Kapitel 41

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Wiegenlied
Kapitel 41

Trösten war nicht mein Ding. Vielleicht war es das auch nie. Das spielte nur keine Rolle. Ich spürte, dass es Ecrin reichte, wenn ich bei ihr blieb und dafür war ich so dankbar. Ich war so viel besser im Schweigen, als beim Reden. Ich hatte Angst, ihr etwas falsches zu sagen, jedes Wort konnte einen brechen.
»Es ist aus. Das macht sowieso keinen Sinn mehr überhaupt darüber nachzudenken «, sprach sie zuletzt.
»Mach dich nicht fertig«, riet ich ihr. »Du bist nicht schuld. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir haben manchmal keinen Einfluss auf die Tatsachen. Es passiert und man muss lernen, damit klarzukommen. Es ist leichter, als man denkt. Ehrlich.«
Ich schenkte ihr ein tröstliches Lächeln. War ich nicht der lebende Beweis, dass man Vergangenheiten runterschlucken konnte?

Es war spät, als ich zu Hause angelangte und mir schließlich eine heiße Dusche gönnte. Ich war stolz auf mich, denn ich hatte es tatsächlich geschafft, nicht mehr an das, was heute alles geschehen war, denken zu müssen. Am nächsten Morgen wachte ich deshalb fit und zufrieden auf.
Das Schlimme war aber, dass ich gleich wieder auf Burak treffen und das zu einer unangenehmen Konversationen führen würde. Noch Schlimmer war natürlich, dass Ecrin "plötzlich" krank war und nicht mitkommen konnte. Das Schlimmste war schließlich, dass ich Burak nicht sagen konnte, dass ich mit dem Bus fahren wollte, da es erstens extrem unhöflich wäre, da der Typ ja extra bis hierher gefahren war und Ecrin, die ja so "krank" war, uns nachstarren wollte, bis ich einstieg und Burak losfuhr.

Wie erwartet, begann jetzt die unangenehme Konversation.
»Aslı, also wegen gestern-«, versuchte Burak Worte zu finden, während ich aus dem Fenster starrte, mit der Hoffnung, dass ich einfach rausspringen könnte.
Wenn ich eins hasste, dann den Moment, an denen man diese fehlenden Worte suchte. Es war als würden sie verstecken spielen, unmöglich sie zu schnappen und stattdessen nahm man das nächstbeste andere Wort und versuchte sich mit denen verständlich zu machen. Erfolg war nie garantiert.

»Es ist egal«, sprach ich langsam aus. Mein Blick wich nicht vom Fenster. »Ich will es überhaupt nicht wissen. Es ist mir egal, was du mit deinem Cousin besprochen hast.«
»Auch wenn dein Name darin vorkam?«
Komisch. Ich hatte gedacht, er würde es nicht sagen wollen. Dabei war ich es wahrscheinlich, die es nicht hören wollte. Meine Gedanken waren ungeordnet. Ich hatte am Morgen noch etwas recherchiert, weshalb ich zu einem Drittel mit den Gedanken da war, zu einem Drittel bei Ecrin und den letzten Drittel bei Burak. Im Moment passierte einfach zu viel.
»So ist es«, meinte ich sicher und blickte ihn nun an. »Außerdem sollte man sich doch am wenigsten Gedanken über das machen, was Mahmud sagt. Er ist ein Arsch und mehr auch nicht.«
»Ah, und warum?«
»Weil«, ich lehnte mich stärker nach hinten. Worte suchen. Ich hasste es. »Ganz einfach. Er kann es nicht lassen, andere zu belästigen. Das mit Mete und Ecrin. Das war er.«
»Was?«
»Er hat beide reingelegt, um bei Ecrin zu punkten.«

Buraks Griff um das Lenkrad wurde fester. »Bist du dir sicher?«
»Hundert Prozent.«
»Das kriegt er zurück.«
Der Hass in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er mochte sie wirklich sehr. Viel zu sehr.

»Leg dich nicht mit ihm an. Das lohnt sich nicht. Außerdem hat er gerade Familienprobleme. Und das lohnt sich nicht. Du willst doch auch keinen Familienstreit. Und das lohnt sich nicht! Überhaupt nicht.«
Er sah mich kurz an, richtete seinen Blick dann aber auf die Straße. Kurz darauf kamen wir auch schon an. Hastig stieg er aus. Im Restaurant war Mahmud. Was tat der denn hier? Wieso heute? Sonst kam er doch auch nie her!
Ich entsicherte meinen Gurt und sprang aus dem Wagen. »Bleib sofort stehen!«

In dem Moment, als ich mich vor Burak gestellt hatte, hob ich schon abwehrend meine Hände, als würde das ihn hindern.
Wir standen noch draußen und Mahmud schien uns nicht bemerkt zu haben.
»Lass es mich nicht bereuen, es dir gesagt zu haben!«
»Wieso nicht? Er verdient es!«
»Du aber nicht! Burak, lass es.«
»Als ob du dir Sorgen um irgendwen machen kannst, Aslı. Vor allem nicht um mich.«
Die Worte brannten wie Säure, den man in meinen Hals geschüttet hätte. In Sekundenschnelle breitete sich diese Säure in meiner Lunge aus, umhüllte meine Brust, verätzte alles.
»Ist das dein ernst?«, fragte ich in einem so monotonen Ton, der mir so fremd vorkam.
»Nein«, behauptete er sofort. »Ich war nur sauer.«
»Mitleid«, sprach ich gequält heraus und drückte meine Zähne hart aufeinander. So musste es kommen. »Ich hab mich immer gefragt, wieso du überhaupt bei mir bleibst. Es ist aus Mitleid, oder? Die kleine erbärmliche Aslı hat sowieso keinen, oder?«

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