VI
Mit einem Ruck legte er die massive Babywiege in seinen Kofferraum und fuhr noch einmal behutsam die linke Kufe entlang. Edel, aber schon merklich in die Jahre gekommen war das dunkle Nussbaumholz – jede einzelne Schramme und Kerbe machte gerade zu viel mit ihm. Aufseufzend schloss Paddy schnell wieder die Kofferraumklappe und setzte sein glücklichstes Grinsen auf, bevor er sich noch einmal nach rechts zum großen Haus wandte und Junias Mutter winkte, die in der Haustür stand, ganz lieb dasselbe tat und ihm noch irgendwas in Richtung „Schönen Urlaub“ zurief.
„Gosh“, seufzte Paddy dann nur in der Sekunde auf, als er sich außer Hör- und Sichtweite befand. Schwermütig ließ er sich gegen den Fahrersitz seines Wagens sinken und hielt für Junia kein bisschen diese erbärmlich fröhliche Fassade aufrecht. Ihr eingängiger Blick von der Seite kümmerte ihn auch nicht. Immer wieder strich er sich über seine leicht schwitzige Stirn und ließ den Wagen bloß anspringen, um die Klimaanlage anzustellen. Dieser Maitag war – zumindest das Wetter – so heiter, dass der Innenraum nach zwei Stunden in der späten Nachmittagssonne schon zu stickig geworden war. Gedankenverloren starrte Paddy nur durch die Windschutzscheibe auf die ruhige breite Straße, wo sich hier im Münchner Umland ein vornehmes Anwesen ordentlich und im diskreten Abstand an das nächste reihte.
„Kannst du bitte fahren? Mama steht noch in der Tür und Papa wahrscheinlich am Fenster“, riss ihn Junia leise aus seiner Starre. Geräuschvoll atmete er die schon deutlich kühlere Luft aus – und kam trotzdem sofort ihrer Bitte nach. Dafür verlor er fast seine Beherrschung, als sie endgültig aus dem Sichtfeld ihrer Eltern waren. Glatt hätte er am Straßenrand gehalten, da brauchte Junia aber nur kurz seine Hand zu umfassen und die U2 CD von vorhin anzustellen, damit er tief durchatmete und sich allein auf den Verkehr konzentrierte. Ohne ein Wort fuhr er die dreißig Minuten dann einfach durch – von denen sie mindestens die Hälfte verschlief.
„Hun?“, musste Paddy sie, nachdem er laut für das Gartentor aus- und wieder eingestiegen war, auch vor der Garage sachte wecken.
„Mhm“, brummte Junia in den ersten Momenten nur irritiert und war fast schlimmer als er mit ihrem unsteten und orientierungslosen Geblinzel. Sie fing sich nur viel schneller und schmunzelte ihn dann schwach an. „Autofahrten sind mein Endgegner ...“
„Well“, schnaubte Paddy belustigt auf und stieg schmunzelnd auch schon aus, um ihr aus seinem tiefen Wagen zu helfen. Vor der Garage wartete sie dann für ihn, schloss das Garagentor und letztlich auch die Haustür, als er mit der Wiege in beiden Armen den Hausflur betreten hatte. Ohne sonderlich zu zögern, brachte er die Wiege dann auch noch nach oben in Elias' Zimmer, das nach den letzten zweieinhalb Wochen beinah schon gänzlich eingerichtet und liebevoll gestaltet war. Kopfschüttelnd sah er sich um – aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, bekam sie das auch.
Während Junia noch im Bad war, wippte Paddy dann einfach gedankenverloren mit seinem Fuß die alte, aufgrund der feinen Schnitzarbeit wirklich schöne Wiege hin und her. Diese leicht knarzenden Geräusche beruhigten ihn ungemein – und dann hatte er dank der Bilder, die Junias Mutter ihm vorhin in einem dicken, genauso in die Jahre gekommenen Fotoalbum gezeigt hatte, bestens vor Augen, wie seine Frau als Baby dort inmitten von mehreren weichen Stofflagen gelegen hatte – wie bald wohl Elias. In dieser Vorstellung übermannte ihn nur nicht allzu viel. Viel zu sehr dachte er an ihre Mutter und verstand nur zu gut, warum Junia diese Scharade mit ihm aufrechterhalten wollte. Nicht nur, dass ihre Mutter sich wahrscheinlich sogar noch mehr auf Elias freute als Junia selbst. Ihre Mutter war auch so dermaßen froh und glücklich in seinem Sinne und dachte, dass alles mehr als gut zwischen ihnen war – und erwartete nichts anderes für ihre einzige Tochter. Er konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, was sie ihn vorhin alles gefragt und ihm mit einer für ihn schlichtweg überwältigenden mütterlichen Wärme erzählt hatte. Er wurde nur wieder völlig beklommen und zuckte auch mächtig zusammen, als sich Junia leise hinter ihm räusperte und für wenige Sekunden seine Schulter umfasste, bevor sie sich dann zu seiner Linken einfand. Sagen tat sie nur auch nichts. Sie stand bloß neben ihm, hielt sich sanft ihren Bauch und hätte ihn dann glatt anschneiden lassen, ob sie sich daran erinnern konnte, in der Wiege gelegen zu haben – aber dann verdrehte er leicht seine Augen und hielt es schlichtweg nicht mehr aus.

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Desire
FanfictionFortsetzung zu ›Denial‹ - »„Jetz' warte doch, Mann!", rief ihm sein bester Freund nach - aber Paddy ließ sich erst vor der Haustür aufhalten, um sich Thomas' festem Griff wutentbrannt zu entwinden und ihm mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen...