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Lina

Die Musik fängt an. 3 Minuten und 30 Sekunden. Wenn alles klappt, muss ich mein langes Programm nur 4 mal laufen. Wenn nicht, wird meine Musik gestoppt und ich darf von vorne anfangen. Und das immer und immer wieder. Nicht zu vergessen, ich darf noch 3 mal das Kurzprogramm laufen. Dort gilt das selbe. Ein Fehler und ich darf von vorne anfangen.

Warum ich das mache? Das wüsste ich auch gerne. Ich kenne und kann nichts anderes. Ich stand auf dem Eis bevor ich laufen konnte. Damals hatte meine Familie nicht viel. Wir lebten in einer kleinen 2- Zimmer Wohnung. Nur weil wir neben der Eishalle lebten, konnte ich aufs Eis gehen. Wie wir da raus kamen und jetzt in einen großen Haus, fast schon Villa leben? Durch mich. Mich ganz allein. Mit sechs Jahren wurde eine Begabung von einer russischen Trainerin bei mir entdeckt. Das nur aus Zufall. Dort fing alles an.
Ich nenne es nicht Begabung, sondern hartes Training. Meine ersten internationale Meisterschaften gewann ich. Dadurch bekam ich Sponsoren, viele Sport- und Schlittschuhmarken. Die retteten uns. Interviews, Werbungen, alles. Jetzt geht es uns gut und sind noch in der Zukunft gut versorgt.

Noch eine Minute und ich bin fertig mit dem Programm, Armbewegungen nicht vergessen, Körperspannung, Beine strecken. Jede Bewegung muss exakt sein.

Meine letzte Pirouette und ich bin fertig. 3... 2... 1... vorbei. Unauffällig Luft holen, sonst darf ich nach dem Training wieder ein Ausdauerlauf machen. Katja, meine Trainerin, ist in der Hinsicht erbarmungslos.
Vor dem Training muss ich mich wiegen und nach dem Training. Morgens uns abends. Die haben mir sogar eine extra angefertigte Waage gegeben, wo alle Daten und Messergebnisse direkt an Katja weitergeleitet werden. Schummeln gilt also nicht. Keine Süßigkeiten, keine Freizeit, keine Pause. Nur Ernährungspläne, Training und noch mehr Training. Mein Leben.

„Das Programm war in Ordnung. Aber mir gefallen mittlerweile deine Passagen nicht. Die ändern wie alle. Bin nächste Woche solltest du die drauf haben. Auch wenn es nur ein Vereinswettkampf ist, nutz diese Chance. Die nationalen und internationalen Wettkämpfe fangen bald an und du kannst dir keine Fehler leisten.", kam es von ihr. Ich nicke nur. Was soll ich da auch schon gegen sagen. Es ist ja nicht so, dass ich bereits seit 2 Stunden auf de Eis stehe und beim Vereinstraining dabei war. Jetzt auch noch 3 Stunden mit Katja Privattraining. Ein klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. Katja schaut auf ihr Handy: „Geh deinen Hals ausspülen und dann will ich deine dreifachen Flips und Lutze sehen. Ich bin der Meinung, dass du deine Kante nicht gehalten hast. Und denk daran, das Wasser ist zum Spülen und nicht zum Schlucken da!" damit dreht sie sich um.

Ich laufe zur Bande nehme meine Wasserflasche und feuchte meinen Hals an, wie mir befohlen. Trinken beim Training ist nicht erlaubt, denn mit Wasser im Magen trainiert es sich schwerer. Leider vergisst Katja, dass ich bereits seit 3 Stunden am trainieren bin. Eine zum Aufwärmen und zwei auf dem Eis. Es folgen jetzt drei auf dem Eis und wieder eine im Trockenen.
Ich spüre das kalte Wasser in meinem Mund und muss mich zusammenreißen das Wasser nicht runterzuschlucken. Sonst passiert wieder das selbe wie beim letzten Mal.
Katja hat es bemerkt, dass ich ein bisschen Wasser runtergeschluckt habe. Dann durfte ich mir die Finger in den Hals stecken. Und dann gab es noch extra Runden die ich laufen musste. Als Bestrafung.

Ich schließe meine Augen und hebe meinen Kopf, tief durchatmen. Es wird alles gut, ich überlebe alles heute. Alle anderen haben in 1,5 Stunden Schluss.
Nach dem Vereinstraining haben die anderen Läufer noch Trockentraining, nur ich nicht. Ich habe überall Privattraining. Nur 4 Stunden in der Woche bin ich beim Vereinstraining dabei. Und das nur für das Schritttraining.
Dort habe ich auch Nina kennengelernt. Sie ist auch 19. Springt alle ihre Sprünge doppelt, soweit ich es beobachtet habe. Aber sie erzählte mir mal selbst, dass sie das nur aus Spaß macht und ihr Bruder dafür der zielstrebige Athlet in der Familie ist.

Ich öffne meine Augen und spucke das Wasser auf das Eis. Als ich meinen Kopf drehe fällt mir ein junger Mann auf, vielleicht etwas älter als ich, ca. 2 bis 3 Jahre älter. Ich wende mich ab und laufe los. Ich darf an nichts anderes denken als ans Eislaufen. Ich habe die ganze Eisfläche, also kann ich auch groß für meine Sprünge anlaufen. Der erste ist der dreifach Flip. Dann der dreifach Lutz. Immer und immer wieder abwechselnd. „Kannst du dich mal auf deine Kante konzentrieren. Wenn ich das schon sehe, würde ich dich vom Eis schmeißen. Aber dort wirst du die Fehler nicht los. Und was ist mit deiner rechten Schulter, hast du vergessen wie man Springt?", schreit mich Katja an.
Ja, das ist ihr wahres Gesicht. Ich dachte sie hätte heute einen guten Tag, ist anscheinend aber nicht so. Oder ihr Telefonat ist daran Schuld.
Also wieder anlaufen.

Das ging noch eine Stunde so weiter, mittlerweile habe ich kaum noch Kraft für die dreifachen. Und ich muss noch meine Programme laufen. Insgesamt noch 7 mal Programm laufen.
„Stell dich hin, lauf dein erstes Programm durch", damit lief sie in die Richtung der Musik. Bevor sie die Musik anmachen konnte höre ich laute Stimmen und lachen in der Halle, die anderen Läufer müssen wohl fertig mit dem Trockentraining sein. „Klappe zu. Ihr stört. Nur weil ihr fertig seid, heißt es nicht, dass es auch andere sind", schreit Katja die anderen an. Damit ist es wieder ruhig in der Halle. Meine Musik fängt an. 2 Minuten 30 Sekunden und doch ist es anstrengend. Zu erst kommt meine Pirouette, dann der dreifache Achsel. Der Anlauf zum dreifach Lutz, dreifach Rittberger. Danach die Schrittpassage. Der dreifache Flip und abschließen die Kombinationspirouette. Ende. Nicht nur die Musik, auch ich. Ich muss mich zusammenreißen um nicht hier direkt zusammenzubrechen. Eine Stunde lang einen dreifachen nach dem anderen, ohne Pause. Die Hölle. Ich höre klatschen und drehe mich um. Der unbekannte Mann steht noch immer da, neben ihm Nina und ihre Freundinnen. Alle klatschen. Ich drehe mich zu Katja. Ich kann förmlich sehen, wie ihr der Dampf aus den Ohren geschossen kommt. Sie lügt auf mich zu: „Wofür klatscht ihr bitte? Es war miserabel. Alle Positionen in den Pirouetten waren eine halbe Umdrehung zu kurz. Den Lutz hat sie gerade so von der richtigen kannte gemacht. Für die Schrittpassage hätte sie maximal Level 3 bekommen, obwohl es auf Level 4 ausgelegt ist. Und beim Flip hat die linke Schulter stehen lassen."

Es ist leise in der Halle, niemand wagt es was zu sagen. Katja schaut mich an und zeigt, dass ich mich wieder hinstellen soll. Also wieder von vorne.

Hell on iceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt