~•°Falscher Zeitpunkt°•~

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Als ich wach wurde, spürte ich sofort Micahs Arm auf meinem Rücken und seine Hand, die beruhigend über meine Seite streichelte.

Ich roch sein Parfum, hörte sein leises Atmen und wollte erneut die Augen schließen, doch die Realität holte mich ein und die Gewissheit, dass es kein Traum war und mein Vater wirklich tot war, überrollte mich erneut wie ein Lastwagen.

Weinend erhob ich mich von Micahs Brust, der von meiner hastigen Bewegung leicht zusammenzuckte und rang dann nach Luft, während er mir behutsam über den Rücken streichelte.

"Willst du mir sagen, was los ist?", fragte er in einem ruhigem Ton, doch sofort schüttelte ich wieder den Kopf. Würde ich es aussprechen, wäre es real und das wollte ich einfach nicht wahrhaben.

"Mia, bitte sag-"
"Micah....", sagte ich in einem gequälten Tonfall, wischte mir die Tränen mit  dem Ärmel seines roten Pullis weg und drehte mich anschließend zu ihm um. "Ich kann nicht", versuchte ich ihm schluchzend zu erklären. Er nickte unbeholfen und sah dabei aus, als ob er gleich auch weinen  würde, was mir unendlich leid tat.

"Willst du etwas essen oder trinken?", stand er dann auf und schaute mich fragend an. Ich musste sofort an Zayn denken und wünschte mir in diesem Moment, ich hätte auch jederzeit einen Flachmann in der Tasche.

"Hast du noch Bier im Keller?", wandt ich mich dann Micah zu, der mich auf meine Frage hin stirnrunzelnd ansah.

"Ja, aber ... Mia... Du-"

"Bitte", unterbrach ich ihn mit zitternder Stimme und sofort gab er nach und nickte, um dann zu seiner Tür zu laufen. Ich schaute zum Fenster, bemerkte, dass es wohl langsam schon wieder dunkel wurde und hörte dann plötzlich die Klingel, von deren Klang mein Herz wieder anfing zu rasen.

"Micah", sprang ich auf und schaute ihn mit großen Augen an. "Wenn das meine Mutter ist", kamen mir erneut Tränen, doch Micah zog mich zu seinem Fenster, platzierte mich hinter seinen blauen, langen Gardinen und zog diese dann zu.

"Ich beeil mich", sagte er leise und schloss hinter sich die Zimmertür, während ich die Luft anhielt und nur noch seine schweren Schritte auf der Treppe hörte.

Totenstille trat dann ein und ich fing so heftig an zu schwitzen, dass mir der Schweiß langsam schon aufs Gesicht lief. Ich traute mich aber nicht, mich zu bewegen oder sonst etwas zu tun.

"Mia?!", hörte ich dann Kiyan rufen und gerade, als ich hinter dem Vorhang hervorkam, trat er durch die Tür und starrte mich vollkommen aufgelöst an.

"Kiyan", flüsterte ich und wollte weinend auf ihn zu, doch er ging  einen Schritt zurück, schaute auf den Boden zu meinen ausgezogen Sachen und wieder zu mir, um mich dann mit einer Kälte anzuschauen, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.

"Als Thomas meinte, dass du zu Micah wärst, dachte ich ernsthaft, er will mich nur provozieren", sagte er leise und schaute mich dabei nichtmal mehr an.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, bekam den Tod meines Vaters nicht über die Lippen und verstand Kiyan  sogar, dass er diese Situation völlig falsch einschätzte.

"Kiyan, es ist-"
"Es ist nicht so wie es aussieht", unterbrach er mich mit Tränen in den Augen und starrte mich fassungslos an. "Ich habs von Anfang an gewusst, dass ich nicht gut genug für dich bin", flüsterte er dann noch und lief wütend aus dem Zimmer.

"Kiyan", hauchte ich und lief ihm hinterher, blieb jedoch oben an der Treppe stehen.

"Warte bitte", flehte ich weinend, doch er eilte die Treppen hinunter und als dann auch noch Micah mit einem Bier aus der Küche kam, sah ich geschockt dabei zu, wie Kiyan ihm ohne ein Wort zu sagen, mitten ins Gesicht schlug.

"Verdammte Scheiße!!!", schrie er noch und knallte dann die Tür hinter sich zu, während Micah das Bier fallenließ und sich die blutende Nase festhielt.

"Fuck", fluchte der Braunhaarige und sofort eilte ich zu ihm runter, um ihn am Rücken in die Küche zum Waschbecken zu schieben.

"Micah, es tut mir so leid", murmelte ich und drehte das Wasser auf, damit er sich die Hände waschen konnte, doch meine Gedanken waren nur noch bei Kiyan. Ich wollte ihm hinterher, ihm alles erklären, doch ich konnte nicht und allein der Gedanke, wie und was er gerade von mir dachte, zerriss mir das Herz. Sicher hatte Thomas ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt, denn wüsste Kiyan von meinem Vater, wüsste er wieso ich hier war und wäre für mich da.

"Für was entschuldigst du dich? Du hast mich doch nicht geschlagen", meinte Micah plötzlich, während ich ihn nur irritiert anstarrte.

"Trotzdem ist es meine Schuld", murmelte ich und atmete einmal tief durch, um erneute Tränen zurückzuhalten.

"Du hast überhaupt keine Schuld daran. Außerdem tut es nichtmal weh", meinte er tapfer und grinste mich dämlich von der Seite an.

Wäre mein Vater nicht gerade gestorben und mein Freund wäre nicht  abgehauen, weil er davon überzeugt war, ich hätte etwas mit einem anderen, hätte ich vermutlich über seine tapfere Art lächeln müssen und ihm dafür in die Seite geboxt, doch das alles war wirklich passiert und ich schaute ohne Ausdruck in sein grinsendes  Gesicht, dass schnell wieder mitleidig wurde.

"Erzähl mir endlich, was überhaupt los ist", sagte er fast flehend und hielt sich ein Handtuch an die Nase, nachdem er das Wasser zugedreht hatte.

"Meine Mutter hat mich gestern geschlagen", fing ich an und er schaute mich sofort irritiert an. "Dann bin ich abgehauen zu Zayn. Als Kiyan dann kam haben wir uns kurz unterhalten und sind dann los, um uns mit euch zu treffen."

Er nickte immer wieder und hörte aufmerksam zu, doch das war erst der Anfang. 

"Heute morgen hatten Zayn und Kiyan Streit, woraufhin wir nach Hause sind und da waren... da waren... "

Tränen füllten meine Augen und schweratmend fasste ich mir ans Herz, aus Angst, es würde gleich aufhören zu schlagen.

"Ist schon gut", nahm  Micah meine Hand und streichelte über meinen Arm, bis ich mich beruhigt hatte und weitersprach.

"Micah, mein Vater hat mich diese Nacht gesucht und hatte einen Unfall. Er ist tot."

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1000 Wörter

My new stepbrother - Konsequenzen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt