Aus der Asche

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Als ich wieder zu mir kam, vernahm ich Stimmengewirr aus der Ferne. Ich spürte, dass ich mit der Seite auf einem harten Untergrund lag. Vorsichtig öffnete ich meine Augen, doch viel mehr als ein weißes Leinentuch vor mir konnte ich nicht entdecken. Wo war ich und wie war ich hier hingekommen? Angestrengt versuchte ich mir die Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Die Schlacht gegen die Thalmor, mein Vater, Alturiel. Stück für Stück kehrte das Geschehene in meinen Kopf zurück. Ich hatte es tatsächlich geschafft, ich hatte Alturiel getötet! Doch hatte er nicht auch mich tödlich verwundet? Schemenhaft erinnerte ich mich an die Gestalt meiner Eltern, die auf mich zugelaufen waren. War ich gestorben? Konnte sich das Jenseits so echt anfühlen? Und wenn ich überlebt hatte, wieso verspürte ich dann keine Schmerzen? Ein unguter Verdacht beschlich mich. Es könnte doch nicht etwa sein, dass ...? Langsam drehte ich mich um. ,,Ich hasse Euch" knurrte ich unzufrieden. Rodrik lachte nur erleichtert auf und entgegnete: ,,Ich habe aus Eurem Mund schon freundlichere Worte gehört!" Er saß auf einem kleinen Holzschemel. ,,Hättet Ihr mich nicht einfach in Frieden sterben lassen können?" fragte ich vorwurfsvoll während ich mich von der Trage aufrichtete. Rodrik schüttelte den Kopf und erwiderte leise: ,,Das konnte ich nicht." Er sah mich ernst an und ließ seinen Blick dann sinken. ,,Und warum nicht?" hakte ich nach. Wie gerne wäre ich mit meinen Eltern mitgegangen und auf ewig mit Brynjolf vereint gewesen, doch nun war ich hier. Immer noch. Und wie es aussah auch noch für eine sehr lange Zeit. Warum hatte Rodrik mir das angetan? ,,Ich habe Euch sterben sehen" begann er und hob seinen Blick langsam wieder ,,als Ich Eure Namen rief und Ihr nicht reagiert habt, habe ich mir so schnell es möglich war einen Weg zu Euch gebahnt. Ich hielt Euch in meinen Armen, doch kein Lebenszeichen ging mehr von Euch aus" er machte eine kurze Pause und fixierte mich mit seinem Blick ,,ich konnte Euch nicht sterben lassen, Saphir. Damals in den Minen habe ich Euch ein Versprechen gegeben." ,,Ihr verspracht, mich nachhause zu bringen und das habt Ihr getan" erwiderte ich nur. Ich verstand noch immer nicht. Seufzend entgegnete er: ,,Ja. Ich versprach Euch Eure Freiheit, und ich wollte Euch die Wahl lassen. Endlich hattet Ihr, was Ihr wolltet, doch als Tote konntet Ihr nicht mehr frei sein." Überzeugt meinte ich: ,,Im Tode wäre ich sicherlich freier als auf dieser schrecklichen Welt." Rodrik schüttelte den Kopf. ,,Nein, Eure Seele wird auf ewig an das Dämmergrab gebunden sein. Außerdem habt Ihr in dieser Welt noch ein Versprechen zu erfüllen, erinnert Ihr Euch nicht?" Natürlich erinnerte ich mich, ich hatte bloß gehofft, es nicht einhalten zu müssen. Ich war so überzeugt gewesen, dass ich in der Schlacht fallen würde, ich hatte nicht einmal befürchtet, dass ich Brynjolfs letztem Willen nachkommen müsste. Doch nun hatte ich wohl keine andere Wahl. Wie sollte ich denn bloß eine Gilde führen? Ich war doch kein Meister in den heimlichen Künsten, wieso musste Brynjolf ausgerechnet mich an der Spitze wollen? Würde ich seinem Versprechen überhaupt gerecht werden können? ,,Saphir, macht Euch keine Sorgen. Sie werden Euch ganz sicher folgen" sagte Rodrik ruhig ,,ich bin es auch und würde es immer wieder tun." Fragend sah ich ihn an. ,,Wie meint Ihr das?" ,,Mein Leben bestand aus dem Töten unschuldiger Menschen und anderen Vergehen wegen denen ich in fast jeden Kerker der Fürstentümer kennenlernen durfte. Ich führte bloß eine miserable Existenz ohne jegliches Ziel. Jahrzehnte lang, bis zu dem Tag, an dem unsere Wege sich kreuzten. Ich wollte bloß aus den Minen, doch nachdem ich Euch in Rifton abgesetzt hatte, ließ mich das Bild von Euch nicht mehr los." Rodrik hielt Inne und griff nach meiner Hand. ,,Verzeiht mir, Ihr habt mich verändert, ich konnte nicht zulassen, dass Ihr Euer Leben gebt. Auf Euch warten noch große Dinge, ich bin mir sicher." Nachdenklich sah ich ihn an. Auch wenn Rodrik es wahrscheinlich nicht so benennen würde, er hatte wohl nicht ertragen können, dass seine einzige Freundin auf dieser Welt sterben würde. Auch er hatte seine Familie verloren, auch er war alleine, genau wie ich. Und ob zwischen ihm und Marelia nun eine besondere Verbindung gestanden hatte, oder nicht, auch ihr Tod hatte ihn hart getroffen. Vielleicht war ich es Rodrik auch schuldig, am Leben zu bleiben. Ohne ihn wären wohlmöglich niemals all die schrecklichen Dinge der letzten Monate passiert, aber ich würde noch immer in Markarth sitzen. Ich hätte niemals herausgefunden, was es mit meinem Vater auf sich hatte, niemals das Gefühl einer Familie verspürt, keine Liebe erfahren, und erst recht nicht Freunde gefunden. Rodrik war vielleicht ein Tunichtgut, aber er war loyal und hatte sein Herz am rechten Fleck. Er hätte mich auch in Markarth zurücklassen können, aber er hatte sein Versprechen gehalten. ,,Ich verzeihe Euch" entgegnete ich seufzend und lächelte ihn müde an. ,,Ich weiß, nicht jeder sieht das Geschenk des Blutes auch als ein Geschenk an, leider war es für alles andere zu spät." Schuldbewusst ließ er wieder den Blick sinken. Ich schüttelte den Kopf. ,,Wirklich, ich verzeihe Euch. Ihr habt ja recht, ich habe Brynjolf ein Versprechen gegeben. Ich werde es auch halten müssen" erwiderte ich bestimmt. ,,Ihr solltet nicht nur dafür am Leben bleiben" entgegnete Rodrik ernst ,,Ihr wart gerade einmal ein halbes Jahr in Freiheit, und auch in dieser Zeit wart Ihr nicht wirklich frei, Ihr habt noch einiges nachzuholen. Ihr seid noch jung Saphir, gibt dem Ganzen eine Chance." Mehr oder weniger überzeugt sah ich ihn an und meinte: ,,Übertreibt es nicht gleich." Dann fragte ich: ,,Wie ist es jetzt eigentlich, bin ich wirklich... frei? Haben wir die Schlacht gewonnen?" Darüber hatte der Vampir bisher nichts erzählt. ,,Selbstverständlich, sonst säßen wir jetzt nicht hier. Einsamkeit ist ebenfalls gefallen, Ulfric wird wohl den Thron besteigen. Ich halte ja nicht viel von diesem Bürgerkrieg, aber allem Anschein nach, stehen wir auf der Gewinnerseite" antwortete er und stand auf ,,Ich hab doch noch etwas für Euch." Er kniete sich vor mich hin und zog etwas unter der Bare auf der ich saß hervor. Ein langes goldenes Schwert und einen kleinen Dolch. ,,Ich hab sie natürlich gereinigt" fuhr Rodrik fort während er sich aufrichtete ,,erkennen tut ihr sie hoffentlich trotzdem." Ich legte das Schwert auf meine Handflächen und betrachtete es genau. Diese Klinge hatte mich tödlich verwundet, den Anblick würde ich nie wieder vergessen. Der Moment, in dem Alturiel mich durchbohrt hatte, war für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Irgendwie fühlte es sich gut an, dass er mich doch nicht in den Tod gerissen hatte. Auch wenn er es wohl niemals erfahren würde, meine Existenz hatte er nicht ausgelöscht. Nachdenklich nahm ich nun auch Mercers Dolch entgegen. Ich musste fast schon lachen. Wer hätte gedacht, dass der kleine Dolch, den der Verräter mir in die Seite gestochen hatte, das Leben des großen Alturiels beenden würde? Nun war er endlich fort. Endlich musste ich nicht mehr in Angst vor ihm leben. ,,Ich brauche sowieso ein neues Schwert" sagte ich schmunzelnd. Meines hatte ich ja auf dem Schlachtfeld verloren. ,,Freut mich, dass Euch zumindest das Geschenk gefällt" grinste Rodrik zufrieden. Ich stand auf und steckte beide Klingen in meinen Gürtel. Dabei bemerkte ich das unschöne Loch in meinem Harnisch. ,,Ich sollte mich bald einmal umziehen" murmelte ich. ,,Dafür ist bald noch genug Zeit" bemerkte Rodrik ,,erst einmal sollten wir uns um das Wesentliche kümmern." Erwartend sah er mich an. ,,Das da wäre?" fragte ich verwirrt. ,,Euren Durst stillen" erwiderte er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.  ,,Ich habe aber keinen Durst" antwortete ich. ,,Noch nicht" meinte der Vampir ,,aber wir sollten uns darum kümmern, bevor Ihr hilflose Zivilisten anfallt." Ab sofort müsste ich mich wohl daran gewöhnen, dass nur noch eine Sache auf der Speisekarte stand. Nie wieder würde ich den süßen Geschmack von Met oder Süßkuchen in meinem Mund verspüren. Ob mir Blut schmecken würde? Eine andere Wahl hatte ich ja sowieso nicht. Ich nickte zögerlich und Rodrik lief auf den Ausgang des Zeltes zu. ,,Na dann kommt mit!" Als wir nach draußen traten, brannte die schwache Abendsonne auf meinem Gesicht. Ich senkte meinen Blick, doch auch der Schnee reflektierte die Sonnenstrahlen. ,,Es wird bald dunkel, keine Sorge" flüsterte Rodrik mir aufmunternd zu. Auch damit müsste ich nun leben. Hatte es überhaupt Vorteile ein Vampir zu sein? Früher oder später würde ich das bestimmt noch herausfinden. ,,Wo sind wir überhaupt?" fragte ich während ich meinen Kopf langsam hob. Um uns herum waren ein paar weitere Zelte, aus denen ein unvergleichlicher Duft in meine Nase stieg. ,,Nach der Schlacht gab es viele Verletzte" erklärte Rodrik ,,die Sturmmäntel hatten noch ein Lager westlich der Botschaft, in das sie all ihre Verletzten gebracht haben. Dort befinden wir uns gerade." War es also der Geruch von Blut, der mir so gefiel? Ich konnte einfach noch immer nicht glauben, dass Rodrik mich verwandelt hatte. Hoffentlich würde ich mich nicht zu einem blutsaugenden Monster entwickeln. Gut, dass ich einen erfahrenen Vampir an meiner Seite hatte. ,,Wir sollten lieber fortgehen" sagte ich entgegen meines Verlangens. Rodrik nickte nur und erwiderte: ,,Wir müssen sowieso nach Süden. Man erwartet Euch dort bereits. Am Wegesrand finden wir sicher auch etwas um den Durst zu stillen!" Gemeinsam stapften wir durch den Schnee von den Zelten weg. Ich drehte mich noch einmal um und konnte in der Ferne Rauch aufsteigen sehen. Rodrik blieb stehen und folgte meinem Blick. ,,Scheint als ob das Haus der Elfen noch immer brennt" bemerkte er nur und zwinkerte mir zu, bevor wir weiterliefen. ,,Was ist eigentlich mit den Männern meines Vaters?" fragte ich, als wir den Weg erreicht hatten. ,,Viele sind es nicht mehr, ich glaube nicht, dass sie nach Valenwald zurückkehren wollen. Vermutlich bleiben sie irgendwo hier in Himmelsrand und bauen sich eine Existenz auf." Ich zuckte nur mit den Schultern. Wahrscheinlich hatte er recht. Nach Valenwald konnten sie wohl wirklich nicht mehr zurück, dort warteten bestimmt schon zornige Thalmor auf sie. ,,Das mit Eurem Vater tut mir übrigens Leid" fügte Rodrik leise hinzu ,,für ihn war wirklich alle Hilfe zu spät." ,,Das muss es nicht" sagte ich überzeugt und blickte auf die fernen Landschaften vor uns ,,er ist jetzt bei meiner Mutter. Im Leben war ihm das vergönnt, doch im Tod kann sich nichts mehr zwischen die beiden stellen." ,,Das ist ein schöner Gedanke" erwiderte er lächelnd. Ich antwortete nichts. Ich musste ihm ja nicht erzählen, was ich gesehen hatte, bevor ich in dem Zelt aufgewacht war. Meine Eltern zusammen zu sehen hatte mich mit einem Glück erfüllt, dass ich noch nie zuvor in meinem Leben verspürt hatte. Sie hatten so glücklich ausgesehen, so friedlich. Natürlich tat es weh, dass mein Vater gestorben war, aber das Wissen, dass er nun wieder mit der Liebe seines Lebens vereint sein durfte, machte mich glücklich. Ich hatte seine Sehnsucht nur zu gut verstehen können. Nach etwa einer Meile erreichten wir eine Gabelung. In der Mitte stand ein Wegweiser, auf dem mehrere Städte ausgeschildert waren. Halb von Moos bewachsen, erkannte ich Rifton und wies Rodrik an, nach links zu gehen. ,,Ich hab wohl jetzt eine Gilde zu führen" verkündete ich dabei. ,,Und was ist mit mir?" fragte Rodrik neugierig. Ich lächelte und erwiderte: ,,Ihr seid frei, geht wohin Ihr wollt." Ich drehte mich um und lief ein paar Schritte die Straße hinunter, bevor ich hinzufügte: ,,Allerdings wäre es mir lieber, Ihr bliebet an meiner Seite." Zufrieden kicherte der Vampir und eilte mir hinterher. Wer hätte gedacht, dass eine zufällige Begegnung im Gang von Festung Unterstein mein Leben so sehr verändern würde?

Ob ich Brynjolf jemals vergessen könnte, das wusste ich nicht. Doch nun war es an der Zeit ein neues Leben zu beginnen. Frei von Verfolgung und Krieg. Ich musste die Vergangenheit nun hinter mir lassen. Was geschehen war, war geschehen und daran konnte ich auch nichts mehr ändern. Jetzt würde ich nach vorne blicken. Ich würde alles daran setzen, Brynjolf Versprechen zu erfüllen. Zum Glück war ich auf diesem Weg nicht alleine. Mit Rodrik hatte ich einen wunderbaren Freund an der Seite, der niemals von mir weichen würde. Dankbar lächelte ich ihn an. Er zwinkerte verschwörerisch und meinte: ,,Und wenn Ihr über den hübschen Dieb hinweg seid, sagt mir bitte Bescheid." Ich rollte stöhnend mit den Augen und entgegnete: ,,Hab ich Euch heute schon einmal gesagt, dass ich Euch hasse?"

Saphir    [~Vilkas FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt