Kapitel 55

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Wiegenlied
Kapitel 55

Es war ätzend, dass ich in den nächsten Kleiderladen stürzte und mir das erstbeste Kleid holte.
»Sie sehen perfekt aus!«, lobte mich die Angestelltin und klatschte mit den Händen. Ich verdrehte die Augen. Jeder wusste doch, dass ihre Aussagen so gekünstelt waren, wie es ging. Wieso also versuchte sie immer noch einem Komplimente zu machen, die nicht zutrafen? Perfekt. Das ich nicht lachte.

Ich blickte auf mein Spiegelbild und war eigentlich zufrieden. Die einzige Bedinging, die mein Kleid erfüllen sollte war, dass es meine Schultern und damit meine Narbe bedecken sollte. Die Angstelltin reichte mir eine Maske, die ich schnell um den Kopf band. Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich Burak begegnen sollte, würde er mich sofort erkennen und dann würde die Frage auftauchen, weshalb ich dort bin und nicht mit ihm gegangen war. Ich wollte nicht dorthin, um Spaß zu haben. Nur dieses "Heft" von Kaan musste ich finden und das war hundert Prozent kein Vergnügen. »Ich will nicht, dass man mich sofort erkennt.«
»Wieso nicht?« Was interessierte sie das? Mussten Menschen sich immer in meine Angelegenheiten einmischen?
Sie merkte, dass ich genervt war und reichte mir einfach eine weitere, die wirklich gut war. So könnte ich hingehen.

Ich kaufte alles und fuhr mit dem Bus nach Hause. Leise schloss ich die Tür auf, damit Neslihan mich nicht hörte. Ansonsten würde sie fragen, weshalb ich ein Kleid und vor allem eine Maske geholt hatte. Leise tapste ich in mein Zimmer, legte die Tüte in meinen Kleiderschrank und hörte dabei mehrere Stimmen.
Neslihan war nicht allein.

»Aslı!«, rief meine Tante, als ich wieder in den Flur kam. »Meine Freundin, Armi und ihre Schwester Tamara sind hier. Du willst sie doch sicher kennenlernen.«
Ich nickte, begrüßte die beiden und setzte mich auf das Sofa. Tamara warf mir einen komischen Blick zu. Ich verstand diese Frau einfach nicht. Wenn sie ein Problem hatte, dann sollte sie es mir einfach sagen und wenn sie sauer war, dass ich im Krankenhaus war, sollte sie keine dummen Vorschläge mehr machen.

»Nett euch kennenzulernen«, sprach ich höflich. Während Tamara immer noch komisch zu mir blickte, lächelte mich Armi freundlich an und stellte mit dann einige Fragen, wie zum Beispiel, wo ich arbeitete und was meine Ziele waren. Unnötiger Quatsch. Wahrscheinlich wusste sie sowieso schon alles. Was versuchte sie also zu erreichen?

Sie redeten über dies und das. Ich war die meiste Zeit am Schweigen und als es langsam dunkel wurde, fand ich schnell eine Ausrede, um von hier wegzukommen. »Neslihan, ich habe Kopfschmerzen, kann ich mich etwas hinlegen?«, fragte ich. Sie nickte. Ich entschuldigte mich bei den Gästen und lief in mein Zimmer. Ich schloss die Tür ab und öffnete das Fenster. Ob ich von hier runter springen könnte?

Einen Versuch war es wert. Außerdem schaffte es ja Burak auch. Ich warf zuerst die Tüte mit dem Kleid runter. Es landete auf dem Boden mit einem dumpfen Geräusch. Danach schwang ich vorsichtig den einen Fuß über das Fenster und dann den anderen. Ich drückte mich runter und landete auf dem Boden und schloss dabei das Fenster. Ein stechender Schmerz durchbohrte kurz mein eines Bein, verschwand dann aber rasch. Ich nahm rasch die Tüte vom Boden und lief raus. Ich ging in das erste Café, das ich sah und bestellte mir kurz etwas. Nachdem ich ausgetrunken hatte, lief ich auf die Toilette, zog mich um so gut es ging und richtete kurz mein Haar.

Ich musste nicht besonders aussehen, sollte es besser auch nicht. Auf keinen Fall wollte ich auffallen. Eine Kundin sah mich skeptisch an. Ich ignorierte ihren Blick und verließ das Café.

Nie hätte ich gedacht, irgendwann einen Fuß auf diesen Ort zu setzten. Der Vorgarten der Villa war schon voller Menschen. Sie lachten und unterhielten sich.
»Ach, Arda hat den Tod seiner Frau immer noch nicht akzeptieren können und das seiner Tochter überhaupt nicht!«, redete eine Frau schwärmend. Ich wollte gehen, weil ich mir diesen Quatsch nicht länger reinziehen wollte, da sprach sie aber etwas aus, was mich zum stocken brachte. »Er hat wohl nicht einen einzigen Gegenstand aus ihrem Zimmer seitdem gewechselt! Die Kleider hängen immer noch und genauso das Zimmer seiner Tochter!«

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