Wiegenlied
Kapitel 52Ich versuchte zu lächeln und so zu tun, als sei das nicht schlimm für mich. Es tat schon weh, dass diese Narbe überhaupt existiert, sie jemandem zu zeigen, war noch viel schlimmer.
Burak sah mich immer noch geschockt an. Er erwartete, dass ich ihm etwas sagte. Ich knöpfte mir wieder das Hemd zu. Noch weiter wollte ich mich nicht quälen. »Das ist passiert, als ich klein war. Bin eine Treppe im Krankenhaus runtergefallen und da war ein Gerätewagen. Zumindest wurde mir das so erzählt, ich erinnere mich nicht wirklich daran. Ich sehe nur rot, wenn ich daran denke.«
Ich sehe rot, rieche das Blut, spüre den Schnitt, höre meinen Schrei und weitere verschluckte Laute, ein tränennasses Gesicht, spüre den Schock, die Gänsehaut, die meinen gesamten Körper umfass, kriege kaum Luft.
Er sah mich irritiert an. Das hatte er nicht erwartet, vieleicht glaubte er es mir nicht einmal. Davon ließ er sich jedoch nichts anmerken. »Deshalb kannst du kein Blut sehen.«
Ich nickte langsam. Er strich mir durch das Haar und in seinen Augen konnte ich ablesen, dass er am liebsten noch tausend weitere Fragen stellen wollte. Dies unterließ er aber. Stattdessen schenkte er mir ein Lächeln. »Kommst du morgen zur Feier oder verbringen wir den Tag verborgen in deinem Zimmer?«
»Ich dachte, du wolltest schweigen?«, hob ich meine Braue und grinste.Er hob die Hand und strich über die Stelle meines Hemdes, an der meine Narbe war. »Du bist wunderschön, Aslı Evren.«
Er verließ somit mein Zimmer und ich blieb allein mit dem Haufen Problemen. Mein Grinsen verschwand und meine Gedanken ließen sich Mal wieder nicht ordnen. Ich seufzte. Bald würde alles vorbei sein, redete ich mir ein. Du bist wunderschön, Aslı Evren. Ich wollte nur noch an diese Worte denken.
Nachher klopfte Neslihan an meiner Tür. Sie setzte sich zu mir auf das Bett. »Es tut mir leid. Ich hätte nicht überreagieren sollen.«
»Du hast nicht überreagiert, Neslihan. Ganz und gar nicht. Du hast recht.«
»Ja, aber das hätte ich ahnen können und ich kann dir nicht verbieten, dich mit irgendwem zu treffen. Ich kann dir nur raten, dich von jemandem fernzuhalten. Nicht nur für dich.«
»Ich weiß. Ich passe besser auf.«
»Nach all dem ist es eher auffällig, wenn du dich von denen fern hältst.«
Sie seufzte. »Pass trotzdem auf. Ich vertraue dir.«Ich nickte und fühlte mich dabei beschissen. Sie vertraute mir und ich baute jeden Mist.
»Neslihan, morgen ist eine Feier im Restaurant. Soll ich weiter behaupten, dass ich krank bin und nicht hingehen?«
»Du willst dorthin. Ich glaube nicht, dass in einer kleinen Feier etwas passiert. Sind doch die üblichen Leute, du bist dieselbe Aslı und außerdem ist das ja das Mindeste, wenn du schon nicht auf den Ball gehst.«Ich umarmte sie zum Dank. Sie lächelte mich unbeschwert an. »Lass dir ein schönes Kleid finden.«
Ich hatte nicht viele Kleider. Deshalb holte ich mir schnell ein beiges langes Abendkleid, welches meine Schultern komplett bedeckte.
»Du siehst so schön aus«, lobte mich meine Tanten und drückte mir einen Kuss auf die Wange.Ich freute mich wie ein kleines Kind und konnte den nächsten Tag kaum abwarten. Das Restaurant war voller und es gab viel zu tun, bis zum Abend. Das machte mir aber kaum etwas aus. Ich bediente fröhlich die Kunden. Ecrin war heute Morgen nicht gekommen, aber sie hatte versprochen zur Feier da zu sein.
»Wo ist eigentlich Mahmud?«, fragte ich Burak. Heute Morgen im Wagen hatte ich ihm erzählt, dass ich zur Feier komme. Seitdem hatten wir nicht gerade viele Worte wechseln können, da es so voll im Restaurant war.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich packt er seine Koffer.«
»Welche Koffer?«Kaum hatte ich das gesagt, musste ich auch schon zum nächsten Tisch eilen. Die Leute hatten den richtigen Tag gefunden, um herzukommen. Was war nun mit Mahmud? Wollte der Typ abreisen? Hatte Ecrin schon eine Anzeige erstattet? Ich glaubte kaum, dass ihr Vater sich dafür lange Zeit lassen würde.
Schnell notierte ich mir die Bestellung und versuchte mich zu beeilen. Egal, wie sehr ich mich jedoch anstrengte, erst zur Pause konnte ich wieder mit Burak reden.

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Wiegenlied
Mystery / ThrillerAslı soll nicht in Schwierigkeiten geraten. Vor allem nicht mit der Polizei. Das erklärt ihre Tante ihr immer wieder aufs Neue. Als sie dann doch in welche gerät und vor einem Polizisten flieht, ist sie auf die Hilfe von Burak, der für sie nur ein...