42. Alessio

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Es waren jetzt vier Monate her, dass meine kleine Schwester verschwand. Sie war einfach ohne ein Wort zu sagen gegangen.

Anfangs dachten wir, sie wäre zu einer Freundin gefahren.

Wir hatten alle ihre Freundinnen kontaktiert, aber niemand hatte sie gesehen oder wusste, wo sie war.

Damals gab es zwei Möglichkeiten:

Sie wurde entführt!

Oder

Sie war abgehauen!

Ich sah mich damals mit Lucas in ihrem Zimmer um, um herauszufinden, wo sie sein könnte.

Nichts! Aber auch gar nichts gab uns einen Hinweis.

Ihr Handy, Geldkarten und Schlüssel, alles war da.

Mir gefiel es gar nicht! Es sah so aus, als hätte sie es geplant, nicht mehr zurückzukommen. Eine Entführung konnten wir also ausschließen.

Einen Abschiedsbrief gab es auch nicht. Ich schickte sofort Späher raus, die nach ihr suchen sollten. Aber, die Suche nach ihr blieb erfolglos, bis zum heutigen Tag.

"Meinst du, wir finden sie?": fragte mich Lucas.

Er machte sich genauso viele Sorgen um sie, wie ich. Da wir zusammen aufgewachsen waren, war sie für ihn wie eine kleine Schwester.

Heute nach langer Zeit, hat jemand aus unserem Clan, sie zufällig gesehen. Anders als erwartet, war sie nur ein paar Städte weiter von uns entfernt. Lucas und ich fuhren die den kleinen Ort und mieteten uns ein Zimmer. Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, machten wir uns auf den Weg zu dem angeblichen Aufenthalt meiner Schwester.

"Schau, da ist sie!": meinte Lucas und zeigte auf ein Pärchen, das sich gerade küsste. Es waren noch einige andere Personen anwesend. Doch das interessierte mich gerade sehr wenig.

Wie konnte sie es wagen uns zu verlassen und sich dem nächst besten an den Hals zu werfen?

Ich spürte die Wut, die in mir aufstieg und ballte die Fäuste.

"Beruhige dich! Schau sie dir an! Sie sah schon lange nicht mehr so glücklich aus!": versuchte Lucas mich zu beruhigen.

Er hatte recht. Scheiße! Er hatte verdammt nochmal recht.

Aber es änderte nichts an der Situation. Sie musste wieder mit uns zurück.

Langsam gingen wir auf das Pärchen zu.

Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie uns nicht bemerkten.

"Hallo Cassiopeia!": sagte ich laut und sah wie sie zusammen zuckte.

Sie wurde blass und ihr Körper verkrampfte sich.

"Wie hast du mich gefunden?": fragte sie mich, als sie sich wieder fasste.

Sie ging auf Abstand zu mir und lehnte sich gegen den Wolf.

Ein Knurren kam von ihm. Jetzt mussten wir aufpassen. Ein paar andere Wölfe traten auch näher und sie waren in Kampfbereitschaft.

Ich antwortete ihr nicht auf die Frage.

"VERWANDEL DICH!": sagte ich im Alphaton.

Sie fing an zu zittern und sah mich traurig, enttäuscht und voller Abneigung an.

"VERWANDEL DICH!": sagte ich erneut. Sie drehte sich halb zu dem Wolf um und sah ihn entschuldigend an.

Sie ging ein paar Schritte von ihm weg und sank auf die Knie.

Sie stöhnte und krümmte sich vor Schmerz, bis sie aufschrie.

"Gib nach, wehr dich nicht!": sagte ich zu ihr im Mind Link.

"Ich hasse dich, ich hasse dich, das werde ich dir niemals verzeihen! Ich hasse dich!": brüllte sie mir im Mind Link entgegen.

Ihre Schmerzensschreie waren fast unerträglich. Warum konnte sie nicht einfach nachgeben?

Ihr blonder Wolf tat gar nichts. Ich nahm an, dass er mit der Situation überfordert war.

Ihre Verwandlung setzte ein. Ihr Knochen begannen zu brechen und wurde von ihrem Stöhnen begleitet.

Die Verwandlung endete und sie stieg mit dem für Adler typischen Geschrei auf.

"Cass!": rief ich ihr hinterher.

"Bleib hier, verdammt!"

Ich sah Lucas an:

"Hol sie runter!": befahl ich ihm.

Er nickte, zog seine Spezialwaffe und schoss auf Cassiopeia.

"NEIN!": brüllte der blonde Wolf.

Auch die anderen sahen geschockt nach oben.

Lucas war gut im Schießen. Er hatte diese Waffe auch selbst konstruiert und gebaut. Er war stolz darauf.

Ich sah zu, wie das Geschoss auf Cass zu raste. Als es sie berührte, aktivierte es sich und das Spezialnetz umschloss sie. Die Besonderheit war, dass ein kleiner Fallschirm aufging und die Beute somit langsam zu Boden kam. Cassiopeia schrie und wand sich in dem Netz. Sie tat mir leid, aber es musste sein.

Lucas sprang zu ihr und versucht, sie zu beruhigen.

"Cass, hör auf! Du tust dir nur weh!": sprach er beruhigend auf sie ein.

Langsam schälte er sie aus dem Netz und drückte sie mit der Hand auf der Brust auf den Boden. Da sie jetzt still lag, entfernte er behutsam den Flügel aus dem Netz.

Langsam und mit geschickten Fingern tastete er den Flügel ab und sah ihn sich genauer an.

Er verzog das Gesicht:

"Scheiße!": presste er zwischen den Zähnen hervor.

"Cass, du darfst dich in der nächsten Zeit nicht verwandeln. Auch nicht fliegen. Dein Flügel ist stark verletzt. Wenn du dich nicht daran hältst, könnte es passieren, dass du nicht mehr fliegen kannst!": sagte er bedauernd.

Ich nahm sie hoch und versuchte sie so wenig wie möglich zu bewegen. Sie fing an, zu zappeln und zu schreien.

"Hör auf, das bringt doch nichts!": sagte ich und setzte sie auf den Hochsitz. Ich nahm eine Kette aus meiner Tasche, befestigte sie an ihrem Fuß und am Holz des Hochsitzes.

Da schnappte sie plötzlich nach mir.

"Ich hasse dich! Ich werde dich für immer hassen. Du hast mein Leben zerstört!": schluchzte sie durch den Mind Link.

Sie drehte sich um und vergrub ihren Kopf unter ihrem intakten Flügel.

Langsam spürte ich, wie die Verbindung zwischen uns schwächer wurde und letztendlich ganz verschwand.

Ich konnte sie nicht mehr spüren.

"Cass!" "Cass!": rief ich durch den Mind Link. Doch sie gab mir keine Antwort. Sie hatte sich total verschlossen.

An Lucas Gesicht konnte ich sehen, dass es ihm genau so ging.

Der blonde Wolf begann plötzlich zu knurren und kam auf uns zu.

"Was habt ihr getan?": fragte er mich.

Seine Augen wurden schwarz.

Seine Freunde versuchten ihn festzuhalten, hatten aber ihre Schwierigkeiten dabei.

"Ich spüre sie nicht mehr und erreiche sie nicht mehr im Mind Link!" : brüllte er jetzt lauter.

Ich war verwirrt. Wie meinte er das?

Ich sah zu Cass, sie wollte nicht mehr mit uns reden, geschweige uns ansehen.

Der blonde Wolf war kurz vorm ausrasten.

"Kommt, lasst uns woanders reden!": sagte ich und nickte Lucas zu.

Es war gefährlich, es waren immerhin Wölfe und wir befanden uns auf ihrem Territorium.

 Der Beta und die flüchtende MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt