Kapitel 4

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Wiegenlied
Kapitel 04

Ich runzelte meine Stirn und versuchte nebenbei ruhig zu bleiben. Wie konnte das passieren? Erst wag ich Burak wieder begegnet und nun dem Polizisten?

Mein Herz klopfte schnell aus Angst, denn mein erster Gedanke war wieder Neslihan.
»Keine Angst«, lachte er, als hätte er es gespürt. »Im Moment bin ich zivil und außerdem habe ich nicht die Absicht, dich wieder zu verfolgen.«

Ein Stein fiel mir von Herzen. Trotzdem war mir flau im Magen. Unbemerkt suchte ich nach einem Fluchtweg in diesem fahrenden Bus, was vollkommen dumm war.

»Du bist Türkin, 'ne?«, fuhr er fort, als er merkte, dass ich nichts erwidern würde. Ich nickte. Es war keine gute Idee, mich mit ihm verfeinden zu lassen.

»Ich bin auch aus der Türkei.«
Er grinste breit. Das hatte ich ehrlich nicht erwartet, denn er hatte blondes Haar und meeresblaue Augen. Seine Gesichtszüge waren auch nicht so das typisch türkische.

»Ich weiß, sieht man mir nicht an«, lachte er. Was lachte der eigentlich die ganze Zeit?
»Ich heiße Fatih und du?«
Musste das sein?
»Aslı.«

Ich nahm mir vor, an der nächsten Haltestelle sofort auszusteigen. Auf dieses Gespräch hatte ich einfach keinen Nerv für.

»Gestern wollte ich dich eigentlich als Zeugin holen, damit du erklären konntest, wie der Konflikt angefangen hat. Aber du bist weggerannt... Wieso eigentlich?«
Ich hasste Menschen, die zu neugierig waren. Vor allem die, die mich nicht einmal kannten und alles wissen wollten, als wäre das normal. »Ich hatte Panik.«

Fatih hatte ein Dauerlächeln auf. »Kann ich verstehen.«
Eine Weile herrschte Stille, es musste nur kurz gewesen sein, weil wir immer noch nicht an der Haltestelle ankamen, aber für mich kamen es wie Stunden vor.

»Krieg ich deine Nummer, Aslı?«, fragte er verschmitzt. Ich blinzelte. Das war doch nocht sein Ernst.
»Ich kenne sie nicht auswendig.«
»Ist sie nicht in dein Handy eingespeichert?«
»Mein Handy ist ausgegangen.«

Wenn er jetzt immer noch immer nicht verstanden hatte, dass ich ihm meine Nummer nicht geben wollte, war es bedenklich, wie er es zum Polizisten geschafft hatte.
»Dann gebe ich dir meine Nummer und du rufst mich an?«
»Sicher.« Nicht.

Er holte ein Stück Papier raus und einen Stift. Kurz und knapp schrieb er mir seine Nummer auf. Ich nahm es und tat auf interessiert. Der Bus hielt da auch an. Jetzt raus, dachte ich, doch Fatih kam mir Allah sei Dank zuvor. »Ich muss hier raus«, verabschiedete er sich und verließ den Bus.

Zu Hause angekommen, musste ich feststellen, dass Neslihan noch nicht da war. Diese Wohnung war leer ohne sie. Es wirkte plötzlich zu groß, was es gar nicht war. Wir hatten nur eine große Küche, ein Wohnzimmer, ein Badezimmer, und zwei Schlafzimmer.

Um mich abzulenken und weil Neslihan nicht kochen konnte und wir sonst wieder nur Essen bestellen würden, fing ich an zu kochen.

Ich machte nur etwas einfaches und lief dann in mein Zimmer. Mein Zimmer war ganz okay. Die Wände waren rot, auch wenn Neslihan lange dagegen protestiert hatte, weil sie fand, dass ich dadurch nur aggressiv werden würde. Aber ich liebte diese Farbe. Trotzdem hielt ich es nicht lange hier aus und ging dann wieder aus dem Apartment.

Von Weitem sah ich Ecrin auf einer Bank sitzen. Schnell weg, war mein erster Gedanke, doch dann erkannte ich, dass sie weinte.

Meine Füße bewegten sich also ohne meine Erlaubnis in ihre Richtung und somit saß ich neben ihr.
»Was ist los?«, fragte ich. Wie toll. Gerade hatte ich die Frage gestellt, bei der ich es hasste, wenn ich sie hörte, aber mir fiel einfach nichts besseres ein.

Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und sah runter auf den Boden. »Ich- ich hab wohl einige Dinge falsch gemacht.«

Sie biss sich auf die Lippe und sah hoch, wobei sie mehrmals blinzelte, um nicht noch mehr Tränen zu verlieren. »Burak hat mit mir gesprochen.«
Arsch bleibt Arsch. Wer weiß, was er ihr vorgeworfen hatte.

»Und er hat recht.« Diese Einsicht schien sie sehr zu verletzen. Ich legte den Kopf schief. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich nicht mehr gezwungen, bei ihr zu sein, weil ich ihr etwas schuldig war, sondern wollte ich es. »Ich mag diesen Burak überhaupt nicht.«

Ecrin brachte ein leichtes Lächeln hervor, während dennoch Tränen über ihr Gesicht streiften. »Er ist eigentlich kein schlechter Mensch.«
So sieht er aber nicht aus.

»Er- er kennt mich gut und unterstützt mich, weißt du. Ich hab in kurzer Zeit wichtige Personen verloren.«
Ihr Blick glitt zum ersten mal zu mir. »Er hat mir gesagt, dass ich nur mit dir befreundet sei, weil du dort wohnst, wo meine alte beste Freundin gewohnt hat.«
»Und das stimmt?«
»Ja«, sie lachte dabei. Es war eher gequält und voller Kummer. »Weißt du, sie ist umgezogen und war weg aus meinem Leben. Einfach so. Keine Nummer, keine Adresse. Nichts.«

Ich spürte Mitleid und ich verstand, weshalb sie so urplötzlich nett zu mir gewesen war.
»Du bist jetzt sauer auf mich, oder?«
»Nein«, gestand ich.
»Ich möchte wirklich mit dir befreundet sein. Ehrlich. Das am Anfang, da hatte Burak ja recht. Ich wollte sie ersetzen und so, aber jetzt, wo ich dich kenne, ist es, weil ich dich mag.«

»Du magst mich?«
Das war lachhaft. Niemand mochte mich, außer Neslihan. Ich war pessimistisch, negativ und machte einem das Leben nicht leicht. Das hatte ich zu oft gemerkt.

»Du bist mir sehr sympathisch.«
Für eine kurze Zeit sahen wir uns schweigend an. Es fehlte etwas. Ich spürte deutlich, dass ich etwas sagen musste. »Ich möchte auch mit dir befreundet sein«, sprudelte es aus mir heraus. Meinte ich das ernst?

Aber mir war sie ebenfalls sympathisch geworden. Sie lächelte breit. Ich lächelte zurück. »Nur wenn ich diesen Burak nie wiedersehen muss.«
»Davon kommst du wohl so oder so nicht vorbei.«
»Shit.«
»Er ist wirklich sehr nett.«
»Davon kannst du mich nicht überzeugen.«

Wir lachten kurz, als sie dann eine Karte aus ihrer Jackentasche hervorholte und sie mir reichte. »Lach nicht«, warnte sie mich vor. Es war eine Karte auf eine Tanzaufführung. Tanzen?

»Ich spiele da mit«, gab sie zu. »Es ist nur ein winziger Teil, aber meine Eltern sind fest davon überzeugt, dass Tanzauftritte nicht nur etwas für kleine Mädchen sind.«
»Du aber auch.«
»Ja-aah, also ich wollte eigentlich niemanden einladen, weißt du, weil mir das peinlich ist, aber ich finde als meine Freundin, solltest du auch meine andere Seite kennenlernen. Kommst du?«

»Klar, gerne«, erwiderte ich und steckte die Karte ein. Hätte ja nicht "nein" sagen können. Kurz danach verabschiedeten wir uns und ich lief wieder in meine Wohnung. Neslihan war schon da.

»Wann bist du gekommen?«, fragte ich sie.
»Gerade eben. Ich wollte euer Gespräch nicht stören und bin leise hoch«, antwortete sie glücklich.
»Achso... Hast du Hunger?«
»Und wie.«

Ich legte ihr Essen auf einen Teller und stellte es auf den Küchentisch.
»Asli, du bräuchtest dir gar-«
»-nicht so viel Mühe machen brauchen«, beendete ich ihren Satz. »Ich weiß, aber ich wollte es.«

Ich setzte mich zu ihr. »Ich gehe morgen auf eine Tanzaufführung mit Ecrin.«
»Tanzaufführung? Du hasst sowas.«
»Hab ich nie anders behauptet.«
Eine Stille herrschte.

»Tust du das wegen mir?«, flüsterte Neslihan da. »Weil ich es will, dass du dich mit jemandem anfreundest und dich mit der Person triffst? Oder tust du das für dich?«
»Ich tue es für sie.«
Mit diesen Worten verließ ich die Küche und lief in mein Zimmer.

Am nächsten Tag musste ich wie immer früh aufstehen. Ich machte mich schnell fertig, aß etwas und stieg mit Ecrin in ihren Wagen ein. Sie fragte mich dieses mal nichts, denn sie wusste, dass ich nicht sehr gesprächig war.

»Aslı, ich muss dir etwas gestehen«, meinte Ecein, als wir noch fuhren.
»Was denn?«
»Also dieses Stück, da kommt auch Burak hin.«

»Was!?«, rief ich fast schon.
»Reg dich bitte nicht auf. Ich meine, er ist mein bester Freund. Da musste ich ihn doch einladen und eigentlich dachte ich, er sagt eh nein, aber hat er nicht.«
»Hast recht.«, wollte ich mir das Ganze nicht von irgendeinem Typen vermiesen lassen. »Ich muss ja nicht neben ihm sitzen. Wird schon.«

»Ähm, Aslı«, murmelte Ecrin verlegen.
»Ja?«
»Dein Platz ist neben seinem.«

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