~•°Unglaublich°•~

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Ich stand nervös neben Zayn und starrte genau wie er der Dunkelheit entgegen, in der Kiyan auf der Bank saß. Der Mond gab hier außerhalb der Bäume wenigstens etwas Licht und so konnte ich sofort erkennen, dass er uns flüchtig musterte, um dann wieder stur nach vorne zu schauen.

"Rede mit ihm", kam es flüsternd von Zayn, der mir dann auch gleichzeitig den Jägermeister aus der Hand nahm, um einen kräftigen Schluck zu nehmen.

"Und was soll ich sagen?", fragte ich ihn  skeptisch, immerhin war ich auch sauer und verletzt, auch wenn mein Herz mich gegen meinen Willen hierher geführt hatte.

"Ich weiß es nicht, vielleicht sagt ihr euch einfach mal was ihr empfindet. Unterdrückte Gefühle sind für die Psyche genau beschissen wie das Zeug hier", hob er die Flasche kurz an und schlenderte dann mit Blick auf Kiyan einfach am Rand des Spielplatzes in die andere Richtung, um sich auf die Schaukel zu setzen, auf der ich auch  schon gesessen hatte.

Mein Atem beschleunigte sich und ich machte vorsichtig einen Schritt nach dem anderen, um Kiyan immer näher zu kommen, der einfach in seiner dunklen Jacke dasaß und wie erstarrt wirkte. Trotzdem sah er einfach wunderschön aus ...

Umso näher ich ihm kam, umso mehr Gedanken schossen mir durch den Kopf und es entstand ein kleiner Kampf in mir, der mir so langsam unangenehm auf den Magen schlug, denn es verträgt sich nicht gut wenn das Herz etwas empfindet, dass der Verstand einem ausreden will. Ein Strudel der einen ins Chaos stürzen lassen kann.

Ich war nämlich sauer auf ihn und trotzdem wollte ich nichts mehr, als bei ihm zu sein. Ich war enttäuscht und trotzdem machte sein Anblick mich wieder schwach, wie jedesmal. Ich kam mir vor als würde ich zerissen werden und ich wusste ja nichtmal wieso ich so empfand oder was genau es war. Für Liebe kannte ich ihn noch nicht lange genug, oder gab es wirklich die Liebe auf den ersten Blick? Verliebheit fühlte sich anders an, nicht so schmerzverzerrt, aber was war es dann, dass mich nur noch ihn sehen ließ?

Voll von meinem Chaos eingenommen blieb ich genau vor ihm stehen, doch er wich meinem Blick aus und schaute zu Boden, während er mit einer Schachtel Zigaretten zwischen seinen Händen herumspielte.

"Darf ich eine?", fragte ich dann leise und versuchte so ein Gespräch anzufangen.  Man sagte ja durchs Rauchen lernt man neue Leute kennen, vielleicht  konnte man dann so auch gut eine Unterhaltung anfangen, denn ich wusste einfach nicht mit ihm umzugehen.

Er stand ohne mich anzusehen auf, holte eine Zigarette heraus und machte sie an, um sie mir dann zu reichen.

"Das ist die erste und letzte die ich dir gebe", meinte er kühl und ich nahm sie zitternd vor Nervosität entgegen, um dann leicht an ihr zu ziehen und ihn anzuschauen.

"Können wir reden?", meinte ich dann und ich wunderte mich immernoch über meine mir mutig vorkommende Art. Nüchtern wäre ich nie auf die Idee gekommen, nach dem ganzen scheiß der uns passiert war so locker mit ihm zu reden. Vermutlich wäre ich mal wieder auf der Flucht vor allem und jedem.

Er schaute mich plötzlich an und hielt mich in seinem kalten Blick gefangen. Wieder einmal spürte ich die Gänsehaut auf meinen Armen, wieder einmal machte er mich alleine mit seinem Blick sprachlos und ich fühlte mich als wäre für einen kurzen Augenblick die Dunkelheit um mich herum verschwunden.

"Okay", sagte er nur und steckte seine Hände dabei in seine Jackentaschen, um mich weiterhin mit seinem Blick zu bestrafen.

Ich atmete tief durch, zog ein letztes Mal an diesem stinkenden Gift und packte dann einfach alles auf eine Karte. Betrunken zu sein machte einen ja irgendwie hemmungslos, was ich am eigenen Leib erfahren musste. Außerdem hatte Zayn Recht. Wie sollte das alles weitergehen wenn keiner zugibt das er wirklich denkt? Dadurch hatte ich womöglich schon Micah verloren ...

"Ich fand das Spiel nicht gut, vor allem weil ich dabei zusehen musste, wie du meine beste-"

Ich unterbrach mich selbst, schaute kurz zu Boden und hielt mir die aufkommenden Tränen zurück, was ihn dazu brachte, mich noch intensiver zu mustern als meine glänzenden Augen wieder auf seine trafen. Er wollte etwas sagen, doch ich hielt meine Hand hoch und fuhr einfach fort.

"Es tat mir weh, dass du Juline geküsst hast. So weh, das ich immernoch dieses Stechen im Brustkorb spüre. Ich weiß, ich kenne dich kaum und hab kein Recht mich darüber aufzuregen  und trotzdem raubt mir der Gedanke, dich  würde eine andere berühren oder küssen, meine Luft zum Atmen."

Unsere Augen waren ununterbrochen dabei sich gegenseitig zu fixieren, während ich mir sofort einfach nur dämlich vorkam, so ehrlich zu ihm zu sein. Er dachte sicher ich wäre so ein kleines anhängliches Mädchen, dass ihm hinterherlaufen und sich alles gefallen lassen würde, doch dann holte er seine Hand aus der Jacke und hielt sie mir entgegen, während seine Art mich anzuschauen sich wieder veränderte.

Ich starrte seine Hand an, hatte aber das Gefühl, wenn ich sie jetzt nehmen würde, dann würde ich mich komplett aufgeben, also wandt ich meinen Blick wieder von der Hand zu seinem Gesicht und machte keine Anstalten sie entgegen zu nehmen, egal wie sehr mich mein Herz dazu zwingen wollte. Ich wollte einfach nur wissen was er dachte, was er empfand und was sein Grund war, mir so wehzutun.

"Hör zu Mia", fing er ruhig an und nahm seine Hand zögerlich wieder zurück. "Wenn wir schon bei Ehrlichkeit sind, ich wollte sie nicht küssen! Ich hab es sofort bereut, doch ich kam einfach nicht damit klar, dass jemand wie du Interesse an mir hat, verstehst du das?"

Nein, ich verstand es nicht und schaute ihn weiterhin nur irritiert an, woraufhin er nervöser wurde und sich mit beiden Händen durch die Haare fuhr.

"Du bist so normal, verstehst du. Ich-"

"Und du bist was? Unnormal?", unterbrach ich ihn doch sein Blick wurde sofort wieder kalt.

"Unterbrich mich bitte nicht", meinte er und kam einen Schritt auf mich zu, sodass ich die Wärme seiner Ausstrahlung schon fast spüren konnte. "Ich hab viel scheisse gebaut in meinem Leben und alles was ich anfange, endet meistens in einer Katastrophe. Meine Eltern haben mich zu früh verlassen, meine Ex ist mir dauerhaft fremdgegangen und Thomas ist einfach... er ist einfach nie respektvoll mit mir umgegangen. Ich hab nie gelernt zu vertrauen und ich hatte einfach Angst davor, mich noch mehr zu dir hingezogen zu fühlen, mich in dir zu verlieren. Davor hab ich immernoch Angst, denn ich kann dir rein gar nichts bieten. Ich dachte wenn ich diese Juline küsse verlierst du das Interesse an mir und jetzt sehe ich dich zusammen mit Zayn hierher kommen und ich frage mich die ganze Zeit nur warum du das tust?"

Seine Worte taten mir weh, nicht wegen mir, sondern wegen der Erkenntnis, dass das Leben ihm gegenüber so ungerecht war.

"Ich weiß es nicht", gab ich dann mit Tränen in den Augen zu, die langsam den Weg über meine von der Nacht kalt gewordenen Wangen fanden. "Ich wollte einfach bei dir sein, egal ob du mir wehgetan hast oder nicht."

Er sagte nichts mehr und mir wurde so langsam bewusst, dass er so eine Angst hatte verletzt zu werden, dass er anscheinend lieber selbst dafür sorgte Dinge zu zerstören, bevor sie ihm schmerzhaft weggenommen werden würden. Was hatte er nur durchgemacht? Klar, er war kalt und kaum jemand kannte ihn wirklich, aber vor mir stand kein unbekanntes Arschloch mehr. Vor mir stand jemand, der mir vertraute, der mir ein gutes Gefühl gab und dem ich mich so nahe fühlte, wie zu noch keinem vorher in meinem Leben.

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1258 Wörter

My new stepbrother - Konsequenzen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt