VI.2

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Die späte Dämmerstunde hatte sich über das Adriatische Meer gelegt. Schon lange war die rote Sonne in der Adria versunken. Nur noch das seichte Spiel aus Gelb und Orange am fernsten Punkt des Horizonts zeugte davon. Das Meer war mittlerweile genauso ruhig und dunkel wie der schwarzblaue Abendhimmel direkt über ihm – die Nacht hingegen war noch lange nicht aufgezogen.

Aus der Ferne hallten immer wieder stark akzentuierte Wortfragmente zu ihm, während die Vögel munter zwitscherten und das Zirpen der Zikaden jegliches Meeresrauschen übertönte. Gefühlt tausende Lichter ließen den fernen slowenischen Küstenstreifen zu seiner Linken erleuchten und vereinzelt flogen immer wieder kleine schwarze Schatten blitzschnell vor diesem kleinen Balkon über die schmalen Büsche und Pinienbäume hinweg. Es hatte ein wenig gedauert, bis er in Erinnerung der vielen Höhlen hier in der Umgebung begriffen hatte, dass es wohl Fledermäuse auf der Jagd nach Insekten waren.

Schmunzelnd sah Paddy in den Abend von der italienischen Hafenstadt Triest, der alles andere als trist war – nur vereinzelt schielte er zu seinem Handy auf dem schmalen Holztisch vor ihm. Schon seit geraumer Zeit zeigte es ihm so manche Nachrichten und verpasste Anrufe an – nur nicht die, die er wirklich haben wollte. Und dann wollte er auch weiterhin nichts anderes machen, als sich von der herrlichen Natur ablenken zu lassen und sich hier auf dem schmalen Balkon weiterhin ein wenig in seinem Selbstmitleid zu verlieren – seine Wut, Überforderung und Gereiztheit hatte er heute schon längst irgendwo zwischen den Alpen und zwei Staatsgrenzen verloren.

Erst, als der penetrante Standard-iPhone-Klingelton die schöne Ruhe durchbrach, sein Herz rasen und doch wieder kümmerlich in sich zusammensinken ließ, bekam er sich aufgerafft, nach seinem Handy zu greifen.

Tief atmete Paddy ein und aus und hatte dann auch keine große Wahl mehr, als den Anruf mit einem verhaltenen „Noch wach?“ anzunehmen.

„Scheint so“, kam es leicht belustigt zurück und dann konnte er auch gar nicht anders, als aufzuschnauben – und wieder gedankenverloren in den Abendhimmel zu sehen. Er bedauerte es wirklich, Junia jetzt nicht neben sich sitzen zu haben und von ihrer Ausstrahlung und Begeisterung gefesselt zu werden. Und dann war es auch erst wieder Junia, die ihn verhalten aus seiner Starre riss. „Und, wie ist es so? Bist du gut angekommen? Wie geht es dir? Ist alles gut? Magst du mir alles erzählen? Du warst ja heute Morgen so schnell weg ...“

„Well ...“, schmunzelte Paddy und verspürte immer noch nicht das großartige Bedürfnis, zu reden. Er wollte einfach nicht, dass sie irgendein schlechtes Gewissen hatte oder sogar etwas bereute. Zumindest haderte er dann so lange, bis sie leise aufseufzte und er noch weniger im Sinn hatte, ihr Sorgen zu bereiten. „Well, ich bin so schnell gefahren, weil ich sauer war“, murmelte er dann schwach vor sich hin. „Also, weil ich mit Mark halt telefoniert habe. Der dachte, er ist nur dein Ersatz ..., which he, äh, kinda would've been, but at the same time not in the slightest ... Ach, in the end hatte er so spontan halt sowieso nich' mal Zeit. Well, ich glaub', die Zeit ganz alleine brauch' ich auch mal. Die Fahrt war really nice über den Alpen ... Y'know, even though I listened to Rammsteins new album, ne ..., a really nice melody came to me ..., äh, auf so 'nen schönen kleinen Rastplatz mitten in den Bergen.“

„Ah“, schmunzelte sie hörbar – und genauso lieb wurde dann ihr aufforderndes „Bitte“.

„Ähm“, zögerte er noch kurz und räusperte sich schwer – aber dann summte er schon leise diese Melodie vor sich hin, die so ruhig wie beklommen, traurig wie zuversichtlich war, dass sie wohl völlig seine innere Zerrissenheit wiedergab. Zumindest für ihn.

„Schön“, erwiderte Junia erst, als er ein wenig länger gestockt hatte. Anhand ihres ruhigen Untertons wusste er aber auch, dass sie es vollkommen ernst meinte.

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