Kapitel 29

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Wiegenlied
Kapitel 29

Ich verdrängte den Gedanken, dass Burak wirklich die Uhr geklaut haben könnte und versuchte mich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Dieses Café war gut besucht. Die meisten Tische waren besetzt, vor uns saß eine Mutter mit ihren Kindern, hinter uns eine Gruppe von Mädchen und sonst war auch immer jemand am Reden. Stille war hier wohl ein Fremdwort. Ich fühlte mich wieder fehl am Platz und wusste auch nicht, weshalb ich nicht einfach wegging.

Burak sah angespannt aus. Seine Körperhaltung war so, als müsste er jeden Moment kampfbereit sein. So sah er oft in letzter Zeit aus, fiel mir auf und am liebsten hätte ich ihm gesagt, er sollte locker sein und sich entspannen. Das aber würde man falsch verstehen und deshalb begann ich einfach mit einer Frage. »Du willst doch, dass ich kündige. Warum? Wie kann mich Cesur denn ausnutzen?«

Er lehnte sich zurück. »Das kann ich dir nicht sagen.«
»Dann kann ich auch nicht kündigen. Wieso sollte ich denn überhaupt kündigen, ohne zu wissen, aus welchem Grund?«
»Es ist deine eigene Wahl, Aslı.«
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. Meine Wahl! Immer wurde gesagt, irgendetwas sei meine Wahl, dabei war es nie so. Mir wurde gezeigt, was ich machen sollte oder indirekt sogar musste und hinter dieser Aufforderung klatschte man ein "Es ist natürlich deine Wahl" hinein. Lächerlich.

»Willst du mich nichts anderes fragen?«, forschte Burak nach. Sein Blick wurde intensiver und ich hatte das Gefühl, er würde eine Antwort in meinen Augen suchen. Ich tat es ihm gleich, doch seine Augen verrieten nicht viel. »Was sollte ich sonst fragen?«

Burak lachte auf. »Vielleicht, warum meine Onkel sich so streiten? Mehr Details über meinen Vater? Irgendetwas.«
»Das geht mich nichts an.«

Warum dachte er, ich würde mich wie andere darum reißen, mehr darüber zu erfahren? Es regte mich auf. Immer diese Vergangenheiten, die im Leben eine solch große Rolle spielten.

Ich hatte den Blickkontakt abgebrochen und sah starr nach vorne. Das eine Kind am Tisch vor uns begann zu weinen, weil ihre Schwester sie geschlagen hatte. Sie suchte Zuflucht bei ihrer Mutter und in dem Moment, als sie in ihren Armen war und einen Kuss von ihrer Mutter auf den Kopf bekam, verstummte sie, als seien alle Schmerzen auf einen Schlag verschwunden.

»Man sollte einfach nur wertschätzen, was man hat«, sprach ich betont.
Buraks Blick folgte meinem. »Du vermisst wohl deine Mutter.«
Ich wendete schnell meinen Blick von der Mutter und sah zu ihm. Er lächelte verständnisvoll. »Darf ich dich fragen, weshalb sie in der Türkei ist und du hier?«

Ich blinzelte. »Nein.«
»Und wieso?«
»Das ist ein Tabu-Thema.«
»Ich kriege es sowieso heraus.«

Er schenkte mir wieder ein schiefes Grinsen und seine Anspannung war auch wie verschwunden. »Ich hab dein Versteck gefunden. Da wird es nicht schwer sein, ein Geheimnis herauszukriegen.«

Ich drückte meine Zähne so fest aneinander, dass mein Kiefer schmerzte. Ein Gutes hatte das. Es betäubte den Schmerz in meinem Herzen, denn ja, ich hatte meine Mutter vermisst. Und wie ich sie vermisst hatte. »Wirst du nie aufgeben?«

»So eine Möglichkeit gibt es nicht.«
Ich stand ruckartig auf. »Ich gehe.«
»Wohin?«
Er war auch aufgestanden und hielt mich am Arm fest. »Ich fahre dich.«
»Ich will allein gehen.«

»Du hast mich in diesem scheiß Restaurant nicht allein gelassen, da lasse ich dich hier auch nicht allein. Sag einfach wo du hinwillst und erschwer uns die ganze Sache nicht.«
»Ins Polizeirevier.«
Es sprudelte so aus meinem Mund. Ich war selbst überrascht von meiner Antwort, ließ mir jedoch nichts anmerken.

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