„Das gibt's doch nich'! Junge, was machst du denn!", regte sich Mark so lautstark auf, dass Paddy zusammenzuckte - aber genauso involviert war.
„Boah!", stöhnte er auch auf und sah weiterhin gebannt zum Laptop auf der Bettdecke zwischen ihnen - wo gerade das Fußballspiel lief und dem Torwart von Kaiserslautern der Ball vor der Nase weggeklaut und das Zwei zu Zwei von Nürnberg erzielt worden war und das ausgerechnet in der neunundachtzigsten Spielminute.
„Wow", seufzte Mark immer wieder leicht fassungslos auf - Paddy hatte nur direkt Mitleid mit dem jungen Torwart, der sichtbar niedergeschlagen wirkte.
„Ah, look! Die trösten den alle", deutete er wirklich ergriffen zum Bildschirm und legte dann schmunzelnd einen Arm um Mark, der sich dann ja auch wieder von seiner merklichen Enttäuschung fing.
In Ruhe sahen sie dann noch weiter die Verlängerung - wie alles zuvor, obwohl er sich anfangs noch ein wenig dagegen gesträubt hatte, mit Mark Fußball zu schauen. Die Stimmung zwischen ihnen war einfach so merkwürdig undefinierbar geblieben, nachdem Mark in Jurijs Sinne auf der steilen Landzunge in die Hocke gegangen war. Sie hatten kaum ein Wort mehr miteinander gesprochen und es auch nicht müssen, als sie für eine gute Stunde nur auf den schmalen Schmugglerpfaden direkt an der zerklüften Steilküste entlang spaziert waren bis hin zur Baie des Trépassés, der Bucht der Verschiedenen, wo der feine Sandstrand so lang und fest gewesen war, dass sich die Wolken auf dem nassen Sand gespiegelt und ihn völlig überwältigt hatten. Vor allem als er dann, dicht neben Mark im klammen Sand sitzend, noch mal nach der Bucht hatte googeln müssen und ihm von allen Varianten des Ursprungs dieses Namens erzählt hatte. Zum einen soll die Bucht ihren Namen bekommen haben, weil einer Sage nach die Kelten von dieser Bucht ihre Toten zur Insel Île de Sein verschifft hatten. Eine andere Legende besagte, dass in dieser Bucht die leblosen Körper von Seeleuten, die ihr Leben auf See verloren hatten, angespült worden waren und man deswegen in der Weihnachtsnacht den Gesang der Seelen hören konnte. Die Deutung, die bei ihm aber am meisten resoniert hatte, war jene Sage, dass die Seelen der Verstorbenen in dieser Bucht warteten, um ins Jenseits gebracht zu werden.
Die langen Wellen, das zwischen Felsen begrenzte Meer, der leuchtende Himmel, die angenehme Weitläufigkeit des Strandes - alles hatte wieder diese irrsinnige Kraft ausgestrahlt und ihnen jedes Wort geraubt. Die Vergänglichkeit ihrer Zeit war zu allgegenwärtig gewesen - und das am meisten in Marks Augen. Seitdem der Himmel aufgebrochen war, war ihm ins Gesicht geschrieben gewesen, wie sehr er an Jurij gedacht hatte, wie sehr er ihn vermisste und wie sehr es ihn schmerzte. Auf der anderen Seite hatte Mark aber solch eine Ruhe und tiefe Akzeptanz für den Lauf der Dinge ausgestrahlt, dass Paddy wieder von grenzenloser Liebe und Bewunderung für diesen Mann an seiner Seite durchflutet worden war. Gleichzeitig waren seine Gedanken aber auch immer um seine eigene Vergänglichkeit gekreist.
All das hatte ihnen diese unfassbare Wertschätzung für ihre gemeinsame Zeit gegeben, für die es eh keinerlei Worte gab. Zwischen Landzungen, trister Heidefläche und zerklüften Felsen hatte er seine vereinzelt glasigen Augen auch nicht auf den Wind schieben müssen - Mark war selber so ergriffen gewesen. Im Auto hatte Paddy auch all das irgendwie in Worte fassen und in sein Handy tippen müssen - zwischen einem ›At the beginning and end of the world‹ und einem ›Carried by the waves‹ war zwar nicht mehr herumgekommen. Im Häuschen hatte er sich dann nur so lange an seine Gitarre setzen müssen, bis Mark passend zu halb sieben gekocht und ihm eben nach dem Fußballspiel gefragt hatte. Bei den tatsächlich wirklich leckeren Nudeln - Mark hatte ihn extra probieren und wissen lassen, einen Kochkurs a là Natalie belegt zu haben - war ihm nur nichts anderes geblieben, weil sie die Ablenkung brauchten. Und mehr als Ablenkung bot ihnen dieses Spiel, weil es wirklich spannend war. Schon in der achten Spielminute war das erste Tor für Marks Mannschaft gefallen und die Gegner hatten keine sieben Minuten später mit dem Gegentreffer geantwortet.
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Desire
FanfictionFortsetzung zu ›Denial‹ - »„Jetz' warte doch, Mann!", rief ihm sein bester Freund nach - aber Paddy ließ sich erst vor der Haustür aufhalten, um sich Thomas' festem Griff wutentbrannt zu entwinden und ihm mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen...