XII

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London bei Nacht war nicht halb so schön, wie es Frank Sinatra in seinem Lied London By Night besang. Es lag keine Magie in der Luft – sondern der kalte November und ein latenter Geruch nach Dreck und Pisse. Zumindest hier, wo er sich herumtrieb. Der Nachthimmel war eine einzige bedrückende graue Masse und das schäbige Licht der alten Straßenlaternen zog nicht mal irgendein Ungeziefer an, während ein Köter immer wieder aggressiv in der Ferne bellte. Vor keinen drei Minuten hatte Paddy auch ein junges Paar sich in solch einem starken Cockney-Akzent anbrüllen gehört, dass er rein gar nichts verstanden hatte und noch schneller weiter gelaufen war. Oder er war für alles gerade blind. Er war völlig herausgerissen aus dem schnellen Puls einer seiner liebsten Großstädte, und genauso irrte er auch umher. Immer weiter lief er an einem dunklen Stahlzaun vorbei – bis irgendwann doch noch sein Handy klingelte.

Vielleicht nahm er sich noch in den ersten Momenten vor, jetzt ganz sicher nicht mehr ranzugehen – aber auch in der Hinsicht war er zu unwirsch und hielt sich mit seinem „Why didn't cha tell me straight away?“ nicht im Geringsten zurück.

„Ähm ...“, bekam er typisch wie eh und je erwidert und Marks Schnauben wurde auch nicht anders. „Dir auch ... eine schöne Nacht.“

„Schöne Nacht my ass“, schnaubte Paddy sofort auf und ließ sich gar nicht von Marks schwachem „Ey“ beirren. Vielleicht, weil er schon merkte, wie seine Brust unwillkürlich wärmer wurde – oder wie er überreagierte. Und irgendwie doch überhaupt nicht. Tief atmete er ein und aus und wurde nur kompromisslos ernst. „Mann, I mean it. Why didn't you said something? Ich dachte, wir sind in 'ner relationship, da —“

„Mann“, unterbrach Mark ihn brummend. „Hatt' auch zu viel zu tun mit dem Halbfinale heute ... Echt, hätte mir nich' ausmalen können, dass Paddy Kelly sich jemals so um Klatschzeitschriften schert, ne ...“

Abrupt hielt er inne und wurde bei diesem lapidaren Unterton noch wütender. Nur mit größter Mühe bekam er sich beherrscht, ihn jetzt nicht anzufahren, dass in diesen Zeitschriften aber kein Klatsch, sondern die Wahrheit stand, die seit jeher seinen Magen verkrampfen ließ. Er warf ihm aber auch nicht an den Kopf, jetzt wieder absichtlich nichts gesagt zu haben. Nachdem er sich schwerfällig geräuspert hatte, wurde er wieder nur kompromisslos ernst. „Nichts ist mir scheißegal, wenn es um dich geht.“

„Mann ...“, bekam er nur leise und verhalten und trotzdem durchweg komisch erwidert.

„Mark ... Du hättest mir doch sagen können, dass du, äh, vor zwei Tagen das erste krasse Promovideo für Paris postest?“, fragte Paddy ihn dann nur möglichst ruhig mit Blick zum schmalen Gehweg, der nass und rutschig und voller Herbstblätter war. „Und was da drunter abgeht? Vorhin hab' ich nur geguckt, ob schon irgendwo steht, mit welchen Talent du ins Finale gehst ... Mann, da sind jetzt schon literally über tausend Kommentare —“

„Ja, weil die ganzen Brasilianer von Oxa so spamen!“, unterbrach Mark ihn direkt mit einem lauten Schnauben. „Geht mir so auf'n Sack, ne. Deswegen hat das Video jetz' auch so 'ne krasse Reichweite bekommen, weil's wegen den ganzen Interaktionen, ne, also wegen dem scheiß Algorithmus von Insta bei jedem Hinz und Kunz auf der Explorepage gelandet is'.“

„Oh“, seufzte Paddy auf – so wenig Ahnung wie er davon hatte, erschien es ihm nur direkt zu plausibel. Lang und tief ausatmen musste er trotzdem wieder. „Well, most of the comments I saw, ne, direkt oben, waren alle aber nur über dein Outing; was damit ist, wie stolz die sind ... oder dich verteidigt haben, weil so viele gefragt haben, ob das denn wirklich stimmt ... Dass die nich' so 'ne Scheiße verbreiten sollen ...“

DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt