Kapitel 54

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Wiegenlied
Kapitel 54

Es war verblüffend, wie eine heiße Dusche dir die Sorgen wegnehmen konnte. Das Wasser entspannte meine Glieder. Es brannte auf meiner Haut, fühlte sich jedoch unbeschreiblich gut an. Meine Fingerkuppen hatten sich wieder zusammengezogen und sahen daher faltig aus. Wie lange stand ich unter der Dusche? Nachdem ich ausstieg, trocknete ich meinen nassen Körper ab, zog mich an und band mein Haar zu einem Dutt. Ich hörte Neslihans Stimme von hier aus. Sie war wahrscheinlich gerade nach Hause gekommen und kündigte das lautstark an. Wie immer. Als hätte sich nie etwas geändert

. Ich musste lächeln, da mein Timing perfekt war und kam aus dem Badezimmer.
»Wie war dein Tag?«, fragte sie mich, als ich zu ihr in das Wohnzimmer kam.
Beschissen, dachte ich, nachdem ich mich auf das Sofa setzte. »Gut, deiner?«
»Ging, hab gekündigt.«
»Was? Wieso?«
»Mach doch kein Drama daraus, ich finde eh ruck zuck 'nen neuen Job, wenn ich einen suche. Gerade brauche ich aber nur Freizeit.«
»Wegen mir?«
»Genau!«, riss sie sarkastisch ihre Augen auf. »Weißt du, gestern wurde eine Bank überfallen. Wahrscheinlich auch wegen dir. Hör mir auf mit diesem Kram. Du bist meine Nichte, ich gebe mein Leben für dich. Mein Leben ist dein Leben. Ende.«

Sie schaltete den Fernseher an und legte die Fernbedienung auf den Tisch.
»Okay okay«, sagte ich. »Ich hab einen Vorschlag. Lass uns eine Fragerunde machen.«
»Was für eine Fragerunde?« Ich musste schmunzeln. Das war dasselbe, was ich Ecrin gesagt hatte, als sie mich das gefragt hatte. Damals hatten wir uns nicht richtig gekannt. Auf einem Schlag wurde ich dann aber wieder ernst. »Also ich stelle eine Frage du beantwortest und dann stellst du die Frage, es geht halt immer so weiter.«
Sie sah mich nachdenklich an. »Na gut.«

»Dann fange ich an«, sprach ich. Noch auffälliger hätte ich nicht zeigen können, dass ich Antworten wollte. »Wieso hast du gekündigt?«
»Ich mach da nicht mit«, gab sie auf.
»Du darfst mich dann auch etwas fragen!«
»Was immer ich will?« Das bedeutete nichts Gutes. Wir wussten beide, wer die besseren Fragen stellen konnte. Aber anders würde ich an keine Antworten bekommen. Daher nickte ich.
»Ich hab gekündigt, weil ich mehr Zeit für die ganze Sache brauche. Das mit Kaan hat mich noch einmal umgehauen. Ich kann und darf einfach an nichts anderes mehr denken.« Also doch wegen mir.

Ich nickte nur.
»Ich bin dran. Woher kanntest du Kaan?«, begann sie.
»Der war so ein komischer Typ, der früher, als ich noch klein war auf meiner Straße gewohnt hat. Er meinte immer, dass ich ein kleines verwöhntes Gör bin. Keine Ahnung. Ich war gerade neun, als wir weg waren. Da ist so viel Zeit vergangen.«

Ich erinnerte mich noch, wie er einen immer beschimpfte und Burak ihm jedes Mal drohte, ihn in die Müllcontainer zu befördern, weil er mich "beschützen" wollte.
»Wie kommt dieser Typ überhaupt auf dich?«, forschte Neslihan weiter nach.
»Immer nur eine Frage! Ich bin dran. Wer ist Armi?«
Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, bevor sie antwortete. »Eine Freundin aus der Uni. Sie hat aber im Gegensatz zu mir Jura studiert und ist jetzt Anwältin... Kennt Burak Kaan?«
»Er kannte ihn. Jetzt sieht es nicht mehr danach aus-«

»Ich hab überreagiert«, unterbrach sie mich verlegen. »Also mit der Sache mit Burak. Solange er dich nicht wiedererkennt, ist alles in Ordnung und da-«
»Da Asya tot ist, wird mich niemand wiedererkennen. Ich weiß.«
»Ich weiß nicht, ob du es wusstest, aber Burak hat wohl ziemlich gelitten danach. Er hat sich mit Menschen abgegeben, die dir ähnlich aussahen. Er war klein und das war wahrscheinlich eine schwere Zeit. Es scheint jedoch, als hätte er begriffen, dass das nichts bringt und- ich glaube genau deswegen wird er sich einreden, dass er sich irrt. Er hat früher in jedem nach dir gesucht. Als seist du nur in einen anderen Körper geschlüpft und jetzt, egal, ob es Eigenschaften an dir gibt, die ihn an Asya erinnern, er wird sie unterdrücken und sich einreden, dass er sich das wieder nur einbildet. Dass Asya tot ist.«

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