Kapitel 50

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Wiegenlied
Kapitel 50

Inzwischen war es stockdunkel draußen. Ich versorgte Ecrins Wunden, wobei sie kurz aufstöhnte und die Zähne zusammendrückte. Sie hatte kein Wort gesprochen, seit ich sie aufgefunden hatte, außer dass sie nicht nach Hause wollte.

So kam es, dass sie nun auf meinem Bett saß, während Burak noch draußen war. Ich hatte ihm gesagt, ich hätte etwas in der Nähe der Mauer liegen lassen und er war dorthin gelaufen, um es mir zu holen. Nur war da nichts.

Ecrin hatte nicht reden wollen. Wahrscheinlich wusste sie genauso wie ich, dass Burak sofort ausrasten und die Person in Stücke teilen würde und aus irgendeinem Grund wollte sie das nicht- oder nur mir kam es so vor.

»Ecrin«, sprach ich sie weiterhin an. »Wer war es?«
»Ist das wirklich wichtig?«, fragte sie erschöpft. »Es ist nichts. Mir geht es gut.«
»Natürlich ist nichts!«, raunte ich und sprang vom Bett auf. Langsam aber sicher verlor ich jegliche Geduld. »Ich meine, wenn ich nicht da gewesen wäre, hättest du heute Nacht auf der Straße übernachtet, aber hey, es ist ja nichts!«
»Bitte, Aslı.«
»Bitte Aslı? Ist das dein ernst, Ecrin? Jemand hat dich geschlagen! Wie soll ich deiner Meinung nach reagieren? Ist das jetzt für dich Normalität, oder was?«

Sie spielte mit dem Saum ihres Oberteiles und sah mich dabei nicht an. Sie tat mir so unendlich leid, aber dafür konnte ich nicht einfach neben ihr sitzen und mit ihr weinen. Das wäre nicht fair. Wenn es Burak nicht machen würde, würde ich den Typen in Stücke hacken wollen. Das war nicht fair. Ecrin konnte keiner Fliege etwas zuleide tun und wenn sie es wollen würde- sie könnte es trotzdem nicht. Wie konnte man also allen Ernstes das ausnutzen? Wie konnte man so skrupellos sein? Sie war die Tochter eines Polizisten. Konnte man nicht einmal daran denken, wenn man null Mitgefühl hatte?

»Aslı«, hatte sie endlich ihren Mut zusammengenommen. »Es war Mahmud.«
»Was?«, brachte ich hervor. Mahmud war ein Arschloch. Ich hasste ihn wie die Pest, aber das hatte ich ihm nicht zugetraut. Ich musste zugeben, der Funke vom Gedanken an Mahmud war schon in mir existent gewesen, jedoch hatte ich ihn vernichtet, noch bevor er ausbrechen konnte, denn dies war lächerlich- oder zumindest hatte ich gedacht, dass es lächerlich sei. »Mahmud?«

Sie nickte und formte nun winzige Kreise auf ihrer Jeans mit ihrem Finger.
»Ich versteh das nicht«, hauchte ich. Meine Wut war nicht in Worte zu fassen. Wie konnte er nur? Wie?
Ich atmete tief ein, um nicht aus diesem Zimmer zu rennen und Mahmud die Kehle aufzuschlitzen, denn um ehrlich zu sein, war mir gerade sehr danach. Langsam fuhr ich mit der Hand durch mein Haar und drehte mich hastig wieder zu Ecrin um. »Wieso?«

Einen wirklichen Grund erwartete ich nicht. Man hatte nie einen Grund dafür ein Mädchen zu schlagen.
»Ich hab ihm gesagt, dass ich mit Mete gehe.«
Nun runzelte ich die Stirn und setzte mich sanft vor ihr. Ihr kullerte eine vereinzelte Träne die Wange hinunter und hinterließ einen dunkeln Fleck auf ihrer Jeans. »Ich hab Mete heute getroffen. Ihm hab ich es zwar nicht wirklich gesagt, aber ich hab ihm verziehen, schon lange eigentlich. Danach wollte ich nach Hause. Er wollte mich bringen, aber ich hab darauf bestanden allein zu gehen, damit ich nachdenken kann. Ich hatte trotzdem Angst, dass das sich wiederholen kann und so.«

Sie atmete tief aus und begann hektischer zu sprechen, als würde sie jeden Augenblick anfangen zu schluchzen. »Mahmud hat mich gesehen und ist mir gefolgt. Also-«, sie stoppte, wischte sich die Tränen von der Wange und setzte wieder an. »Er hat Mete nicht gesehen. Ich bin an der Haltestelle, die nahe am Restaurant ist, gewesen. Er hat wohl noch etwas im Restaurant zu tun gehabt, auch wenn heute geschlossen ist. Gerade als ich da vorbei lief, hat er mich gesehen und ist mir eben gefolgt. Zuerst war er eben nett, wie immer. Dann hat er mich gefragt, ob ich ihm eine Chance geben könnte und mit ihm gehen würde. Ich hab sofort verneint. Wenn ich schon Mete nicht verzeihen konnte, wie sollte ich es ihm verzeihen? Man sagt doch, wer eine Beziehung kaputt macht, kann keine Beziehung führen (Yuva bozanın yuvası olmaz).«

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