Kapitel 40

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Wiegenlied
Kapitel 40

Wie konnte man es wagen, so spät zu einem Treffen zu erscheinen und dann noch so ein Grinsen im Gesicht zu haben? Burak sollte sich glücklich schätzchen, dass ich ihm nicht gleich den Hals verrenkte.
»Wo ist Meltem?«, forderte ich mit scharfer Stimme.
»Dir auch Hallo«
»Wo ist Meltem?«
»Ja, ich hab dich auch vermisst.«
Sein Grinsen wurde breiter. Wieso musste er nur so unmöglich sein?

Ich verdrehte die Augen. »Burak, ich finde das nicht lustig. Wo ist Meltem?«
»Hab sie wohl zu Hause vergessen.«
Er legte einen Arm um meine Schulter und wollte mich in eine Richtung ziehen, jedoch wich ich seinem Griff aus und sah ihn wütend an. »Was soll das?«
»Das war ein Witz. Sie ist mit Mahmud im Kino und wenn der Film aus ist, muss er zu seinem Vater, das heißt, jemand muss auf die Kleine aufpassen, damit sie nicht wieder abhaut und mal glücklich ist.«

»Sag das doch vorher«, sprach ich gereizt und verschränkte meine Arme.
»Ah«, nuschelte er und holte aus seiner Hosentasche eine Kette heraus. »Als Entschädigung, dass ich zu spät gekommen bin.«
»Was ist das?«, fragte ich verwirrt, als er sie schon um meinen Hals geworfen und zugeschlossen hatte.
»Eine Kette.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Eine Entschädigung.«
»Du bist heute aber kreativ drauf«, meinte ich ironisch und sah mir die Kette an. Es war eine Uhr.

Jap, weil er ja zu spät kommt, brauche natürlich ICH eine Uhr. Bevor ich sie mir noch genauer anschauen konnte, griff er schon nach meiner Hand und zog mich wieder mit sich. Ich lief also mit ihm zum Eingang des Kinos.

Es dauerte nicht lang, da kam auch schon ein Schwall von kleinen, kreischenden und lachenden Kindern. Eins von ihnen war Meltem. Sie hielt diE Hand von Mahmud, dessen Augen verengt zu mir sahen. Das musste wohl ein Zeichen von Liebe sein.

»Deine wievielte ist Aslı jetzt noch einmal?«, fragte Mahmud amüsiert, als er bei uns ankam.
»Mahmud, wenn ich du wäre, würde ich die Klappe halten. Deine kleine Schwester ist hier, wenigstens neben ihr könntest du dich mal halten.«
Mahmud lachte. »Natürlich, ich habe sowieso noch genügend Zeit, um mit Aslı zu reden.«

In dem Moment hatte Meltem sich zu mich gequetscht und umarmte mich. Sie redete wie ein Wasserfall, während ich versuchte den beiden Jungs zuzuhören. Es ging schließlich um mich. Ich seufzte, weil ich nichts weiteres verstand und Mahmud nun weglief.
Ich wollte fragen, was los war, aber konnte es schlecht, weil gerade Meltem bei uns war. Sie war klein, aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie schlauer war, als sie tat.

Wir gingen etwas essen und Meltem erzählte uns von ihrem Kindergarten. Ich konnte mich nicht ganz auf sie konzentrieren, weil ich halbwegs damit beschäftigt war, Burak böse Blicke zu werfen und er gekonnt alles ignorierte und sich seiner Cousine widmete.

»Weißt du, was ich glaube?«, flüsterte sie und kicherte zu Burak. »B und A steht für Burak und Aslı!«
»Was?«, riefen ich und Burak im Chor. Meltem grinste noch mehr. »Aslı guckt dich doch auch die ganze Zeit an!«
Okay, ich mochte Meltem ja, ich mochte sie sogar sehr, aber das ging über meine Grenze. Manchmal konnten Kinder Dinge sagen, für die ich sie erwürgt hätte, wären sie erwachsen. Außerdem, als Kind sollte man doch wütende und verliebte Blicke unterscheiden können!

»Das hast du falsch verstanden«, lachte Burak und strich ihr über das Haar. Ich sah aus dem Fenster. Wieso noch einmal war ich hier? Um mich erst von Mahmud und dann seiner Schwester demütigen zu lassen?
»Hab ich nicht«, protestierte sie.
»Doch, das B steht nämlich für Burak und das A für Anne (Mama). Ich liebe meine Mama doch.«
Wie gut er eine Lüge finden konnte.
»Achso«, murmelte Meltem nachdenklich. »Dann will ich auch ein A und B ritzen!«
»Wieso denn?«, forschte Burak. Wenn er mit Meltem sprach, hatte er immer einen anderen, viel sanfteren Gesichtsausdruck.
»Wegen Baba (Papa) und Anne (Mama)«, meinte sie, als sei das selbstverständlich. Dabei fuchtelte sie mit ihren Armen herum. »Wenn man etwas in das Holz ritzt, dann bleibst es doch für immer. Und nichts kann es weg machen, oder?«

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