Wiegenlied
Kapitel 02Mein Herz raste immer noch schnell. Ich hätte nicht gedacht, dass er mich tatsächlich decken würde, obwohl ich eine Wildfremde war. Ich hätte schließlich auch wirklich eine Verbrecherin sein können.
Manche Menschen sind halt nicht richtig im Kopf.»Und jetzt verpiss dich«, raunte der Fahrer. Meine Hand lag sowieso an der Türklinke. Ich drückte sie fest hinunter und sah noch zu, wie der Wagen weiter fuhr.
Eine kurze Zeit lang sah ich ihm nach, kam dann aber wieder in die Realität. Ich lief den steinernen Weg entlang. Dabei vermied ich den Weg zu der Haltestelle, in der die Prügelei entstanden war. Stattdessen fuhr ich mit einem anderen Bus nach Hause.
Als ich die Tür unserer Wohnung öffnete, war ich schon kaputt. Der Bus, den ich genommen hatte, hielt viel zu weit weg von diesem Apartment, sodass ich eine weite Strecke hatte laufen müssen.
»Willkommen zurück!«, rief Neslihan mit einer glücklichen Stimme. Sie umarmte mich. Wie konnte man dauernd glücklich sein?
Es gab dann auch zu Abendessen. Neslihan hatte Pizza bestellt und wir saßen zusammen am Küchentisch.
»Ich habe schon eine Stelle gefunden«, erzählte sie. Sie hatte ein Händchen für solche Sachen. In Handumdrehen hatte sie uns eine Wohnung gefunden und jetzt hatte sie eine Stelle. »Und da du auch eine hast, können wir uns ja glücklich schätzen?«
»Ich hab was?«
»Ecrin ist vorbeigekommen. Du arbeitest ab morgen mit ihr.«Ich starrte meine Tante mehr als nur überrascht an. »Nicht dein ernst?«
»Wieso bist du jetzt wieder so negativ?«
»Vielleicht weil das komisch ist? Ich kenne dieses Mädchen kaum!«
»Es gibt auch freundliche Menschen.«
Das war ja mal wieder die perfekte Andeutung, dass ich unfreundlich war.»Tust du das für mich?«, fragte Neslihan und ich hasste diesen Blick in ihrem Gesicht.
»Ja«, nuschelte ich und fing an zu essen.In dem Moment, indem ich mich auf mein neues Bett legte und die Augen schloss, kam wieder das Gesicht des Fahrers vor meine Augen.
Die tiefbraunen Augen, das dunkelbraune Haar, die markanten Gesichtszüge, die Wut in seinen Augen, ich sah alles deutlich vor mir, weshalb ich sofort wieder meine Augen öffnete.
Was sollte das? Es war passiert und Ende. Diesen Fahrer würde ich nie wiedersehen.
Ich legte mich auf die andere Seite und wollte schlafen, doch wieder kam das Gesicht. Mein Inneres liebte es, mich zu demütigen und peinliche Situation immer und immer wieder abzuspielen.Bis ich einschlief und der nächste Morgen anbrachte, dauerte es eine Weile. Mein Wecker, den ich nie eingestellt hatte, geschweige denn aus der Kiste geholt hatte, klingelte.
Auf ihm klebt ein gelber Notizzettel, worauf folgendes stand: "In einer halben Stunde musst du fertig sein. Ecrin wird dich abholen und hinfahren. Bin schon weg. Viel Spaß. Neslihan "
Stöhnend stand ich auf und klatschte erst einmal kaltes Wasser gegen mein Gesicht. Daraufhin zog ich mich an, machte mich fertig und frühstückte noch kurz.
Ecrin klingelte an der Tür und mit einem mulmigen Gefühl ging ich aus dem Haus.
»Sollen wir eine Fragerunde machen?«, war das erste, was sie sagte, nachdem se mich umarmt hatte und wir raus gingen.
»Was?«
»Erst stelle ich eine Frage und dann du. Somit können wir uns besser kennenlernen!«Ähm. Nein? »Klingt gut.«
»Ich fange an... Wie alt bist du?«
»Achtzehn.«
»Ich bin vor kurzem neunzehn geworden.«
Sie lächelte breit. »Jetzt bist du dran.«
»Was ist deine Lieblingsfarbe?«
Mir war nichts besseres eingefallen und wenn hatte ich keine Lust.
»Blau, deine?«
»Rot.«
»Ein kräftiges oder ein helles wie mein Auto?«
Wen interessert's?
Wir waren gerade eingestiegen und paranoid wie ich war, dachte ich sofort an Entführungen. »Blutrot.«
»Netter Vergleich.«
»Ich weiß.«Das Restaurant war nicht riesengroß, es war aber wunderschön. Es sah elegant aus und eigentlich vermied ich solche Orte. Sie erinnern mich zu sehr an die Vergangenheit.
Der Boden war mit sehr dunklem Laminat überzogen, die Wände waren von einem anmutigen Rot, verziert mit einem schwarzen Ton, Gemälde durften nirgendwo fehlen aber das, was mich am meisten begeisterte, war das Klavier auf der Rechten Seite. Es war überwältigend. Ich hörte schon in meinem Kopf Klaviermusik, obwohl niemand spielte.
Das Restaurant hatte zwei Stockwerke. Man konnte noch mit den Treppen hoch.
Sie stellte mich ihrem Chef vor, der ziemlich gestresst mit irgendwelchen Sachen herumfuchtelte und wir klärten alles ab.Danach musste mir Ecrin Sachen erklären, wie welcher der tausend Messer und Gabel zu welchem Essen gehörten. Sie war die ganze Zeit gut drauf und das nervte mich nach einer Zeit.
»Deine Mutter ist ein sehr netter Mensch«, meinte sie, als sie mich zum Personalzimmer brachte, wo wir die Kleidung für die Angestellten anziehen mussten.
»Neslihan ist meine Tante«, erklärte ich ihr monoton.
»Shit, das tut mir leid.«
Ihre Stirn lag in Falten, sie wirkte besorgt und der Mitleid stand ihr im Gesicht geschrieben. Wie ich das hasste.Daher sah ich sie nicht an. »Kein Problem.«
Sie dachte, dass meine Eltern tot waren. Ich hätte ihr widersprechen können. "Meine Eltern leben in der Türkei", hätte ich sagen können, doch ich tat es nicht. Darauf würden nur noch mehr Fragen folgen wie "Warum sind sie dort", "Wieso kommen sie nicht her" oder weitere derartige Fragen, worauf ich keine Lust hatte. Sollte sie doch denken, was sie wollte.
Ein Junge blickte die ganze Zeit abwechselnd immer wieder mich und dann Ecrin an. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen, aber ich musste höflich bleiben und immer lächeln, auch als er rief, dass er bezahlen wollte und dabei dreckig grinste.
Ich gab ihm die Rechnung und er zahlte. Gerade als ich mich umgedreht hatte, hörte ich ein Glas auf den Boden klirren und sofort eine eine wütende männliche Stimme, die: »Pass doch mal auf!«, rief.
Schon hatte ich mich ungedreht. Das Glas hatte den Jungen getroffen, der gerade herein gekommen war und hatte sein Hemd nass gespritzt.
»Das war ein Versehen«, lachte der Typ, der gerade noch bezahlt hatte und ging. Nach einem Versehen sah es nicht aus.
Der Junge wollte den Typen hinterher rennen, da hielt Ecrin ihn auf und wischte an seinem Hemd.
»Sie sind es nicht wert, Burak!«, rief sie.Ohne auf die beiden zu achten, sammelte ich die Scherben, die auf dem Boden waren. Ich musste ja die Drecksarbeit machen.
»Ach, lass, ich zieh mich einfach im Personalzimmer um«, sagte dieser Burak. Ich sah ihn nicht an. Er hatte mir auch keinen Blick gewürdigt.
»Okay, du weißt ja, wo es ist«, meinte Ecrin dann und kümmerte sich um den Tisch. Ich stand gerade da auf und stieß der Junge an mich. »Pass doch mal auf!«, rief ich. Hatte der keine Augen im Kopf?
Eine der Scherben hatte sich in meine Haut gebohrt, als ich ihm in wutgeladen in die Augen sah und ihn wiedererkannte.
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Wiegenlied
Mystery / ThrillerAslı soll nicht in Schwierigkeiten geraten. Vor allem nicht mit der Polizei. Das erklärt ihre Tante ihr immer wieder aufs Neue. Als sie dann doch in welche gerät und vor einem Polizisten flieht, ist sie auf die Hilfe von Burak, der für sie nur ein...