Kapitel 6

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Gedankenverloren ließ Taehyung den Brief zwischen seinen Fingern gleiten.

Immer wider an den Kanten entlang, während sein Blick die Buchstaben darauf nach fuhr.

An Präsident Kim Taehyung...

Was das wohl wichtiges war? Und warum hatte dieser Typ so etwas wegschließen wollen?

Es waren doch nur Papiere darin - oder?

Was könnte es wichtiges sein, was ein Omega, wie Jeon Jungkook ihm sagen könnte? Und wenn es wichtig war: warum hatte er es Taehyung noch nicht zukommen lassen?

Warum hatte er gewartet und wie lange?

Nachdenklich legte er den ungeöffneten Brief auf den Tisch neben seinem Sessel.

Er sollte ihn weg schmeißen.

Ganz sicher sollte er das. Eine zwielichtige Person, wie dieser Mann, konnte ihm nichts sagen, was Bedeutung für ihn haben könnte - oder doch?

Angestrengt fuhr er sich mit seinen Händen über das Gesicht. Massierte die Schläfen, die ihn gerade belasteten.

Er hasste Belastungen. Aber genau so hasste er es von Dingen abhängig zu sein.

Also keine Tabletten. Nein. Stattdessen sollte er lieber zu einem Drink greifen. Es würde seine verkrampften Muskeln zur Entspannung zwingen. Etwas, was er gerade dringend brauchte.

Gekonnt öffnete er die Glaskaraffe neben sich, in der eine braune Flüssigkeit verheißungsvoll glitzerte.

Ohne zu zögern ließ er sich einen Schluck dieses teuren Tropfens ins Glas perlen.

4cl. Mehr brauchte er nicht, um ein bisschen Ruhe zu finden.

Mit dem Glas in der Hand stand er von seinem Sessel auf. Lief langsam zum großen Fenster seines Schlafzimmers und starrte auf die leuchtende Kulisse vor sich.

Seoul bei Nacht war doch etwas wirklich berauschendes.

Wenn er den Gedanken, dass gerade die Dunkelheit die schlimmsten Arten von menschlichem Lebens barg, verdrängte, dann könnte es sogar Zufriedenheit in ihm hervorrufen.

Aber auch dieses Problem würde er aus Seouls Straßen noch entfernen.

Er war nicht ohne Grund Präsident. Er hatte Ziele. Vorstellungen, wie die perfekte Welt auszusehen hatte.

Keine Drogen, keine Prostitution. Frauen und Omegas könnten ohne Angst in der Dunkelheit die Straßen betreten. Familien genossen die angenehme Promenade des Hangang Flusses ohne von Kriminellen angesprochen zu werden...

Ihm war bewusst, dass diese Vorstellung nicht ohne Blut und Tränen durchgesetzt werden konnte.

Doch das würde er in Kauf nehmen, wenn die Zukunft dafür sicher war.

Hinter sich öffnete sich eine Tür. Leise Schritte bewegten sich auf dem Parkett, liefen ins Ankleidezimmer, wurden still. Schubfächer öffneten sich. 

Sein Butler.

"Ed, so spät noch unterwegs? Haben dich deine Kinder etwa erneut so sehr in Beschlag genommen?"

Entspannt drehte sich Taehyung zu dem Mann um, der geschäftig sein Bett aufschlug, die Kleidung vom Stuhl daneben an sich nahm und mit bedächtigen Schritten zum Tisch lief auf dem der weiße ungeöffnete Umschlag lag.

"Ja, mein Herr, aber das mache ich gerne. Es sind schließlich meine Kinder."

Gezielt griff der Butler nach dem schweren Papier, wollte ihn schon mitnehmen...

"Nicht!" Überrascht zuckte der Mann zusammen bei dem plötzlichen Ausruf und schaute ihn abwartend an.

"Entschuldigen Sie Ed. Ich wollte sie nicht erschrecken, aber der Brief...", ohne den Blick von dem Papier zu wenden lief er auf den etwas älteren Mann zu, "der bleibt hier..."

Ergebend nickte der Mann, legte ihn wieder zurück und verbeugte sich angemessen. Nichts erwiderte Ed auf das komische Verhalten seines Herren - genau so, wie es sich für diesen gehörte. 

"Sir, ich würde mich dann für heute verabschieden, falls sie nichts mehr wünschen..."

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen winkte Taehyung ab. Stellte sich wieder ans Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus...

... ohne den Brief in dieser Nacht nochmals in Erwägung zu ziehen.

...

"Guten Morgen, Herr Kim!", schreckte ihn eine grelle Stimme aus dem Bett. Eine Stimme, die ihn schon seit seiner Kindheit aus der heimeligen Wärme heraus gerissen und unter die kalte Dusche geschoben hatte. 

"Aufstehen, mein Lieber und ab unter die Dusche!", es hatte sich nicht viel verändert - trotz seiner mittlerweile 35 Jahre. 

Stöhnend verkoch sich Tae unter der Decke - als ob das jemals was gebracht hätte - und schloss damit das grelle Tageslicht für einen weiteren kurzen Moment aus. 

"Anny, nur noch kurz..."

"Vergiss es! Ein Präsident von Südkorea verschläft nicht egal wie lang die Nacht davor war - Also los steh auf!" 

Nörgelnd blieb Tae unter der Decke liegen. Machte keine Anstalten den Befehlen der alten Frau nachzukommen. 

"Du sagst es Anny: Ich bin der Präsident und deswegen können die Leute auch warten..." Es war nicht die erste Diskussion dieser Art am Morgen und auch nicht die letzte. Wenn es nach ihm ginge, dann würde diese Dame nämlich niemals seinen Hausstand verlassen. Niemals alt werden oder zu gebrechlich, um nicht weiterhin jeden Morgen in sein Zimmer stürmen zu können. 

Nein, so sehr er auch Veränderung für die Welt da draußen wollte, so war das hier drinnen sein eigenes Reich. Seine eigene Welt, die er bestimmte - bis natürlich auf Anny. Die hatte schon immer gemacht, was sie wollte - und das war in Ordnung. 

Mit sechs Jahren war er ihr das erste Mal begegnet. War mehr Mutter für ihn, als die eigene und hatte ihn erzogen. Von ihr wusste er, wie er wirklich freundlich sein konnte, wirklich gutes in die Welt bringen konnte.

Für sie wollte er die Welt besser machen. Das Dunkel dieser Stadt bekämpfen, welches ihr die einzige Tochter genommen hatte.

"Gut, wenn du nicht aufstehen willst, dann werde ich mich jetzt in diesen Sessel setzen, meine Brille aufsetzen und.. - oh, was für eine hübsche Handschrift..."

Noch ehe die Frau ein weiteres Wort sagen konnte, war Tae bereits aus dem Bett gesprungen und entriss den Brief aus den schmalen Fingern seines Kindermädchens, welches ihn mit großen Augen und weit hochgezogenen Augenbrauen anschaute. 

"Da steht Kim Taehyung drauf und nicht Hong Anny - das müssten selbst deine alten Augen noch lesen können." 

Beschützerisch hielt Tae den Umschlag an seine Brust. Versuchte ihn mit seinen Armen zu verstecken, während seine Augen sie anklagend musterten. 

"Was war das gerade?" Der Klang ihrer Stimme ließ ihn zusammenzucken. Machte ihn bereit loszusprinten, damit der Zorn seines Kindermädchens ihn nicht traf. 

Leider zu spät.

Noch ehe er aus dem Raum eilen konnte traf ihn einer der Latschen der alten Frau am Hinterkopf. 

"Komm du mir heute nochmal unter meine "alten Augen", dann mach ich mit meinen alten Händen aus dir die Mahlzeit für heute Abend, du frecher Bengel!"

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Wir wollen hier nochmal darauf hinweisen, dass Tae 35 Jahre alt ist - aber manche Dinge ändern sich halt nie xD

Bad Chick - TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt