verärgert fluchte ich, als ich bemerkte, dass mein Bogen bei dem Sprung zerbrochen war. Wütend schleuderte ich die Bruchstücke fort und lief in die Richtung aus der wir gekommen waren. Hoffentlich hatten Aela und Vilkas schon einen guten Vorsprung eingeholt, insofern es ihnen dank Vilkas' Verletzung möglich gewesen war. Hastig eilte ich den Hügel hinunter und sprintete so schnell ich konnte von der Burg weg. Von irgendwoher vernahm ich den Geruch von Bestienblut, also waren meine Freunde noch irgendwo in der Nähe. Ich drehte mich noch einmal um, konnte zu meiner Beruhigung aber noch keine Feinde entdecken. Nur eine einsame Gestalt näherte sich mir aus der Richtung der Burg, doch ich erkannte ihn schnell als unseren Koch. Er hatte es also lebendig hinausgeschafft. ,,Wartet!" rief er, als ich mich wieder umdrehte. Warten? Ich sollte mich lieber schleunigst aus dem Staub machen. ,,Hört zu" protestierte ich , ich hab Euch ja gerne geholfen, aber unsere Wege trennen sich hier. Ich muss zu meinen Freunden!" ,,Bitte, nur einen kurzen Augenblick!" flehte er außer Atem. Seufzend wandte ich mich ihm wieder zu. Als er vor mir zum Stehen kam, stützte er keuchend seine Arme auf die Knie und zog dann etwas unter seinem schäbigen Oberteil hervor. Zunächst dachte ich, es sei ein Stein, doch dann verstand ich. ,,Deshalb seid Ihr doch hergekommen, oder?" fragte der Koch und hielt es mir lächelnd entgegen. ,,Das Bruchstück! Ich danke Euch vielmals" entgegnete ich mit einem zufriedenen Lächeln. Gerade als er etwas erwidern wollte, sackte der magere Koch vor mir zusammen. Ein silberner Pfeil durchbohrte ihn. Panisch umklammerte ich das Bruchstück und presste es an mich. Ohne noch einmal meinen Blick zu heben, drehte ich mich um und sprintete los. Sie dürften mich nicht bekommen, ich hatte den Gefährten etwas versprochen. Dieses Versprechen wollte ich auch einhalten. Ich lief und lief, blendete alles andere völlig aus. Als ich mich etwas sicherer fühlte, drehte ich mich wieder um und konnte zu meiner Erleichterung keine Feinde ausfindig machen. Vielleicht hatten sie es aufgegeben uns zu jagen, wenn sie nicht wussten, dass das Bruchstück bereits in meinem Besitz war. Die Fährte meiner Freunde nahm ich nicht mehr wahr, ob sie tatsächlich schneller als ich unterwegs waren? Ich würde einfach weiter nach Westen marschieren, früher oder später käme ich schon in Weißlauf an. Die Mittagssonne brannte höllisch. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte ich nun schon einige Meilen hinter mir gelassen. Weit in der Ferne konnte ich schon die Drachenfeste erblicken, als ich wieder den Geruch von Bestienblut vernahm. Irgendwo hier mussten die beiden doch sein. Ich hielt mich weiter östlich, dann, im Schutz einer großen Tanne versteckt, fand ich Aela und Vilkas. Aela schulterte ihren Bogen, während Vilkas sich erschöpft an den Baumstamm lehnte, seine Rüstung lag neben ihm auf dem Boden, er trug nur seine Unterkleider. Trotz des dunklen Blaus war der rote Fleck an seiner Seite kaum zu übersehen, geschweige denn zu überriechen. Besorgt eilte ich zu ihnen. ,,Ihr lebt" sagte Vilkas ruhig und schenkte mir ein müdes Lächeln. ,,Wenn man das so nennen mag" erwiderte ich mit einem Augenzwinkern und beugte mich zu ihm hinunter. ,,Ihr hingegen seid verletzt. Wie habt Ihr es überhaupt so schnell hier her geschafft?" ,,Als Wölfe" entgegnete Aela ,,scheint, als sei unsere Mission ein voller Reinfall gewesen." Missmutig trat sie einen Ast weg. ,,Nicht ganz" erwiderte ich ruhig und erhob mich wieder. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, als ich das Bruchstück unter meinem Mantel hervorholte. ,,Wie habt Ihr das geschafft?" fragte Vilkas schwach. ,,Der Koch" meinte ich nur und ließ das Bruchstück wieder verschwinden ,,wir müssen Euch jetzt nach Weißlauf bringen" fügte ich ernst hinzu. ,,Ich schaff das schon, keine Sorge" antwortete Vilkas und stand vor Schmerz stöhnend auf. Konnte er seinen Stolz wirklich nie ablegen? ,,Aela, könnt Ihr seine Rüstung tragen? Ich stütze ihn." Aela nickte und hob die Rüstungsteile vom Boden auf. ,,Wir werden noch eine Weile brauchen, aber in ein bis zwei Stunden sollten wir da sein" entgegnete die Jägerin und ging schon einige Schritte in Richtung Drachenfeste. ,,Vilkas, bitte" flüsterte ich dem stolzen Nord zu, der versuchte Aela zu folgen. Schließlich gab er nach und stützte sich auf meiner Schulter ab. Je näher wir Weißlauf kamen, desto schwächer wurde der Werwolf. ,,Haltet durch, bitte" flehte ich ihn immer wieder an, wenn ich befürchtete, er würde sein Bewusstsein verlieren. Bald hatten wir die Tiefenschmiede erreicht, durch die wir schnell zur Methalle kommen würden. Vilkas war – den Göttern sei Dank – noch bei Bewusstsein, als wir auf den Hof traten, jedoch ließ uns das Bild, das sich uns nun bot, das Blut in den Adern gefrieren. ,,Was" gab Vilkas ungläubig von sich. Der Hof war von einigen Toten gepflastert. Stadtwachen und Kriegern der silbernen Hand. Es roch durch und durch nach frisch vergossenem Blut. Ein Hinterhalt? Hatten sie damit gerechnet, dass wir kommen würden und das nicht alle in Jovaskrr anwesend waren um es zu verteidigen? Oder war es ein bloßer Zufall gewesen? Zornig riss Vilkas sich von mir los und schleppte sich zur Tür. Aela und ich sahen uns kurz hilflos an und eilten ihm dann hinterher. Als wir hinter ihm durch die Tür schritten, konnten wir nur noch mehr Elend vorfinden. Zwischen toten Wachen und Werwolfsjägern knieten Farkas, Athis und Ria um jemanden herum. Ich erschrak, als ich erkannte, dass es sich um Kodlak handelte, der da auf dem Boden lag. Aus seinem Magen trat eine Menge Blut aus und es war klar, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. ,,Vilkas" hörte ich ihn mit zittriger Stimme sagen, als der große Nord vor ihm auf die Knie fiel. ,,Kodlak, nein" wimmerte er verzweifelt und hielt sich schmerzerfüllt die verletzte Seite. ,,Wir haben es geschafft, wir haben das Bruchstück" meinte Aela traurig und senkte den Blick. ,,Ihr dürft noch nicht sterben, wir können euch noch heilen! Wir können den Fluch brechen!" bettelte Vilkas schmerzerfüllt. ,,Mein Junge" begann der alte schwach ,,in Euch brennt ein Feuer. Lasst es niemals erlöschen" er machte eine kurze Pause und hustete ein wenig Blut aus. Es tat auch mir weh ihn so zu sehen, Kodlak war ein guter Mann, ich hatte ihn sehr schätzen gelernt, doch für die anderen war er noch so viel mehr. Ein Vorbild, ein Mentor, ein Freund. ,,Ich will, dass Ihr die Gefährten anführt" fuhr er mit immer schwächer werdender Stimme fort ,,niemandem sonst traue ich diese Aufgabe so zu wie Euch. Ich liebe Euch und Euren Bruder als wärt Ihr meine eigenen Söhne." Respektvoll wich ich einen Schritt zurück, eigentlich hatte ich hier überhaupt nichts zu suchen. ,,Kodlak" rief Vilkas noch einmal unter Tränen, doch der Alte lächelte nur noch ein letztes Mal, bevor sein Blick starr wurde und das Leben aus ihm gewichen war. Das war es also, nun war er tot, der große Herold der Gefährten. Es versetzte mir einen Stich ihn dort liegen zu sehen, er war nicht nur ein hervorragender Anführer, sondern auch ein weiser und herzlicher Mensch gewesen, der immer Rat wusste wenn man ihn brauchte. Ich schloss meine Augen und versuchte gedanklich Abschied von Kodlak zu nehmen, doch nur wenige Augenblicke nach ihm brach auch Vilkas zusammen. Schnell griff ich ihm unter die Arme und bat den ebenfalls weinenden Farkas mir zu helfen, seinen Bruder schnell in seine Gemächer zu bringen. Aela, die sich langsam wieder gefangen hatte, verkündete, dass sie eine Heilerin herbeiholen würde und eilte wieder hinaus. Langsam wurde ich panisch, würde Vilkas seinem Herold so schnell folgen? Das durfte ich nicht zulassen. Nicht noch jemand, den ich nicht retten könnte. Farkas schwieg die gesamte Zeit über, ein dunkler Schatten tiefer Trauer lag über ihm. Ich konnte ihn gut verstehen, Kodlak war wie ein Vater für die beiden Zwillinge gewesen, und nun war er Ihnen gewaltsam genommen worden. Dieses Gefühlt kannte ich nur zu gut. Als wir Vilkas vorsichtig auf sein Bett gelegt hatten, blickte ich besorgt zu seinem Bruder hinüber und legte eine Hand auf seine Schulter. ,,Lasst die Trauer zu, ich bleibe hier bei Vilkas und passe auf. Bringt mir nur ein wenig Verbandsmaterial, das ich nutzen kann, bis die Heilerin eintrifft." Farkas nickte stumm und verschwand aus dem Raum. Langsam trat ich näher an Vilkas heran. Erst jetzt fiel mir auf, wie blass er war. Seine Stirn war von Schweißperlen bedeckt und seine Atmung wirkte flach. Vorsichtig zog ich sein Hemd etwas hoch. Die Wunde war nicht sonderlich groß, sah aber dennoch ziemlich furchterregend aus. Alles war von seinem Blut bedeckt. Silber brannte sich scheinbar tief ein, zum Glück war ich nur am Arm getroffen worden. Vorsichtig berührte ich die Stelle um die Blutung zu überprüfen, dabei zuckte Vilkas unsanft zusammen. Zumindest ein Lebenszeichen. Farkas kehrte schnell zurück und brachte mir das Verbandszeug. Ich umarmte ihn kurz, bevor er noch immer schweigend den Raum verließ und machte mich dann an die Arbeit Vilkas' Wunde notdürftig zu versorgen. Nachdem ich ihn aus seinem Hemd befreit hatte, zog ich den Nord vorsichtig hoch und presste es gegen die Wunde. Dann rollte ich den Verband ab und wickelte ihn um Vilkas' verletzten Oberkörper. Schließlich setzte ich mich neben das Bett auf einen Stuhl und wartete. Ich wartete und wartete, dabei ließ ich Vilkas nicht aus meinen Augen. ,,Haltet durch" flüsterte ich während ich die Strähnen, die an seiner verschwitzten Stirn klebten, beiseite strich. Er würde es schaffen, ganz bestimmt. ,,Haltet durch Vilkas."

Saphir    [~Vilkas FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt