Wiegenlied
Kapitel 12Krächzend kam ich am Apartment an. Wie lange hatte ich dort rumgesessen und nur nachgedacht? Na ja, nachgedacht wohl eher nicht, meine Gedanken waren so unsortiert und flogen kreuz und quer. Da konnte man schwer nachdenken, aber wie viel Zeit bei diesem Versuch verstrichen waren, wusste ich nicht.
Der Himmel war gleich geblieben, vielleicht ein Stück dunkler, mehr nicht.
Als ich dann den Zettel, der an der Tür zu unserer Wohnung sah, wurde ich plötzlich noch erschöpfter. Darauf stand folgendes:"Da du nicht früh kommst, hab ich mir gedachte, heute weg zu bleiben. -Nesli"
Wieso? Ich riss den Zettel von der Tür. Nesli hatte ich sie früher immer genannt, weil mir Neslihan zu lang vorkam- damals, als ich noch klein war.»Aslı?«
Nicht das auch noch. Ecrin sah mich verwundert an und kam gleichzeitig auf mich zu. »Du bist abgehauen, alles okay?«
»Ja«, lächelte ich gespielt. »Hat er mich gefeuert?«
»Wenn ja, hat er nichts davon gesagt.«
Ich stöhnte.»Sieht aber nicht grad nach "alles okay" aus«, meinte sie.
»Neslihan ist nicht da. Das ist alles.«
»Echt?«, fragte sie, obwohl sie ja die Antwort schon kannte. »Willst du bei uns essen? Mein Vater und ich sind erst grad gekommen. Deshalb essen wir gerade.«»Nein danke«, lehnte ich ab und kramte nach meinem Schlüssel.
»Wirklich nicht? Du willst alleine essen?«
»Ich bin gern allein.«
Gelogen... zur Hälfte.»Was ist denn, Ecrin?«, ertönte da die Stimme ihrer Mutter und sie kam zu Ecrin.
»Darf Aslı bei uns essen?«, fragte Ecrin drauf sofort.
»Natürlich! Komm her, wir haben auf jeden Fall noch einen Platz für dich! Du bist immer Willkommen.«Wieso diese Freundlichkeit? Ich hätte ablehnen können, ja, ich hätte wieder tausend Theorien erstellen können, misstrauisch zu sein, ich tat es jedoch nicht. Es war eben so. Eine Mutter bewegte viel in mir. Eine Mutter war etwas besonderes. Einer Mutter widersprach man nicht.
Somit ging ich mit hinein.Ecrin hatte wohl keine Geschwister. Wir saßen zu viert am Esstisch und es herrschte eine lockere Atmosphäre. Ich war etwas angespannt, aber das Essen war köstlich und ich genoss es. Essen von einer Mutter. Welches Essen konnte schöner sein?
Meine Mutter kochte fast nie. Ausnahme war, wenn ich krank war. Dann machte sie mir eine schöne warme Suppe, aber das war auch das Einzige, was sie beherrschte.
Das lag wohl an ihrer Familie. Neslihan konnte es auch nicht. Das hieß, dass ich hier das Gen meines Vaters geerbt hatte.
»Schmeckt es dir?«, fragte Ecrins Mutter mit einem breiten Lächeln. Ich nickte daraufhin. »Sehr.«
»Kein Essen kann so gut sein«, meinte Ecrins Vater. Langsam gewöhnte ich mich an die Familie, bis es dazu kam, dass Ecrin erklärte, dass ihr Vater Polizist war. Beinahe hätte ich mich verschluckt. Beinahe wäre ich aus dem Raum marschiert.War das normal oder zog diese Stadt die ganzen Schwierigkeiten an?
Erst kommt dieser Polizist von Fatih, dann dieser Cesur, sein Sohn und sein Neffe, dann die ganzen Vorfälle und jetzt das? Eins wusste ich. Ich sollte mehr Abstand zwischen mir und Ecrin stellen. Das war besser für mich.»Wir erwarten dich wieder!«, verabschiedete mich Ecrins Mutter später. Ich nickte nur. Ich hätte schließlich nicht sagen können, dass ich nie wieder den Fuß auf diese Wohnung setzen wollte.
Am nächsten Morgen wachte ich sehr früh auf. Zum Teil war es deswegen, weil Ecrin mich gestern darum gebeten hat, weil sie früher da sein wollte und zum anderen Teil war ich kaum müde.
Ich machte mich schnell fertig und ging aus dem Haus. Wir fuhren rasch zum Restaurant und Ecrin stieg voller Vorfreude aus dem Wagen. Das Restaurant war schon aufgeschlossen. Wir betraten es und ich musste Burak ansehen. Nein.
Ecrin lief auf ihn zu und umarmte ihn kurz. Buraks Blick huschte kurz zu mir, glitt dann sofort wieder zu Ecrin. »Komm, ich bring's dir bei.«
Sein Lächeln kam von Herzen. Er mochte Ecrin wirklich sehr. Das erkannte man auf den ersten Blick. Sie setzen sich zu meiner Verwunderung an das Klavier und Burak begann zu spielen. Ich stand weiter weg wie eine Dekoration und sah in eine andere Richtung, bis ich mein Wiegenlied erkannte.
Innerlich hatte ich es erwartet, als er sich schon ans Klavier gesetzt hatte. Dennoch war ich überrascht und wieder von allen Emotionen getroffen. Er spielte eine kurze Passage, spielte sie dann noch einmal und ließ Ecrin ihm nach spielen.
Es ging soweiter, bis Ecrin die erste Passage konnte, damit sie bei der zweiten weiter machen konnten. Ich war wie versunken in das Lied, dachte vor mich hin und glitt in eine andere Welt, bis ich einen Fehler hörte.
Burak spielte noch einmal und da war er wieder- dieser eine Fehler.
»Du machst es falsch«, sprudelte es sofort aus mir heraus. Beide sahen mich überrascht an. Buraks Blick glich eher einem "Aha?". »Falsch?«Ich nickte.
»Dann zeig doch, wie es richtig ist.«
Ich lief auf das Klavier zu und stellte mich zwischen die beiden. Man musste eigentlich gar nicht wissen, wie man das Stück spielte, um einen Fehler heraus zu hören und ich wusste überhaupt nicht, ob ich es noch spielen konnte.Als ich dann aber meine Finger auf die ersten Tasten legte, kam alles wie von selbst.
»Woher kennst du dieses Stück?«, fragte er mich mit einem stechenden Blick.
»Ich könnte dich doch dasselbe fragen.«
Burak sah mich mit einem undefinierbaren Blick an.Alle seine Blicke konnte ich nicht beschreiben. Sie waren anders. »Zeigst du es mir noch einmal?«
Ich nickte und spielte wieder. Auch wenn ich von außen ein Pokerface hatte, innerlich war ich wie geschmolzen.Jeder meiner Faser war wie in einer anderen Welt und ich spürte eine starke bindende Kraft.
Burak spielte es nach. Mein Herz begann zu flattern, die Melodie umstimmt mich, Erinnerungen sprudelten heraus und Glück umgab mich.»So richtig?«, fragte er mit einer ruhigen Stimme.
»Ja«
Mit diesem einzigen Wort, lief ich weg von den Beiden. Zuerst dachte ich mir nichts, meine Absicht war es nur, weg von den beiden zu kommen, aber dann wurde mein Hals trocken und ich marschierte zur Küche. Gute Ausrede.Ich legte mir Wasser in einen Glas und trank es aus. Auf dem Tisch standen noch einige Messer der Größe nach geordnet.
»Es tut mir leid, Aslı.«
Ecrin war zu mir gekommen. »Ich dachte, es sei kein Problem für dich.«
Wovon sprach sie?»Ich meine, dass ich dich hierher geschleppt hab«, erklärte sie.
»Kein Problem.«
»Ich könnte dich besser verstehen, wenn du mal mit mir reden würdest.«
Ich wollte aber nicht. »Du redest doch auch nicht viel.«Natürlich musste ein Arschloch die Küche betreten. Vielleicht war das auch gut. So könnten wir diese unangenehme Unterhaltung nicht weiter führen.
»Was redet ihr hier?«, fragte Burak.
»Mädchen-unterhaltungen!«, meinte Ecrin.
»Ah, ich sollte also gehen.«
»Ich komme gleich wieder«, lächelte sie.
»Jap, war nur verwundert. Dass Aslı wie ein zivilisierter Mensch reden kann, geht also auch?«Für mich war es gerade so, als sei ein Luftballon zerplatzt. Gerade noch hatte ich das Gefühl gehabt, dass Burak vielleicht nicht so-ooo schlimm sei, aber da hatte ich mich wohl getäuscht.
Arsch blieb Arsch.»Ich rede eben nur mit zivilisierten Leuten zivilisiert«, zischte ich und Burak lachte. Wie immer versuchte Ecrin das Thema zu ändern. »Ist denn dieser Karahan gekommen?«
»Sag nicht dieser Karahan zu ihm... Er hat das alles nicht verdient.«
»Wie soll ich ihn dann nennen?«
»Arda Karahan.«Während die beiden dieses Gespräch führen, wurde mit abrupt schwindelig. Ich hielt mich sofort an den Tisch und erwischte dabei eins der Messer. In dem Momemz, in dem ich es auch schon hielt, ließ ich es los. Es hinterließ eine kleine Schnittstelle und ich war nahezu erleichtert, als ich feststellte, dass sie nicht blutete.
Leider hatte ich mich getäuscht denn kurz darauf riss die kleine Wunde auf und es quoll Blut daraus. Es war nur ein winziger stechender Schmerz, als ich es unter das Wasser hielt, aber der metallische Geruch hatte mich schon getroffen wie ein Schlag.
Ich versuchte ruhig zu atmen und meistens war dann alles okay, aber hier gerade wurde es nur schlimmer. Heftig hörte ich mein Wiegenlied in meinem Kopf rotieren. Es wurde immer schneller und schneller, wollte nicht aufhören. Daraufhin wurde mir noch schwindeliger und ich hörte einen Schmerzensschrei, bis alles schwarz vor mir wurde.
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Wiegenlied
Mystery / ThrillerAslı soll nicht in Schwierigkeiten geraten. Vor allem nicht mit der Polizei. Das erklärt ihre Tante ihr immer wieder aufs Neue. Als sie dann doch in welche gerät und vor einem Polizisten flieht, ist sie auf die Hilfe von Burak, der für sie nur ein...