~•°Abendessen°•~

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Kaum trat ich durch die Haustür, kam meine Mutter schon auf mich zu, doch sie sah überhaupt nicht wütend  oder sauer aus, so wie ich es erwartet hatte. Im Gegenteil. Sie strahlte über beide Ohren und hatte sich auch schön zurecht gemacht, was mir um 22 Uhr schon fast unheimlich vorkam. Ihre rötlichen Haare hatte sie hochgebunden und das schwarze Kleid sah wirklich nicht aus, als ob man es einfach zum Relaxen zu Hause tragen würde.

"Da bist du ja mein Schatz", begrüßte sie mich und sofort fragte ich mich, ob ich im Kino eingeschlafen wäre, denn das Theater hier konnte nur ein verrückter Traum sein.

"Was ist hier los?", fragte ich sie skeptisch und sah dann rüber in die braune, offene Küche, wo Töpfe und Pfannen auf dem Herd standen. Sofort fiel mir auch auf, dass unser runder Glastisch daneben gedeckt war und das nicht nur für zwei, sondern für vier Personen.

Mein erster Gedanke, der auch der Schönste war, war, dass sie meinen Vater angerufen hatte und sie sich versöhnen wollten, aber wieso wurde dann für vier gedeckt?

"Setz dich erstmal", schob sie mich am Rücken zum Tisch, an dem ich verwirrt Platz nahm und sie immernoch fragend musterte. Sie summte vor sich hin und stellte sich mir gegenüber in die Küche, um das Essen in Schüsseln zu verteilen und da klingelte es auch schon an der Tür.

Ich war völlig überfordert, kam mir vor wie in einem schlecht gedrehten Film und fühlte mich wie gefangen, als wäre ich zu Eis erstarrt. Ich war weder im Stande aufzustehen noch etwas zu sagen und als sie dann  lächelnd an mir vorbei zur Tür tapste, drehte ich mich auch zur Haustür und traute meinen Augen nicht, als sie dem Mann, der eintrat, einen viel zu intimen Kuss auf die Wange gab.

Ich war von einer auf die andere Sekunde wie unter Wasser, denn dieser Mann war derjenige, den ich bei ihr im Bett erwischt hatte. Mir gefror das Blut in den Adern und meinen schnellen Herzschlag konnte ich bis zu meinem Hals spüren. Das konnte doch nur ein Scherz sein.

"Hallo Mia, ich bin Thomas", riss mich der Schwarzhaarige aus meinen Gedanken und hielt mir seine Hand entgegen, doch ich starrte ihn nur ungläubig an und suchte dann den Blick meiner Mutter, die aber immernoch an der Tür stand und mit jemanden redete.

Thomas, oder wie auch immer dieser Vogel hieß, der hier nicht erwünscht war, zog seine Hand wieder zurück und spielte dann an seinem blau-weiß karierten Hemd, als würde er sich unwohl fühlen. Sollte er auch! Er war hier nicht erwünscht und am liebsten wäre ich meiner Mutter an die Gurgel gesprungen, doch gerade, als ich mich wieder gefasst hatte und aufstehen wollte, sah ich plötzlich neben ihr in das Gesicht dieses Idioten und als dann Thomas auch noch meinte "Das ist mein Sohn Kiyan" war es mit meiner Geduld am Ende.

Ich stand hektisch auf, ging auf meine strahlende Mutter zu und riss sie am Arm mit mir in mein Zimmer.

"Hast du den Verstand verloren?!", schrie ich sie an und es kostete mich alle Kraft, nicht vor Zorn in Tränen auszubrechen. Wie konnte sie meinem Vater nach so vielen Jahren zusammen so etwas antun? Dieser Mann und dieser Kiyan hatten hier nichts zusuchen. Es war immernoch das Haus meines Vaters und nicht ihres.

"Benimm dich wenigstens mal einen Abend und blamier mich nicht immer!", zischte sie und entzog mir ihren Arm, um sich ihr Kleid wieder zu richten. "Oder soll ich dich vielleicht mal bei einer Therapie anmelden. Dein Verhalten macht mir schon langsam Sorgen, Mia."

Ich riss die Augen auf und konnte nicht fassen, was sie da gerade gesagt hatte. Mein Verhalten machte ihr Sorgen? Weil ich auf der Party meines besten Freundes war und mich für meinen Vater einsetzte? Also ich kam  mir im Gegensatz zu ihr völlig normal vor!

"Ich gehe zu Papa", gab ich ihr nur kurz und knapp zurück und wollte gerade meinen  Rucksack schnappen, da griff sie sofort nach meinem Arm und schaute mich wütend an.

"Du gehst nirgendwo hin! Haben wir uns verstanden?", warnte sie mich und verließ dann mein Zimmer, um meine Tür so fest zuzuknallen, dass ich erschrocken zusammenzuckte.

Das musste alles ein schlechter Scherz sein. Ich nahm mein Handy in die Hand und versuchte als erstes Juline zu erreichen, aber sie ging nicht dran, wodurch die Tränen anfingen unaufhaltsam über meine Wangen zu laufen und ich mich einfach nur noch alleine, verlassen und unverstanden fühlte.

Weinend ließ ich mich auf mein Bett fallen und schaute sicher mehrere Minuten Micahs Nummer und sein Profilbild an, doch ich rief ihn nicht an. Vor dem Kuss hätte ich ihn angerufen, aber nach diesem Fehler war es einfach nicht mehr möglich, mich bei ihm wohl zu fühlen.

Meinen Vater brauchte ich gar nicht anrufen und das traute ich mich auch gar nicht. Er würde wahrscheinlich vor Wut explodieren oder sich in eine tiefe Depression stürzen. Das wollte ich ihm nicht antun. Er hatte schon genug Sorgen auch ohne zu wissen was hier abgeht.

Ich stand wieder auf und überlegte mir meine nächsten Schritte ganz genau. Dort drüben, eine Wand entfernt, saß meine Mutter mit ihren neuen Lover und am allerschlimmsten war noch der Gedanke, das dieser Kiyan sein Sohn war. Wie sollte ich mir das alles vorstellen? Ich kam mir wirklich langsam vor wie bei 》Verstehen Sie Spaß《 und wartete nur darauf, dass das alles aufgelöst werden würde, denn real kam mir nichts mehr vor.

Als es dann an der Tür klopfte hielt  ich die Luft an, als würde so niemand mehr wissen das ich mich hier befand, aber natürlich klopfte es nochmal und zögerlich lief ich zu der weißen Tür und wischte mir auf dem Weg noch die Tränen aus dem Gesicht, die viel zu schnell durch neue ersetzt wurden.

Langsam öffnete ich sie und ohne das ich Kiyan die Erlaubnis gab, trat er an mir vorbei in mein Zimmer ein und schaute sich neugierig um. Ohne was zu sagen lief er einfach zu meinem Nachttisch und setzte sich auf mein Bett, um sich das Foto von mir und Juline anzusehen.

"Kannst du bitte wieder gehen", flüsterte ich schluchzend und stellte mich mit verschränkten Armen vor ihm hin, genau wie im Kino.

"Willst du wirklich, dass ich gehe?", fragte er dann und ich fühlte mich kurz gefangen in seinem mich durchbohrenden Blick. Er stand auf, kam mir damit wieder viel zu nah und als ich mich wieder gefangen hatte, nickte ich ihn an und er verschwand ohne ein Wort zu sagen wieder aus meinem Zimmer.

Völlig überfordert ignorierte ich einfach die Drohung meiner Mutter und schnappte mir meinen Rucksack, um alles mögliche an Klamotten aus meiner schwarzen Kommode hineinzustopfen. Anschließend zog ich noch meine Kopfhörer auf und machte auf dem Handy das Lied 》Eye of the tiger《 an. Wenn schon denn schon, dachte ich mir und lief mit der lauten Musik in den Ohren einfach durch den Flur und an ihnen vorbei zur Haustür.

Ein kurzer Blick zum Tisch und die drei schauten mich zwar alle gleichzeitig an, aber jeder auf seine eigene Art. Während dieser Thomas gar keinen Ausdruck in den Augen hatte, schäumte meiner Mutter ihr Gesicht vor Wut und Kiyan sah mich an, als würde auch er einfach nur abhauen wollen, aber  nicht mit mir. Sollte er sich einen eigenen Zeitpunkt aussuchen die Biege zu machen.

Als ich dann noch sah, dass meine Mutter anscheinend mit mir redete, lächelte ich nur milde über die Tatsache, dass ich kein Wort verstehen konnte und verließ dann um Punkt 23 Uhr das Haus der Dämonen, um die verlassene Straße entlang zu laufen.

Nächstes Ziel Juline.

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My new stepbrother - Konsequenzen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt