~•°Verdrängen°•~

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"Du verstehst es einfach nicht", meinte er und klang dabei fast schon verzweifelt. Er schaute mich für einige Sekunden intensiv an, doch dann wandt er sich von mir ab und lief zur Tür, was mir einfach nur unbeschreiblich weh tat. Zwar war ich sauer auf ihn und alles was zwischen uns stand, aber ohne seine Nähe fühlte ich mich irgendwie, als würde mir etwas fehlen und das war kaum zu ertragen.

"Kiyan, warte", schoss es aus mir heraus, doch als er sich dann nochmal zu mir umdrehte, wusste ich nichts mehr zu sagen und so verließ er mein Zimmer und ich fühlte mich einsamer denn je.

Die Tränen liefen langsam über meine Wangen, während ich wie erstarrt da stand und die geschlossene Tür anstarrte. War das alles noch real? War es möglich sich nach einem Kuss, nach einem Geheimnis, nach solchen Blicken in eine Person zu verlieben? Das kam mir so verwirrend vor und ich ließ mich einfach erschöpft in mein Bett fallen, während  die Tränen unaufhörlich auf mein Kissen fielen und mir damit zeigten, wie sehr ich ihn schon an mich herangelassen hatte...

***

Als ich morgens meine Augen langsam öffnete, wollte ich nur schnell wieder einschlafen. Mein Kopf tat mir weh, meine Augen fühlten sich geschwollen an und selbst das Piercing brannte unangenehm.  Würde ich jetzt an einer Blutvergiftung sterben, würde es mir schon gar nichts mehr ausmachen...

Erschocken erhob ich mich und dachte über diesen Gedanken nach. Wie verbittert musste ich schon sein, wegen eines Jungen, den ich nichtmal eine Woche kannte, mich nach dem Tod zu sehen? Das war nicht ich und ich schämte mich dafür, so zu empfinden. Was ich in dem Augenblick um mich brauchte und zwar schnell, waren meine Freunde und gute Laune. Ich wollte wegen etwas, das nichtmal wirklich angefangen hatte, nicht am Ende sein.

Schnell stand ich auf, zog mir eine schwarze Jeans und eine weiße Bluse an und band meine braunen Haare zu einem hohen Dutt. Ich würde keine Träne mehr wegen ihm vergießen, erst recht nicht, nachdem mir bewusst wurde, das er wirklich etwas mit Chloe am laufen hatte.

Ich verließ erhobenen Hauptes mein Zimmer und traf in der Küche dann ungewollt auf meine Mutter, die anscheinend heute von zu Hause aus arbeitete. Ihr Laptop stand auf dem Tisch und überall lagen Papiere rum.

"Guten Morgen, möchtest du einen Kaffe?", fragte sie mit einem Lächeln und ich wunderte mich darüber, das sie seit Papa weg war nicht einmal fragte, wie es mir geht. Immer nur ob ich was essen oder trinken wollte.  Dachte sie einfach meine Grundbedürfnisse zu stillen, würde sie zu einer guten Mutter machen?

"Nein, danke. Ich wollte zu Micah", informierte ich sie und wollte zur Tür, doch da hörte ich Kiyan hinter mir und spürte bei seiner Stimme dieses miese Kribbeln im Magen, dass ich nicht mehr empfinden wollte.

"Ich komme mit. Ich hab was bei ihm vergessen", trat er neben mich und schaute mich so unschuldig an, als hätte er mir letzte Nacht nicht wehgetan.

"Was hast du denn vergessen? Chloe?", entgegnete ich ihm genervt und riss dann wütend die Tür auf, um ihm voraus in die Sonne zu laufen.

"Wie könnte ich sie je vergessen. Du erinnerst mich ja stündlich an sie", versuchte er witzig zu sein, doch ich ignorierte ihn.

"Kiyan, du bist wirklich absolut undurchschaubar. Du solltest Schauspieler werden", wandt ich mich ihm zu und schüttelte dabei den Kopf. Innerlich spürte ich wieder Verlangen und Wut gleichermaßen, was mich wieder in diese Achterbahn der Gefühle katapultierte.

"Mein Gott, Mia! Glaubst du mir immernoch nicht?", wurde er lauter und ich blieb automatisch stehen, als er stehen blieb.

"Wieso sollte ich dir glauben? Ich kenne dich doch kaum", gab ich ihm zurück und er sah plötzlich wütend aus, was mir ziemlich unangenehm war.

"Eben! Du kennst mich nicht! Du hast keine  Ahnung von mir und meinem Leben, aber du urteilst, genau wie alle anderen! Wie soll ich dir zeigen, wer ich wirklich bin, wenn du nur das offensichtliche siehst?"

Ich dachte über seine Worte nach und wich dabei seinem wütenden Blick aus.

"Du bist wie alle anderen", sagte er mit einer Verachtung in der Stimme, die mir eiskalt über den Rücken lief. Wie konnte er von mir denken, dass ich ihn verurteilen würde? Das tat ich nicht und das wollte ich ihm auch mitteilen, doch er lief zurück zu unserem Haus und ich hatte keine Chance mehr, mich zu erklären. Ich wollte doch einfach nur die Wahrheit wissen und nicht ständig mit neuen Rätseln konfrontiert werden.

Das war's mit meinem Selbstbewusstein und meinem erhobenen Haupt. Wieder schaffte er es mich und meine Gefühle komplett aus der Bahn zu werfen. Ich wusste nichtmal mehr, ob ich ihm hinterher oder weiter zu Micah laufen sollte. Wieso hörte dieses Chaos nicht einfach auf!

Wütend, traurig und überfordert setzte ich meinen Weg fort und als ich bei Micah ankam, brach ich schon in Tränen aus, ehe ich überhaupt klingeln konnte.

"Guten Morgen", öffnete mir ein verschlafener Micah die Tür und sofort schaute er mich schockiert an.  Schluchzend ließ ich mich in seine Arme fallen und ich war in dem Moment einfach nur froh ihn bei mir zu haben. Seine starken Arme um mich gaben mir Kraft und dadurch, das er immer wieder beruhigend über meinen Rücken streichelte, hörte das Weinen zum Glück auch schnell wieder auf.

Langsam löste ich mich von ihm und er machte dann erst die Haustür hinter mir zu.
"Kaffe?", fragte er kurz und knapp und da fiel mir erst wieder ein, das er sicher immernoch Probleme mit seiner Zunge hatte. Ich nickte und wischte mir die Tränen weg, woraufhin er mich angrinste und mir aufmunternd in meine Wange kniff.

Als er dann rechts herum in die Küche verschwand, lief ich ins Wohnzimmer und bemerkte dann erst, das hier immernoch ein paar Leute waren, die anscheinend das Ende der Party verpasst hatten. Oder aber Micah konnte sich aufgrund seiner Zunge nicht mitteilen und keiner wusste wann man gehen sollte.

Was mir aber dann wirklich einen Schock versetzte, war das Szenario, das ich am Esstisch entdeckte.

Da war ein Typ, den ich nicht kannte und genau dieser Unbekannte machte mit einem Mädchen rum, die ich sofort als Chloe erkannte. Entweder hatte Kiyan wirklich die Wahrheit gesagt und sie hatten keine Beziehung, oder aber sie war das größte Miststück, das hier rumlief. 

Mein Herz raste vor Aufregung und als es dann auch noch hinter mir klingelte, lief ich sofort zurück zur Haustür und hatte nicht vor sie zu öffnen. Ich wollte nicht das Kiyan sowas sehen musste. Es würde ihm wehtun, oder auch nicht. Ich hatte keine Ahnung und wollte ihn nur vor dieser Enttäuschung beschützen.

War ich noch normal? Langsam zweifelte ich daran ...

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1050 Wörter

My new stepbrother - Konsequenzen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt