9.

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Lina

Nachdem ich vom Training nachhause gekommen bin stieg ich erstmal auf die Waage. So wie immer... 51,4 kg. Das ist ok. So wie immer... Nach der Dusche mein Tablettencocktail. So wie immer... Anschließend eine ganze Wasserflasche runterbekommen und mich ins Bett schmeißen. So wie immer...
Das einzige, was neu war, war die Nachricht von Lukas. Bei dem Gedanken, dass er sich Sorgen machte, löste ein warmes Gefühl in mir aus. Sonst hat es niemand getan. Bis jetzt hat es niemand getan. Das einzige, was meine Eltern interessierte, war mein Erfolg. Das einzige, was Katja interessierte, ist mein Erfolg. Das einzige was mich interessiert, ist meine Essstörung und meine Panikattacken unter Kontrolle zu bringen.

Leider weiß niemand was davon. Ich weiß selbst, dass mein Ernährungsplan Müll ist. Er ist ungesund. Trotzdem bekomme ich Extratraining, wenn ich mich nicht daran halte.
Meine Panikattacken kommen immer bei einer Überforderung. Ich habe mich schon so doll an mein Leben gewöhnt, dass es sie fast garnicht mehr aufkommen. Obwohl, würde ich einen neuen und härteren Trainingsplan bekommen, würde ich wahrscheinlich alle 15 Minuten unter ihnen leiden.

Ich schmiss mich ins Bett und antwortete Lukas. Doch merkte ich, dass meine Augen schwerer wurden. Es ist mittlerweile 1:30. bei dem Gedanken, dass ich um 5 aufstehen muss, da Petrova das Training vorgeschoben hat, wird mir schon wieder schlecht.
Ich hörte noch wie mein Handy nochmals einen Ton von sich gab, eine Nachricht, wahrscheinlich von Lukas. Aber mein Körper verlor den Kampf gegen den Schlaf.

Am nächsten Morgen ging ich meiner Routine nach. Wiegen, duschen, anziehen, Sachen packen, Tablettencocktail und in der Küche verschwinden für den Shake machen.
Das ist heute echt ein Kampf gewesen mich aus dem Bett zu schleifen. Ich hätte gestern nicht noch so lang in der Halle bleiben sollen, aber was kann man machen, wenn einen die Musik ablenkt. Solange ich mein flüssiges Frühstück genieße schaute ich meine Nachricht durch. Abgesehen von Katja und meinen Fans bekomme ich keine. Katja... die schläft wahrscheinlich noch ruhig in ihrem Bett, war eingekuschelt und denkt nichtmal daran, dass ich heute wahrscheinlich 4 Stunden Ballett haben werde.
Ich öffnete den Chat von Lukas und muss mir seine Nachricht mehrfach durchlesen. Warum wollte er genau meine Nummer haben?
Lange konnte ich dennoch nicht darüber nachdenken, da meine Uhr sagte, dass es bereits 5:30 ist und ich los muss. Schnell schickte ich ihm meine Nummer, packte meine Sachen ein und sprintete zur Tür und zum Auto.
Über Lukas kann ich mir auch später noch den Kopf zerbrechen. Jetzt gerade zerbreche ich mir eher den Kopf darüber, das ich vergessen habe mir einen Kaffee mitzunehmen.
Das wird ein langer Tag...

An der Halle sprinte ich schon wieder zu meinem Spind, schmeiße meine Sachen rein, nahm meine Ballerinas und ging Richtung Ballettraum. Petrova war natürlich schon da. Schläft sie eigentlich hier, oder warum ist sie immer schon so früh hier?
„Linachka, keine Zeit zum Tagträumen. Wir machen zu erst die Choreografien von den Programmen durch, danach gehts ans Ballett." sagte sie mir ihrem Handy in der Hand, dass schon mit der Box verbunden ist.

Oh nein, bitte nicht. Nicht Choreografie so früh am Morgen. Petrova ist eine Perfektionistin, sie lässt es nicht zu, wenn auch nur ein Finger nicht an der richtigen Stelle durchgestreckt ist. Das bedeutet, dass ich alle 10 Sekunden korrigiert und angezickt werde. Meine Nerven versuche ich immer so gut wie möglich unter Kontrolle zu behalten. Doch nach der Choreografie in Tränen ausbrechen ist auch keine Seltenheit.

4 Stunden mit Petrova sind die Hölle. Was rede ich da, das Training mit Katja ist nicht besser.
Da muss ich jetzt hinsprinten. Petrova hatte 4 Stunden Zeit mit mir zu trainieren und trotzdem überzieht sie eine halbe Stunde.

Ich laufe gerade am Eingangsbereich vorbei, als ich meinen Namen höre. Ich drehe mich um und sehe Lukas mit zwei Bechern stehen. Seine Trainingstasche über seine Schulter geschmissen. Doch hatte ich keine Zeit mit ihm zu reden da ich weiter musste. Doch er ließ sich nicht abwimmeln und hielt mir nur einen Becher hin. Ich schaute ihn fragend an. Ich weiß nicht was drinne ist und alles trinken durfte ich auch nicht.
Da fiel mir auch schon wieder ein, dass ich ihm meine Nummer geschickt habe. Ich weiß nicht ob er das schon gesehen hat, da mein Internet aus ist.

Er muss wohl meinen Blick bemerkt haben, da er mit versicherte, dass es nur Kaffee ist. Ich schaue ihn mit großen Augen an. Er ist gerade mein Retter. Ich hätte es nicht bis zum Mittag geschafft.
So etwas hat bis her noch nie jemand für mich gemacht. Gott bin ich sensibel. Bloß ein bisschen Aufmerksamkeit und schon bin ich ein emotionales Wrack. Quatsch, das war ich auch schon vorher. Doch sieht man in meinem Gesicht nie etwas.

Katja will keine Emotionen von mir sehen. Kein Schmerz, Stress oder Anstrengung. Ich fühle mich nur wie eine Hülle beim Training. Emotionen werden nur bei Wettkämpfen gezeigt. Und das auch nur, damit die Präsentation besser ist.

Ich werde aus den Gedanken gerissen, als Lukas sich bereits schon umgedreht hat und zu seiner Halle geht. Ich rief schnell eine ‚Danke' hinterher und lief weiter zum Training.

Ich öffne gerade die Tür, als ich schon Katja dastehen sehe. „Jetzt weiß ich warum du zu spät bist.", sagt sie streng, als sie den Becher in meiner Hand sieht. „Ich habe den eben in die Hand gedrückt bekommen. Petrova...", weiter kam ich nicht, da sie mich unterbrach. „Schieb das nicht auf Petrova, du kannst dich glücklich schätzen sie zu haben. Weißt du wie viele Anfragen sie bekommt? Sie ist nur noch deinetwegen hier. Jetzt leg alles ab und mach dich auf ein hartes Training gefasst."

Damit hat sie nicht gelogen. Ich bin gestorben. Ich weiß nicht wie ich das Eis jetzt noch schaffen sollte? Solange ich meine Schlittschuhe schnürte, trank ich den mittlerweile kalten Kaffee. Das war mir aber egal, ich bin trotzdem dankbar dafür.

Ich trinke den Kaffee zu unauffällig wie möglich, da ich eigentlich nichts vor und während des Trainings im Magen haben darf. Einfach nur damit es mir leichter fällt zu springen, doch ohne etwas im Magen zu haben ist es auch nicht gerade einfach zu trainieren. Den Einzigen Lichtblick den ich habe, ist das Gruppentraining später. Da werde ich nicht die direkte Zielscheibe sein. Nina wird auch da sein. Sie ist mir ganz sympathisch, aber mehr war da nicht. Keine Freundschaft, nichts. Kann auch vielleicht daran liegen, dass ich ein erstes Gesicht auf dem Eis habe und sich niemand traut mit mir zu sprechen. Oder es liegt daran, dass wenn Katja sehen würde dass wir reden, ich Extratraining bekomme. Ihrer Meinung nach kann man auch Extratraining machen, wenn man auch schon Zeit zum reden hat.

Mit Nina habe ich nur hier und da mal ein Wort gewechselt. Und so lange ich darüber nachdenke, hoffe ich ein bisschen, dass Lukas sie vielleicht später abholen wird.
Er ist der erste Mensch, der nur irgendwie versucht für mich da zu sein. Sonst bin ich nur eine Maschine für alle anderen.
Die Nachricht heute morgen hat mich schon sehr überrascht, ich wusste auch nicht wirklich wie ich reagieren sollte. Er will mich näher kennenlernen. Was es für ihn bedeutet, weiß ich leider auch nicht. Aber eins ist sicher. Niemand darf davon erfahren, sonst gibt es Extratraining und abgegebenen davon hat Katja schon praktisch ein Verbot für Freundschaften ausgesprochen. Sie ist der Meinung, dass mich alles ablenken würde. Gott, Katja ist wie ein Virus den ich nicht los werde.

Damit stand ich auf und ging Richtung Eisfläche. Eine kurze Trainingseinheit bis zur Mittagspause. Das sollte möglich sein. Auch wenn es meinen Füßen besser geht, ist es trotzdem noch schmerzhaft in den Schlittschuhen. Aber daran darf ich jetzt nicht denken. Alles einfach ausblenden und sich nur auf das Training konzentrieren, in einem Wimpernschlag wird dann auch alles wieder vorbei sein.

Hell on iceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt