Kapitel 16

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Wiegenlied
Kapitel 16

Als ich aufwachte, war Neslihan verschwunden. Ich sah mich mit der Hoffnung um, dass sie da war, denn ich fühlte mich ungeschützt und allein.

Manche Träume taten gut, manche Träume taten weh und manche zeigten einem, wie erbärmlich hilflos man war.
Ich zitterte am ganzen Leib, als ich die Bettdecke wegschob. Ein weiterer Effekt vom Traum? Wieso konnten meine Träume mich eigentlich sogar noch quälen, wenn ich wach war?

Ich atmete tief aus. Das hatte ich doch gewollt oder nicht? Ich wollte ja träumen, nur scheiße, dass man sich die Träume nicht aussuchen konnte.

Ich duschte, denn ich war ziemlich verschwitzt. Unsere Wasserkosten würden bald überqollen. Abends duschen, morgens duschen, als hätte ich keine anderen Hobbys.

Nachdem ich mich anzog und zwang etwas zu essen, klingelte es auch schon. Es war Mittwoch, es war erst meine zweite Woche hier und doch kam es mir wie eine Ewigkeit vor.

»Ist alles okay, du siehst so blass aus?«, fragte Ecrin. Ich hasste es. Auch wenn sie mir alles anvertraut hatte, verschweig ich ihr selbst, dass es mir schlecht ging.
Vielleicht hasste ich ja nicht "es" sondern "mich".

»Ich bin nur müde. Ich konnte kaum schlafen«, antwortete ich ihr und rieb an meinem Auge.
»Dich bedrückt doch etwas. Das sieht man dir direkt an.«
An welchem Tag bedrückte mich denn nichts? »Die Sache von gestern, Burak Mahmud, der Streit...«
»Ach so.« Sie schwieg.

So fuhren wir auch zum Restaurant. Ich hatte erwartet, dass Cesur mit einem rotem Kopf zu uns oder mindestens zu mir kam und mich ausschimpfte, weil ich seinen Sohn verprügelt hatte, aber er tat es nicht. Stattdessen lächelte er mich wie immer an und wünschte mir einen guten Morgen. Ich verstand diese Welt nicht.

Heute war ein eher ruhiger Tag. Es gab wenig Kunden, keinen Mahmud und auch keinen Burak, bis wir in die zweite Schicht kamen. Da musste ja Burak herkommen. Ich ignorierte ihn.

Er ignorierte mich. Das hatte ich zumindest gut hingekriegt. Jetzt belästigte er mich nicht mehr.
Ich war dabei einem Paar ihre richtig große Bestellung- würde wahrscheinlich für zehn Personen reichen- auf mein Tablett zu hiefen. Es passte einfach nicht. Da musste ich zweimal laufen müssen.

Als ich mich umdrehte, zuckte ich kurz zurück, denn ich blickte zu Fatih, der sich an einen Tisch gesetzt hatte. Er hatte wieder rote Rosen dabei. Musste das wirklich sein? Ich dachte, der Typ hätte mich vergessen oder aufgegeben. Besser beides zusammem. War wohl nicht so.

Er sah zu mir und lächelte mich breit an. Jetzt war ich froh, dass ich diese Bestellung in zwei teilen musste. Ecrin würde ihn bedienen. Punkt für Aslı.

Ich hatte die Bestellung an den Tisch gebracht und machte mich auf zur nächsten, wobei ich folgende Konversation mithören musste:
»Ich bin der Inhaber dieses Restaurants und wenn ich will, dass Sie gehen, müssen Sie das tun.«
Das war ohne Zweifel Buraks Stimme.

»Ich bin Polizist«, warnte ihn Fatih.
»Und wenn Sie Präsident wären, Sie müssen hier weg.«
Irgendwie klang das lustig, wenn Burak versuchte höflich zu sprechen. Das war es doch, was mir gefiel oder war es, dass er Fatih rausschmeißen wollte, was mich zum Lachen brachte? Nein. Er klang eindeutig nur lustig.

»Und was wenn nicht?«, fragte Fatih provokant. »Rufst du dann de Polizei?«
»Du-«
»-Warte!«, unterbrach ihn Fatih belustigt und man hörte ihm schon an, dass er mehr als nur ein zwei billige Sätze ausstoßen würde. »Ich hatte dich gesehen, auf Karahans Party! Lustig, dass du dich da noch hin traust. Du bist doch der Sohn von diesem Ekrem, oder-«

»-Entweder du verpisst dich jetzt sofort von hier!«, rief Burak so laut, dass die anderen Gäste zu ihm hochsahen. »Oder ich bring dich dazu!«

Fatih hatte eine Grenze überschritten. Das merkte wohl jeder in diesem Raum.
»Beruhig dich«, grinste Fatih.
Inzwischen gab ich still dem Paar, die sich mit ihren Blicken fragten, ob sie nicht lieber aufstehen sollten, ihre Bestellung, während Fatih weiter sprach. »Ich weiß, warum du mich wegschicken willst. Ich gehe ja auch, ist doch sowieso sinnlos, gegen dich anzutreten. Weiß sie überhaupt, wer du bist? Wohl nicht. Sie würde keine Sekunde mehr hier bleiben.«

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