Reue

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Seit einer gefühlten Ewigkeit beobachtete ich Vilkas nun beim Schlafen. Gleichmäßig hob und senkte sein Brustkorb sich bei jedem Atemzug und ab und zu drehte er sich um. Ich fühlte mich unglaublich schuldig, auch wenn ich die Zweisamkeit mit Vilkas sehr genossen hatte. Er liebte mich sehr, obwohl ich mich so verändert hatte, das wusste ich, doch meine Gedanken galten noch immer meinem Verlobten, der mir viel zu früh genommen worden war. Brynjolfs Gesicht und alle Erinnerungen an ihn spukten unentwegt in meinem Kopf umher. Auch wenn Vilkas es mit seinen liebevollen Berührungen geschafft hatte, etwas Wärme in die Kälte meines Herzens zu tragen, so hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als Brynjolf bei mir zu haben. Würde ich es jemals schaffen über meine Jugendliebe hinweg zu kommen? Leise erhob ich mich von dem Bett. Erst einmal wollte ich hier weg, ich brauchte Ruhe um meine Gedanken zu sortieren. Früher oder später würde Vilkas erwachen, und dann würde ein ernstes Gespräch folgen. Beinahe lautlos streifte ich mir meine Kleider über und legte mir meine Rüstung wieder an. Auch wenn ich nicht vorhatte in die Schlacht zu ziehen, so wollte ich unangenehme Nachfragen besonders seitens Aela vermeiden. Ich richtete noch schnell meine Haare notdürftig und schlich dann zur Tür hinaus. Kaum hörbar schloss ich sie hinter mir und machte mich auf den Weg nach oben. Ob man oben noch zusammensaß? Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich bei Vilkas verweilt hatte. Auf dem Gang war es still, vielleicht schliefen die anderen ja schon. Als ich die Tür zur Treppe öffnete, hörte ich jedoch Aelas Stimme. Zumindest sie war also noch wach. Ich schritt langsam die Treppe hinauf, als ich eine Männerstimme antworten hörte. Das konnte doch nicht sein! Die letzten Stufen versuchte ich gleich mit einem Schritt mitzunehmen, weswegen ich fast stolperte. ,,Nicht so stürmisch, ich laufe nicht weg" grinste Rodrik mir entgegen, als ich an den Tisch herantrat. Nur er und Aela saßen an der Tafel, was hatte mein Freund hier zu suchen? ,,Könnt Ihr Euch vor Eurer Meisterin nicht einmal mehr erheben?" witzelte ich zur Begrüßung. Theatralisch erhob Rodrik sich und ich überraschte ihn mit einer stürmischen Umarmung. ,,Eigentlich solltet Ihr in Rifton sein, aber ich bin froh, dass Ihr hier seid" flüsterte ich ihm dabei ins Ohr ,,ich muss mit Euch sprechen." Dann löste ich mich aus der Umarmung und sah ihn fragend an. Er nickte verständig. ,,Konntet Ihr Vilkas ein wenig aufmuntern?" fragte Aela und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich räusperte mich laut und meinte dann: ,,Ich muss eben kurz mit Rodrik sprechen, es geht um Gildenangelegenheiten. Ihr entschuldigt uns für einen Augenblick?" Aela nahm einen großen Schluck Met aus ihrem Krug und erwiderte dann ungläubig: ,,Klar, Gildenangelegenheiten. Nun macht Ihr mal, eine Weile werde ich es schon ohne die gute Gesellschaft aushalten" dabei zwinkerte sie Rodrik zu. Wie lange war der Vampir schon hier gewesen? Anscheinend lange genug um einen bleibenden Eindruck bei Aela zu hinterlassen. Jetzt aber musste ich erst einmal mit ihm sprechen. Wortlos lotste ich ihn zur Tür. Ich brach mein Schweigen erst, als wir an dem kleinen Tisch im Hof saßen, auf dem noch immer ein blauer Fleck meiner Tinte zu sehen war. ,,Rodrik" begann ich ,,auch wenn ich froh bin Euch zu sehen und gerne den Grund Eures Besuches erfahren würde, müsst Ihr mir zunächst jedoch einige Fragen beantworten." ,,Die da wären?" fragte der Vampir neugierig. ,,Ich gebe es nur ungern zu, aber ich bin ein wenig wütend auf Euch" entgegnete ich und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu ,,warum habt Ihr Vilkas erzählt, dass ich eine Vampirin geworden bin? Und es mir dann nicht einmal mitgeteilt?" Rodrik zuckte mit den Schultern und lehnte sich ein Stück zurück. ,,Was hättet Ihr denn getan wenn ein aggressiver Nord, der dazu noch ein Werwolf ist, auf der offenen Straße auf Euch losgeht?" ,,Bitte was?" ungläubig sah ich ihn an. ,,Nunja, Ihr hattet mich ja damals wegen dieser Denunziation nach Weißlauf geschickt. Als ich die Stadt gerade wieder verlassen wollte, packte mich jemand von hinten bei den Schultern. Zunächst dachte ich, ich sei erwischt worden, doch als ich erschrocken herumwirbelte, erkannte ich Euren Werwolffreund. Er funkelte mich zornig an und fragte, was in der Schlacht geschehen war, und warum ich Euch nicht anständig beschützt hatte." ,,Klingt nach Vilkas" bemerkte ich kurz, dann erzählte Rodrik weiter: ,,Nachdem ich ihn davon überzeugen konnte, mir den Kopf nicht abzureißen, erklärte ich ihm, dass ich Euch gerettet und meiner Blutsschwester gemacht hatte. Er war völlig aufgelöst und fragte, wo Ihr zu finden wärt. Zwar sagte ich ihm, dass Ihr Euch in Rifton befändet, wies ihn aber andererseits an, sich von Euch fernzuhalten." ,,Warum habt Ihr ihm das gesagt?" erwiderte ich fassungslos. Rodrik hob erklärend seinen Zeigefinger und meinte: ,,Ich wart noch immer in Trauer um Brynjolf, noch schlimmer als heute, und hattet außerdem eine Aufgabe, um die Ihr Euch kümmern musstet. Das ganze Drama wollte ich Euch ersparen, ich habe es keineswegs getan um Euch zu schaden." ,,Hm" gab ich nur nachdenklich von mir. Vielleicht war es wirklich besser gewesen, dass Rodrik sich eingemischt hatte, dennoch fühlte ich mich ein wenig verraten. ,,Außerdem" fügte er noch hinzu ,,müssen wir uns auch nicht zwingend einen Gefährten in die Gilde holen. Ihr wisst ja was sie von Gesetzesbrechern wie uns halten, besonders Vilkas." Ich nickte nur und fragte: ,,Und was hat Euch nun her verschlagen?" ,,Wieder ein Auftrag, ich treffe mich morgen mit der Kontaktperson in der Beflaggten Mähre. Und da ich Euch vermisst habe, dachte ich mir, ich käme mal auf einen spontanen Besuch vorbei. Ich bin schon seit einigen Stunden in er Stadt, habe vom Hof aus aber Eure Trauerfeier erblickt und wollte aus Anstand noch etwas warten, aber bald darauf hat Aela mich entdeckt und nach drinnen eingeladen" erklärte Rodrik ruhig ,,nun habe ich aber eine Frage an Euch, Saphir." Erwartend sah ich ihn an. ,,Warum müsst Ihr so dringlich mit mir sprechen? Es ging doch nicht nur um die Sache da mit Vilkas damals, oder?" Ich schüttelte den Kopf und flüsterte: ,,Ich brauche Eure Hilfe. Ich glaube ich habe einen großen Fehler begangen." ,,Oh" entgegnete Rodrik nickte scheinbar verstehend. ,,Ja, ich komme gerade von Vilkas. Wir haben" ich machte eine kurze Pause, da es mir doch etwas schwer über die Lippen ging ,,miteinander geschlafen?" beendete Rodrik meinen Satz und zog eine Augenbraue hoch. ,,Ja" antwortete ich beschämt und senkte meinen Blick. ,,Na und? Ich hatte sowieso damit gerechnet, dass das wieder passiert, als Ihr aus Rifton losgezogen seid. Was ist denn schon dabei? Er ist doch ein guter Fang, andere Frauen würden wahrscheinlich töten um an Eurer Stelle zu sein." ,,Aber Rodrik" widersprach ich und sah wieder zu ihm ,,er liebt mich, doch ich liebe ihn nicht! Er hat wegen mir schon genug gelitten, was soll ich denn jetzt tun? Ich kann ihm nicht geben was er will." ,,Warum habt Ihr es denn dann überhaupt getan?" hakte Rodrik nach. ,,Mitleid? Nein, das wäre nicht ganz richtig, ich habe es ja auch genossen... ich weiß es doch auch nicht Rodrik! Ich denke noch immer jeden Tag an Brynjolf, ihm gebührt meine Liebe." ,,Ach Saphir" verzweifelt schlug der Vampir die Hände über dem Kopf zusammen ,,warum gibt es in Eurer Welt denn nur zwei Männer?" Ich zuckte mit den Schultern und starrte hinauf zu den Sternen. ,,Ich vermisse ihn einfach so sehr, es hört nie auf wehzutun" murmelte ich traurig. ,,Saphir" begann Rodrik wieder ,,ich weiß, dass es schwer ist, aber Ihr müsst endlich loslassen. Brynjolf ist tot. Er ist tot und er wird nie mehr wieder kommen. Ich weiß ja, dass Ihr ihn durch Gebet, Traditionen und Gegenstände noch irgendwie bei Euch zu behalten versucht, aber es ist genau wie ich es Euch damals in der Festung Eures Vaters gesagt habe: Man kann versuchen die Zeit künstlich anzuhalten, doch man kann sie auch künstlich beschleunigen. Vilkas hin oder her, es ist an der Zeit loszulassen." ,,Wäre das nicht Verrat?" fragte ich leise und stützte meinen Kopf auf die Hände. ,,Nein. Es ist eher Verrat an ihm, dass Ihr nicht aufhören könnt an ihn zu denken und Euch das Leben so schwerer macht. Ihr müsst loslassen." ,,Ich weiß nicht wie, ich weiß einfach nicht wie" gab ich fast schon wimmernd von mir. ,,Nunja" bemerkte Rodrik ,,immerhin habt Ihr schon einmal wieder einen anderen Mann in Eure Nähe gelassen. Auch wenn ich Vilkas nicht sonderlich mag, immerhin scheint Ihr etwas in ihm zu sehen. Vielleicht solltet Ihr, wenn wir zurück nach Rifton gekehrt sein werden, auch versuchen Eure Besuche im Tempel zumindest zu reduzieren." ,,Mal sehen" entgegnete ich ,,aber was mache ich jetzt mit Vilkas?" Verzweifelt sah ich meinen Freund an. Er warf mir einen ernsten Blick zu. ,,Seid ganz ehrlich, habt Ihr sicher keine Gefühle für ihn übrig?" Ich schloss meine Augen und versuchte über die letzten Wochen nachzudenken. Natürlich vermisste ich ab und an die alte Zeit, aber nicht so sehr wie ich Brynjolf vermisste. Seit meiner Zeit bei den Gefährten war zu viel geschehen, ich war nicht mehr die Saphir von damals, ich hatte mich verändert. Vilkas hatte mir damals immer das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gegeben, jedoch war ich nun stärker und kälter geworden. Ich brauchte nicht mehr den großen Beschützer, als der er sich immer verstand. Außerdem war ich die Gildenmeisterin und er führte nun die Gefährten an, es wäre sowieso sinnlos sich ernsthaft mit dem Thema zu beschäftigen. Vorhin hatte Vilkas sich mir erstmals wirklich schwach und verletzlich gezeigt, vermutlich war es auch dieses Bild von ihm gewesen, das meinen plötzlichen Gefühlsrausch ausgelöst hatte. Es hatte sich um einen Ausnahmezustand gehandelt, genau wie unsere gemeinsame Nacht. Er war eben nicht Brynjolf. Ihn hatte ich damals nur aus der Ferne sehen müssen, und mein Herz hatte geklopft als hätte es mir aus der Brust springen gewollt. All die Jahre meiner Gefangenschaft hatte ich nur an ihn gedacht, ich hatte ihn gekannt seit ich ein kleines Mädchen war. Vilkas hatte mir damals in der Aufnahmezeit bei den Gefährten nur Steine in den Weg gelegt, bis er mir seine Gefühle gestanden hatte. Dazu hatte er immer nur das bedürftige Mädchen in mir gesehen. Vermutlich war es das, was er sich noch immer zurückwünschte, wenn er mich ansah. Entschlossen öffnete ich meine Augen und verkündete: ,,Nein. Ich liebe ihn nicht." Seufzend entgegnete Rodrik: ,,Dann wisst Ihr doch, was zu tun ist. Ihr müsst mit ihm sprechen. Daran führt kein Weg vorbei." Ich nickte nachdenklich. Ich war wirklich froh, Rodrik wieder an meiner Seite zu haben, zum Glück war er hier aufgetaucht. ,,Ihr seht übrigens nicht sonderlich gut aus" bemerkte mein Freund spitz ,,wann habt Ihr das letzte Mal getrunken?" Ich zuckte mit den Schultern und antwortete: ,,Ich glaube vor etwa vier Tagen." Wenn ich so darüber nachdachte, ich hatte Durst, großen Durst. Das Geschehen in den letzten Tagen hatte mich fast vergessen lassen, wie schnell das Verlangen nach Blut Besitz von einem ergreifen konnte, doch jetzt wo Rodrik mich darauf ansprach, knurrte mein Magen förmlich. ,,Wir sollten Euch etwas zwischen die Zähne kriegen, bevor Ihr noch meine Kontaktperson umbringt" verkündete Rodrik und erhob sich ,,lasst uns jagen gehen. Ich verabschiede mich noch schnell von Aela, wartet hier." Ich nickte zustimmend und stand ebenfalls auf. Rodrik schlüpfte durch die Tür zur Methalle. Ich hob meinen Blick wieder hinauf zu den Sternen. Euch loslassen Brynjolf? Wie nur sollte ich das schaffen? Mein Herz zerbrach in tausend Teile an dem Tag, an dem Ihr Euren letzten Atemzug getan habt. Wie nur, Brynjolf? Wie nur? ,,Na dann los" riss Aelas Stimme mich aus den Gedanken. Verwirrt sah ich die Gefährtin an. ,,Sie wollte mitkommen, eine kleine nächtliche Jagd möchte sie sich nicht entgehen lassen" erklärte Rodrik und zwinkerte mir zu. ,,Na gut" erwiderte ich mit einem traurigen Lächeln und bald schon fanden wir uns auf den Ebenen vor Weißlauf wieder, Aela in Wolfsgestalt, Rodrik und ich im Blutrausch.

Saphir    [~Vilkas FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt