Kapitel 3

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Wiegenlied
Kapitel 03

Es brannte fürchterlich, als ich meine Hand unter das kalte Wasser tat. Ich schloss dabei fest meine Augen und biss mir auf die Lippe. Den Geruch von Blut konnte ich nie vertragen, deshalb war ich froh, dass es keine allzu tiefe Wunde war und das Blut sofort gestillt war, ohne dass es richtig angefangen hatte zu fließen.

Ich versuchte vergebens meine Gedanken zu orrientieren. War das wirklich der Fahrer von gestern gewesen? Konnte er sich an mich erinnern? Und wenn schon.

Als ich kurz die Augen öffnete, sah ich am Glas mein Gesicht spiegeln. Das schwarze lockere leicht gelockte Haar, die dunklen fast schwarzen Augen und da blasse Gesicht, dem nun alle Farbe entwichen war. Nur die Lippen waren rötlich. Ich schloss die Augen wieder.

Ein leises Quietschen verriet mir, dass Ecrin den Raum betreten hatte. Ohne mich umzudrehen, begann ich zu sprechen. »Bitte sag mir, dass dieser Arschloch nicht hier arbeitet.«

Jetzt erst öffnete ich meine Augen und trocknete meine Hand ab. Die Schritte hinter mir wurden näher. »Wieso fragst du den Arschloch nicht selbst?«

Oh shit. Es war doch nicht Ecrin.
Ich drehte mich um und sah dem Arschloch direkt in die Augen. »Arbeitest du hier?«
Er wollte doch so unbedingt, dass ich ihn fragte.

»Nein«, antwortete Burak. »Ehrlich gesagt bin ich auch froh darüber. Menschen, die einen schon mit Vorurteilen herumschmeißen, ohne die Person zu kennen, können mich mal.«

»Ich bin in der Lage, Menschen unterscheiden zu können. Bei manchen dauert es nicht Jahre, um das zu merken und jemand, der gerade erst reinkommt und der schon am Stress machen ist, ist nicht schwer einzusortieren.«

Er starrte mich hasserfüllt an und wollte etwas sagen, doch ich unterbrach ihn sofort. »Außerdem ist dieser Raum genauso wie das Personalzimmer für Angestellte und du gehörst schließlich nicht dazu.«

Mit diesen Worten ging ich aus dem Raum. Zumindest arbeitete er nicht und er hatte mich auch nicht erkannt. Zwei gute Dinge auf einmal.

Ecrin ging an mir vorbei in den Raum, wo Burak war. Ich hatte den Drang auch wieder reinzugehen, aber stattdessen machte ich mich wieder an die Arbeit. Ich versuchte mich auf andere Gedanken zu bringen. Als ich dann wieder an dem Raum vorbeikam, hörte ich Burak mit einer wütender Stimme sprechen. »Du weißt viel besser als ich, warum du dich mit dieser Furie abgibst! Als ob das was wert ist, siehst du nicht, wie die dich ansieht?«
Okay, sie redeten über mich.

»Ist okay!«, kreischte Ecrin zurück. Ihre Stimme wurde wie ein Wimmern. »Ich weiß es selber.«
Mit den Worten lief sie in Richtung Tür.

Ich machte einige Schritte weg von dem Raum. Eigentlich hatte ich das auch nicht hören wollen. Was interessierte es mich schon, was die beiden von mir hielten?

Kurz vor Schluss kam der Chef zu uns. Er lächelte uns freundlich an. Einige weiteren Angestellten waren noch da und Burak war schon lange weg.
»Wie ihr gemerkt habt, haben wir eine Neue unter uns. Das ist Aslı«, stellte er mich vor. Ich lächelte nur leicht. Der Rest stellte sich vor.

»Du kannst mich Cesur nennen«, meinte der Chef. Ich nickte nur, woraufhin er noch breiter lächelte und zu dem Rest der Leute sah. »Wie wäre es, wenn wir morgen eher Schluss machen und dafür uns alle zusammen setzen und etwas essen?«
Für eine neue Angestelltin? Eher unwahrscheinlich.

Natürlich waren alle einverstanden. Wobei ich gar keine Lust hatte. Langsam wollten dann aber auch alle gehen.

»Ecrin, könntest du noch eine Weile bleiben?«, fragte dann Cesur.
»Natürlich.«
»Es könnte länger dauern.«
Ecrin sah zu mir. Ach ja. Sie wollte mich ja fahren.

»Ich nehme einen Bus«, gab ihr Bescheid. Sie lächelte dankbar und somit ging ich endlich raus. Mein Weg führte mich direkt zur Haltestelle, wo ich meine Kopfhörer an mein Ohr stöpselte und versuchte die Welt zu vergessen.

Doch so einfach ging das nicht. Vor allem, wenn irgendwelche dummen Männer einen von hinten angafften. Erbärmlich.

»Süße, wie heißt denn du?«, kam von dem Typ. Noch fünf Minuten. Dann kommt mein Bus.
»So eine hübsche wie dich findet man nicht alle Tage.«
Besseres fällt ihm nicht ein?

Natürlich musste er sich ja auch noch direkt vor mich stellen und wie ein Penner grinsen. Warte, den kenne ich doch.

»Lust auf was Neues?«
Er versuchte seine Hand auf meine Wange zu tun, doch ich wich aus. Das war der Typ aus den Restaurant. Der, der sein Glas gegen Burak geworden hatte.

Nur noch vier Minuten.

»Stehst du nicht auf Spaß?«, lachte er. Ich versuchte mich unter Kontrolle zu halten. Nur nicht ausrasten.

Nur noch drei Minuten.

In diesem Augenblick passierten viel zu viele Dinge viel zu schnell hintereinander. Er packte mich fest am Arm und zog mich voller Gewalt zu sich. Ich hatte gerade den Gestank von Alkohol aus seinem Atem wahrgenommen, da landete auch schon meine Faust auf seinem Auge. Er taumelte nach hinten. Ich trat fest gegen seinen Bauch.

Ein kurzes Ziehen entstand an meinem Knie und kaum war es weg, stand ich auch schon in meinem Bus und setzte mich auf einen freien Platz. Mein Herz schlug verdammt schnell. Gut, dass ich das hinter mir hatte.

Ich hatte Glück gehabt. Mal wieder. Hätte er gewusst, dass ich mich gut wehren könnte, hätte er stärker zugepackt.

Was erwarteten Männer schon von Frauen? Die meisten waren eh der Meinung, dass wir nur ans Herd gehörten und die anderen begegneten mir natürlich nicht. Vielleicht war ich ein Magnet für Arschlöcher.

Zumindest war ich oft in Kampfsportarten tätig gewesen. Seit ich zehn war, war ich schon in vielen Kursen. Es hatte mich vom Stress ferngehalten und mich vom Alltag abgelenkt. Ansonsten hätte mich Neslihan gezwungen mit irgendwelchen "Freundinnen" zu treffen.

»Kenne ich sie nicht von irgendwoher?«, sprach mich eine männliche Stimme von vorne an. Ich sah zu ihr hoch. Heute war eindeutig ein schlechter Tag. Ich schüttelte gleichgültig den Kopf.

Er ließ jedoch nicht locker. »Doch doch! Du bist das Mädchen, dass weggerannt ist. Erinnerst du dich an gestern? Ich bin der Polizist.«
Nein. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein? Das war absurd. Einfach nur absurd.

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