Kapitel 7

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Wiegenlied
Kapitel 07

»Wer weiß, vielleicht reißt Asli ja mir noch alle Frauen auf«, lachte Burak.
»Du sollst die Klappe halten«, zischte ich ihm zu, während ich meinen Blick starr auf die Bühne warf. Wieso musste er überhaupt reden? Er sollte wie jeder andere die Show ansehen oder wozu war er hier?

Ich hasste sein Lachen. »Burak, sei leise, das ist unhöflich.«
»Nur weil dir meine Worte nicht gefallen.«
»Burak, du bist echt respektlos. Ecrin hat extra Eine Karte für dich geholt und du siehst dir ihre Show nicht einmal an. Stattdessen findest du es besser, andere zu stören, die ihr diesen Wunsch erfüllen wollen.«
»Du erzählst mir etwas von Respekt? Als du mich geschlagen hast, kanntest du dieses Wort ja noch gar nicht-«
»-Gegenüber dir brauche ich keinen Respekt haben. Es reicht, wenn ich es nur gegenüber Leute habe, die mir etwas bedeuten. Aber du kannst nicht einmal das tun.«
»Seit wann interessiert dich Ecrin?«
»Was soll das denn heißen?«
Ich musste kurz auflachen.
»Du kannst mir nicht sagen dass sie dir am Herzen liegt.«
»Woher willst du wiesen, wer mir am Herzen liegt?«

Buraks Gesichtsausdruck wurde ernst und er packte mich grob am Arm. »Ich warne dich, Aslı. Wenn du wagen solltest, Ecrin weh zu tun, dann schwöre ich dir, würdest du es bereuen.«

Was sollte das denn wieder? Ich wurde sofort mistrauisch. Wie viel bedeutete Ecrin ihm und warum? Die beiden Personen waren so gegensätzlich. »Du brauchst dir keine Sorgen machen.«
»Ich meine es ernst, Aslı. Entweder du lässt es, sie zu verletzen oder du verschwindest.«
»Wie kommst du darauf, dass ich sie verletze?«
»Ich kenne solche Mädchen wie dich.«
»Du kennst solche Mädchen wie mich. Aber du kennst mich nicht.«
»Ecrin ist nur mit dir befreundet, weil du dort wohnst-«
»-Wo ihre ehemalige beste Freundin wohnte. Du wirst es nicht glauben, aber sie hat mir alles schon erzählt und ich glaube kaum, dass das noch gültig ist.«

Ich sah wieder starr nach vorne. »Du solltest dich um andere Dinge kümmern und jetzt sei leise.«
Ein Wunder. Er war nach diesem Gespräch wirklich leise.

Die Show verging wie in Zeitlupe. Buraks Worte liefen durch meinen Kopf wie in einem Film. Was wenn mich Ecrin wirklich nur als Ersatz ansah? Würde das mich verletzen? Ich konnte nicht spontan auf diese Frage antworten. Am besten war und blieb es wie früher. Niemandem trauen und sich an niemanden binden. So konnte ich Enttäuschungen ausschließen.

Im Licht erhaschte ich plötzlich wieder einen Blick auf Mahmud, der amüsiert nach vorne blickte. Der Typ machte mich wütend.

Nach der Show liefen ich und Burak zu Ecrin ohne ein Wort zu wechseln.
»Du warst großartig«, meinte ich und sie umarmte mich. Sie schien mehr als nur glücklich zu sein. Danach umarmte sie stark Burak.

»Ich geh dann mal«, nuschelte ich und stellte fest, dass die beiden das nicht so bemerkten. Mein Weg führte mich zur Haltestelle und ich musste erst einmal nachforschen, wie ich nach Hause kam.

Zu Hause wartete Neslihan auf mich. Sie war wieder nicht schlafen gegangen, bis ich herkam.
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich spät komme. Neslihan, du brauchst dich nicht fertig machen, nur weil ich weg bin.«
»Ich hätte sowieso nicht schlafen können.«

Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Wieso musste sie sich auch immer wieder Sorgen machen?
»Das ganze macht mich fertig. Jeden Tag warte ich sehnsüchtig darauf, dass du sicher nach Hause kommst. Weißt du, wie sehr ich Angst habe? Wie viele Sorgen ich mir mache? Weißt du, dass ich mich jeden Tag darauf vorbereite, dass du doch irgendwo im Revier landest oder sogar-«
Sie stoppte und schluckte schwer. Die Tränen kullerten ihr einzeln über die Wange.

Ich umarmte sie ganz stark und sie fing an lange und laut zu schluchzen. Es tat weh, sie so zu sehen und ich wusste, dass ihre Sorgen berechtigt waren.

Ich selbst hatte Angst, dass etwas passieren würde und wenn ich ihr das zeigen würde, würde sie ganz kaputt gehen. Sie war so sensibel und zerbrechlich.

»Mach dir keine Gedanken«, sagte ich und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. »Und wenn was passiert, kicke ich alle weg.«

Sie lächelte leicht und wir gingen zu Bett. Die Nacht verging schlecht. Ich konnte kaum schlafen und als ich an den Polizisten dachte, wurde alles nur noch schlimmer. Ich musste ihn loswerden. Wieso war er gerade an mir interessiert? Bis heute stand doch auch niemand auf mich oder hat es zumindest nie zugegeben. Dachte er, nur weil er Polizist ist, konnte er sich das erlauben?

Mit tausenden weiteren Gedanken schlief ich letztendlich ein und wachte am nächsten Morgen schwer auf. Nachdem ich mich fertig machte, setzte ich mich wie gewohnt zu Ecrin in ihren Wagen.

»Du siehst müde aus«, stellte sie fest
»Bin ich auch.«
»Ich hab gestern gar nicht bemerkt, dass du gegangen bist.«
»Du warst beschäftigt- mit Burak.«
»Wieso hasst du ihn so sehr?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wieso soll ich ihn hassen?«
»Das merkt doch wohl ein Blinder.«
»Ähm, Ecrin. Ich hasse ihn nicht. Er verdient nicht einmal das.«
»Okay, dann kannst du ihn eben nicht leiden und warum?«

Sie hatte gerade geparkt und sah mich eine Antwort fordernd an.
»Würdest du jemanden mögen können, der dir ständig erklärt, du seist nur ein Ersatz für irgendwen?«
Mit diesen Worten entsicherte ich meinen Gurt und lief schnell ins Restaurant.

»Guten Morgen«, begrüßte mich Liana schon mit einem breiten Grinsen.
»Guten Morgen«, erwiderte ich kurz zurück und huschte dann in das Personalzimmer, um mich umzuziehen. Ich hatte auf all das gar keine Lust. Nachdem ich bereit war, fing ich mit meiner Schicht an. Heute war ein ruhiger Tag. Es kamen nicht viele, was die Arbeit sehr erleichterte.

»Aslı!«, hörte ich Liana hinter der Theke rufen. Sie war gerade von oben hinunter gekommen. »Cesur möchte mit dir reden.«

Toll. Mein Chef wollte jetzt auch noch ein Gespräch. Ich konnte mir schon vorstellen, dass die neugierigen Fragen nicht enden würden. Wer war dieser Mann?

Ich nickte nur kurz und lief hoch. Nach einem kurzen Klopfen gegen die Tür, bat er mich herein.
»Guten Morgen, liebe Aslı.«
»Guten Morgen.«
»Ich hätte da einige Fragen an dich.«
Wenn nicht, wäre ich überrascht. »Und die wären?«

»Gefällt es dir hier?«, wollte er wissen.
Gute Frage, damit es nicht auffällig wurde, dass er mich nur wieder ausfragen wollte.
»Sehr.«

»Du bist eine sehr talentierte Dame und hast dich sehr schnell gewöhnt.«
Welches Talent brauchte man, um Kellnerin zu werden? »Danke.«

»Du bist wohl kein Mensch der vielen Worte.«
Gut erkannt.
»Aslı, wie geht es deinen Eltern?«
Und schon ist der wahre Grund raus. Nur was interessiert ihn, was meine Eltern taten und lebten? »Prächtig.«
»Sie leben nicht hier, oder?«
Schön locker und lächelnd bleiben, auch wenn du ihm am liebsten gleich eine gescheuert hättest. »Nein. Sie leben in der Türkei.«
»Und du?«
»Wie sie sehen in Deutschland.«
Langsam wurde ich echt gereizt.

Cesur lachte freundlich. »Aber warum, meine Liebe?«
»Sie lieben die Türkei. Es ist ihre Heimat, ihr Glück, ihre Zufriedenheit.«
»Und du?«
»Ich habe dort auch gelebt. Mein türkisch ist nicht schlecht, aber es war schon schwer. Ich weiß auch nicht, woher, aber alle wussten, dass ich aus Deutschland kam. Sie dachten sowieso, dass ich nur Geld schei- ähm, dass wir in Geld schwimmen.«
»Ich verstehe. Du hast also vorher hier gelebt.«
»Richtig.«
»Und deine Eltern wollten nicht wieder zurück? Nicht einmal für dich?«

Plötzlich wurde die Tür laut aufgerissen und vor uns stand ein wütender Burak, der seinen Onkel ansah. »Bunu yapyama hakkın yok! (Du hast nicht das Recht, das zutun!)«, zischte er zornig, packte mich viel zu schnell am Arm und zog mich hoch. Es passierte so schnell, dass ich es kaum realisierte.

»Hör auf, deinen Schmerz an andere auszulassen!«, rief er weiter. »Dieses Mädchen trägt nicht einmal den Hauch von Schuld, verstanden? Also lass sie in Ruhe! Was erwartest du, hä? Was!? Es kommt nicht zurück! Alles, was du tust, ist es, andere zu verletzen! Ich will das nie mehr sehen, dass du Aslı so befragst, hast du mich verstanden?! Ansonsten kannst du mich vergessen!«

Burak zog mich weiter aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Mein Puls stieg, weil ich einfach so etwas nicht erwartet hatte und nicht wusste, wie ich reagieren sollte.

Mein Herz pochte schnell. Was war gerade passiert? Eine Stille herrschte, während Burak mich losließ und sich mit der Hand über das Haar fuhr. Kurz darauf umarmte er mich einfach und ich verstand die Welt nicht mehr.

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