Kapitel 18

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Wiegenlied
Kapitel 18

Die ganze Nacht über musste ich darüber nachdenken, ob es richtig war, dass ich Fatih angerufen hatte.

Erstens nutzte ich Fatih aus, aber irgendwie machte mir das nicht die wirklichen Sorgen, sondern eher, dass ich mich in Ecrins Problem einmischte. Sie hatte mit mir geredet und mir vertraut. Warum sie gerade mir vertraute, war auch bedenklich.

So oder so hatte sie mit mir gesprochen und es war nicht meine Aufgabe, diesen Typen zu finden. Was würde es denn bringen, wenn ich ihn fand? Er hatte sie verlassen, sie einfach auf halbem Weg liegen lassen, wie eine Puppe und das brachte mein Blut zum kochen.

Vielleicht sollte ich ihn finden und ihm eine reinschlagen. Er kannte mich sowieso nicht, er würde nicht einmal erraten können, dass ich etwas mit Ecrin zu tun hatte oder mich der Polizei melden.

Als ich mich fertig angezogen hatte, lief ich zur Küche und erblickte dort Neslihan. Hä? »Was machst du denn hier?«
»Essen.«
»Nein, im ernst. Musst du nicht arbeiten?«, fragte ich.
»Hab frei.«

Ich sah mir Neslihan genauer an. Irgendetwas war heute anders. Sie war still, ihre Augen hatten sich um das doppelte vergrößert und sie sah aus, wie ein verletztes kleines Kind, als sie ihren Keks in ihren Cappuccino tunkte.

»Stimmt etwas nicht?«
Es stimmte garantiert etwas nicht.
Neslihan konnte meine Gedanken fast schon lesen, was mir immer Sorgen machte, demgegenüber war ich machtlos, ich konnte so was nie. Sie war wie ein verschlossenes Buch- mit allem Sicherheitszeug und ich war unfähig, ein Kindertagebuch zu knacken.

»Es ist alles okay«, behauptete sie und lächelte leicht. »Ich hab heute viel Zeit und nichts zu tun. Ich würde gerne dich einmal bei der Arbeit besuchen.«
Auf keinen Fall. »Muss das sein?«
»Ist das ein Problem?«
Sie beäugte mich misstrauisch für eine kurze Zeit, ließ es dann jedoch sein.
»Nein, eigentlich nicht. Aber-«, ich fand einfach keine Worte. Sollte ich einfach sagen, dass ich keine Lust darauf hatte, weil mein ach so wundervoller Chef ansonsten dämliche private Fragen stellen und sich auf neues „Futter" freuen würde?

»Hm, ich hab trotzdem Lust darauf.«
Sie massierte sich nebenbei den Rücken. »Nur kurz?«
»Okay.«
Sie lächelte triumphierend und fuhr mit ihrer Hand durch mein Haar. Dabei glitten ihre Mundwinkel immer weiter nach unten und ihre Augen wurden nahezu glasig. »Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen...«, murmelte sie eher zu sich selbst, als zu mir und lief dann einfach aus der Wohnung.

Ich lief ihr nach und fragte, was sie damit meinte, doch bekam keine Antwort. Sie ließ mich also inmitten im Apartment mit ihrer Aussage, die so verzweifelt geklungen hatte und die ganze Zeit sich in meinem Kopf wiederholte.

»He!«, rüttelte mich Ecrin da von den Gedanken. Sie sah etwas bedrückt aus, lächelte aber dennoch.
»Willst du heute nicht lieber zu Hause bleiben?«
»Nope. Es ist besser, wenn ich arbeite und mich ablenke, als zu Hause den Kopf damit zu zerbrechen, wie die Operation läuft.«

Ich nickte nur und wir fuhren wie gewohnt zum Restaurant. Zur Pause kam dann auch Burak wieder. Er erinnerte mich an unsere Abmachung. Nett sein neben Ecrin, normal sein, wenn sie weg war. Ich hatte echt keinen Nerv dafür, mich anzustrengen, nett zu ihm zu sein.
Ich bekam schon Aggressionen, wenn er nur neben mir war, wie sollte ich das aushalten? Vor allem, wenn der Typ mich dann auch noch provozierend ansah?

»Wie geht es dir heute?«, fragte er Ecrin.
»Viel besser. Meinem Vater übrigens auch.«
»Allah şifa versin (Möge Allah ihm Genesung schenken.)«
Sie lächelte bei seiner Aussage. »Danke.«
»Wie wär's, wenn Aslı, du und ich heute zusammen etwas machen?«
Ich sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Nein, das würde ich mir nicht antun. Es war schon schlimm genug, dass ich mich beherrschen musste.

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