Kapitel 20

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Wiegenlied
Kapitel 20

Burak und ich waren aus dem Restaurant gelaufen und machten uns auf den Weg, Meltem zu finden. Diese Situation war mehr als unangenehm für mich. Sie hatte sich breit gemacht in meiner Brust und fraß sich weiter in meinem Inneren durch.

Wieso war ich überhaupt am Suchen? Ich wusste ja nicht einmal, wie diese Meltem aussah. Dazu war das Letzte, was ich gerade wollte, Buraks Anwesenheit.

»Soll ich nicht zurück, ich weiß ja nicht einmal, wie sie aussieht«, schlug ich vor. Ich musste dauernd daran denken, dass Burak von mir verlangt hatte, ihn auf die Wange zu küssen. Wollte er mich so sehr provozieren?

»Warte«, sagte Burak kalt, zog sein Handy heraus und sah in seiner Galerie nach. Wieso war der Typ jetzt wieder so kalt? Gerade noch küssen lassen und jetzt ein Eisbrocken werden.
-Und ich hatte das ehrlich getan.
Ich verdiente tausend Peitschenhiebe.

Abrupt blieb er stehen und deutete auf das Foto auf seinem Bildschirm. Ich entdeckte darauf ein Mädchen, höchstens zehn Jahre alt, welches breit lächelte. Ihr Haar war braun, gelockt und sehr lang. Die Augen waren dieselben, wie die von Mahmud.

In dem Moment, als ich das Bild studierte, spürte ich den Blick von Burak deutlich auf mir. Ich starrte extra etwas länger auf sein Handy, weil ich abwarten wollte, bis er nicht mehr so intensiv zu mir sah. Er ließ es nur nicht sein und ich blickte in seine Augen, als Zeichen, dass ich mir das Foto lange genug angesehen und jetzt das Aussehen von Meltem kannte.

Sein Blick hing in meinem, wie zwei Haken aneinander. Ich erwartete zuerst, dass er wegsah. Er tat es aber nicht. Das hieß für mich wegzusehen, jedoch tat ich das auch nicht. Ich versuchte es- einmal-zweimal, aber irgendetwas in mir wollte standhalten.

Seine braunen Augen funkelten, als Bedeuteten sie Geborgenheit, Sicherheit und Wärme. Ich spürte eine leichte Brise Wind auf meiner Haut, erfrischend, erleichternd, als seien alle Sorgen und Lasten von meinen Schultern genommen. Ich nahm ein Lachen war.

Die Stimme war so bekannt und doch so fremd und fern, aber sie schien real, dass ich zuerst dachte, jemand hätte wirklich gelacht. Ich spürte feuchtes Gras unter meinen Füßen, fühlte mich frei und gleichzeitig so, als würde ich fliegen und das nur, weil ich in diese Augen sah. Als würde ich in einen Traum blicken- und nicht in die Augen eines Arschlochs.

Ich sah in seine Augen, die mich min Bild spiegelten und betrachtete kurz mich selbst. Aslı. Damit konnte ich meinen Blick anwenden.

Gleich nachdem ich meinen Blick losbekommen hatte, spürte ich meinen schnellen Herzschlag. Verdammt. Konnte mein Herz nicht aufhören so schnell zu pumpen?

Wir sahen uns dann im Park um. Burak wurde langsam hysterisch.
»Wir finden sie schon. Sie ist doch noch ein Grundschulkind, wo kann sie sich bitte treiben?«, meinte ich verständnislos.
»Ich kann nicht fassen, wie Mahmud sie aus den Augen verloren hat«, zischte Burak und fuhr sich mit der Hand durch das Haar.

Wer ihn so sehen würde, würde denken, er wäre besser als Mahmud. Hasserfüllt blickte er mich an. »Glaub mir, irgendwann spürt der es richtig. Meltem ist doch schonmal abgehauen, da-«
»-Sie ist schonmal abgehauen!?«
»Ja-ah«, gestand er. »Es ist wegen ihren Eltern. Sie streiten sich nur und sie denkt, dass sich somit ihr Streit auflöst.«
Ich spürte wie Mitleid aufstieg. Es tat weh. Meine Eltern hatte ich nie streiten gesehen. Nie. Es war einfach so, dass wenn sie sich stritten, sie mir aus dem Weg gingen. Sonst würde meine Psyche zerstört werden, dachte meine Mutter immer. Ich hatte meine Eltern nur einmal Streiten gesehen und das- das war das Schlimmste, was ich je in meinem Leben erlebt hatte.

Gleichzeitig war ich sauer auf Mahmud.
»Wo geht sie gern hin, welche Orte kennt sie?«, fragte ich weiter.
»Was wenn sie einfach weggerannt ist? Wir können doch nicht die Welt absuchen!«
Er schien immer verzweifelter zu werden.
»Burak, du meintest doch, dass sie nur will, dass ihre Eltern sich vertragen. Das heißt, sie wird zurückkehren. Nur die Frage ist- wann. Komm, lass es uns wo anders versuchen.«

WiegenliedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt