Wiegenlied
Kapitel 37»Kaan«, murmelte ich leise und starrte den Boden an. Ich wollte keine Lügen mehr in dieser Wohnung haben. Das hatte keine von uns beiden verdient. Mein Blick hob sich langsam zu Neslihan, die mich verunsichert ansah.
»Als ich in diesem alten Haus war, da war dieses Abschiedsvideo nicht«, sprach ich und war erstaunt darüber, wie fest meine Stimme war. »Ein Junge aus dem Restaurant hat mich dazu gebracht, das Video auf seinem Laptop anzusehen. Es war das Abschiedsvideo und da das Laptop ein Passwort hat und sich heruntergefahren hat, nachdem das Video zu ende war, hab ich es einfach hergebracht. Du kannst den Code doch knacken, oder?«
»Vi-vielleicht. Kommt darauf an.«Ich ging mir mit der Hand durch das Haar. »Das war derselbe Typ, der dich verfolgt hatte. Sei vorsichtig, ja?«
Niemals hätte ich gedacht, je diese Worte gegenüber Neslihan zu nennen.
"Sei vorsichtig"
Das waren eher ihre Worte.Ich atmete tief durch, aber die Luft hier schien mir nicht zu reichen. Ohne ein weiteres Wort mit Neslihan zu wechseln, lief ich aus dem Apartment und ging in irgendeine Richtung. In dieser Gegend waren viele Gebäude- viel zu viele.
Ich brauchte Abstand von allem.
Ich hatte das Gefühl, die Gebäude würden einstürzen und ich würde in Schutt und Asche begraben liegen. Erst als ich Grün erblickte, irgendeine modrige Wiese, fühlte ich mich langsam wieder gut.Ich setzte mich an eine Bank und legte meinen Kopf auf meine Hände. Mir war warm und ich hatte das Gefühl, alles Schlechte anzuziehen. Ich verstand das alles nicht. Wieso verdammt wollte dieser Kaan meine Zukunft ruinieren? Wieso wollte er mich von Neslihan fernhalten? Nur um mich zu verletzen? Damit ich heulend vor ihm stand, weil ich keinen mehr hatte? Wovon träumte er?
Die unfassbare Enge und der Kummer in mir verblassten Augenblicklich. Stattdessen türmte sich Wut in mir. Es loderte und knisterte wie Feuer und ich ballte meine Hände zu Fäusten.
Dieser Kaan würde sehen, wer ich war.
Ich lief wieder den Weg zurück und kurz bevor ich am Apartment ankam, erschien eine Silhouette, die auf den Treppen saß. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich, dass es Ecrin war.Sie strich mit gebanntem Blick auf ein Foto, welches auf ihrer Hand lag und sah dann hoch. Ihre Augen waren rot, als sie ruckartig aufstand und ein leichtes Lächeln zustande brachte. Ich hatte einen kurzen Blick auf das Foto bekam, worauf sie mit einem Jungen zu sehen war. Mete, schloss ich daraus.
Ecrin steckte hastig das Foto in ihre Hosentasche, wo es zerknitterte. »Ich- meine Mutter hat mich gerufen, ich gehe rein, okay?«
Ecrin war und blieb eine schlechte Lügnerin. Ich lächelte sie sanft an, wobei ich Empathie empfand. Sie war schon so schnell sie konnte weg und ich sah ihr nach und lief dann in meine Wohnung. Immer noch konnte ich das abgemagerte Bild meiner Mutter nicht aus meinem Gedächtnis löschen, auch wenn ich es noch so sehr versuchte.Als ich die Tür aufschloss, rechnete ich mit Neslihan, aber sie war nicht da. Auf dem Kuchentisch war ein Zettel, worauf folgendes stand: "Bin weg mit dem Laptop. Hacken. Dauert nicht lange, ich bringe es dann zurück ins Restaurant, okay? Nicht, dass es bei uns erwischt wird. Gib Bescheid, wenn du zu Hause bist ich mache mir Sorgen. Neslihan."
Einer ihrer längsten Notizen.Ich atmete tief aus. Irgendwie war ich erleichtert. Auch wenn sie es nur für das Beste und Wohl meiner Mutter getan hatte, war ich momentan zu verwirrt und brauchte Zeit zum Nachdenken.
Am nächsten Tag wachte ich verschlafen auf, zog mich fertig um und wurde von Burak an der Tür begrüßt. Wie konnte man schon am frühen Morgen so gut gelaunt sein? Sein Grinsen wurde breiter, als er mein verschlafenes Gesicht sah. »Wir frühstücken wieder dort«, gab er mir Bescheid. »Ecrin ist gleich auch fertig.«
Ich nickte, als er anfing eine Melodie zu pfeifen.
DU LIEST GERADE
Wiegenlied
Misterio / SuspensoAslı soll nicht in Schwierigkeiten geraten. Vor allem nicht mit der Polizei. Das erklärt ihre Tante ihr immer wieder aufs Neue. Als sie dann doch in welche gerät und vor einem Polizisten flieht, ist sie auf die Hilfe von Burak, der für sie nur ein...