23. Kapitel - Auch wenn es bis zum letzten Atemzug sein sollte

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Newts Sicht:

Ich schlüpfte in meine Jacke, die von einem komischen dunklen grau-rot war, und zog meine Stiefel an, während ich mich fragte, wie wir es schaffen sollten, Minho zu retten und Wicked zu zerstören. Mit der Hose und Maske war es die Kleidung von den Maskierten, die für Wicked arbeiteten. Wir kleideten uns also wie unsere Feinde. Ein seltsamer Gedanke.
"Und, bist du bereit?", fragte mich eine Stimme, die sich als die von Liv herausstellte. Auch sie trug bereits ihre Kleidung, nur mehr ihre Maske fehlte. Während ich mit Thomas hauptsächlich Teresa bei der Mission bewachen würde, würden wir mit Livs und Gallys Unterstützung hoffentlich die Immunen und Minho befreien. Dafür müssten wir einen Teil des Sicherheitssystems lahmlegen, wobei Rosaly uns über Funk helfen würde, also speziell Gally.
"Ich weiß nicht, ob-", wollte ich ansetzen, als mich ein rauer Husten überrollte. Ich drehte mich von Liv weg, hustete, während mein Herz schneller schlug; ich wusste, dass es die Auswirkungen meiner Infektion mit dem Brand waren. Immer noch wusste nur Thomas darüber Bescheid, jedoch, wenn wir die heutige Nacht überleben sollten, würde ich mich behandeln lassen. Der Rechte Arm würde mit unserem gekaperten Luftschiff auftauchen und immer hatte dieser Serum gelagert. Inwiefern es mir helfen könnte, würde sich noch zeigen.

Klar, ich hätte es Rosaly erzählen sollen, dachte ich.
Sie hätte dem Rechten Arm von meiner Infektion erzählt, mich wahrscheinlich mit Jorge weggeschickt. Nicht nur Rosaly, sondern alle.
Es gab jedoch keine Garantie, dass mich das Serum retten würde. Wahrscheinlich hatte Brenda nur Glück gehabt und ich würde wie Lawrence enden. Aus diesem Grund wollte ich Minho retten. Nur das zählte, mehr nicht.

"Das hört sich grässlich an. Geht's dir gut, Newt?", fragte Liv besorgt. Ich blickte in ihre grünen Augen, die mich eingehend musterten und nickte, während ich mich wieder fing.
"Ja, alles gut...", antwortete ich, trank aus meiner Wasserflasche. Die Schwarzhaarige neben mir nickte langsam, wenn ich auch bemerkte, dass sie mich bis ins kleinste Detail musterte.
"Du siehst die letzte Zeit schon schlecht aus. Vielleicht hast du dir 'was eingefangen?"
"Vielleicht...", ich zuckte mit meinen Schultern, spürte wieder ein Ziehen in meinem rechten Unterarm, wo sich der Brand ausbreitete. Ja, etwas eingefangen, das beschrieb es gut.
"Ich ruh' mich später aus. Heute retten wir Minho", setzte ich fort, sah Liv an, die nickte. Zusammen schritten wir folglich an den Tisch mit den Waffen, die Gally gebracht hatte, heran. Es handelte sich um die Waffen, die Wicked ebenfalls benutzte. Sie feuerten Elektrogeschosse ab, aber ich hoffte, dass wir sie nicht gebrauchen müssten.
"Ich werde erst glauben können, dass wir Minho haben, wenn ich ihn vor mir habe und wir in Sicherheit sind.", ihr Blick ging geradeaus und ich wusste, wie schwer für Liv die Zeit ohne Minho gewesen war. Sie hatte sich die letzten Monate zurückgezogen, mit niemandem darüber, außer Thomas, gesprochen. Nicht einmal mit mir, doch ich kannte Liv schon lange, wusste, wie sie war. Ähnlich wie ich, denn auch ich hatte niemandem außer Thomas erzählt, dass ich mich mit dem Brand infiziert hatte. Wissen, warum ich es genau Thomas erzählt hatte, tat ich nicht. Ich wusste nur, dass Thomas ein wichtiges Glied in unserer Gruppe war. Er war jemand, der noch die dunkelsten Geheimnisse aus einer Person bekommen könnte.
Er tat es jedoch, weil er wollte, dass es seinen Freunden gutging, nicht, weil unsere Gruppe sonst nicht mehr zusammenarbeiten konnte. Thomas war eine herzliche Person, und nach all dem Drama, hatte er sich Urlaub von uns anderen verdient. Zwar sprach Thomas auch mit uns über seine eigenen Probleme, doch eine Auszeit, in der niemand trübe Gedanken hatte, hörte sich wie ein Paradies an.
Ich hatte Thomas von meiner Infektion erzählt, da ich andernfalls verrückt geworden wäre. Auch musste es eine Person wissen, sollte ich abermals durchdrehen, mich vielleicht ohne Vorwarnung in einen Crank verwandeln.

Die Vorstellung, jemand von meinen Freunden müsste mich dann töten, ist grausam...

"Ich vermisse ihn so sehr. Ich will mir gar nicht vorstellen, was für Qualen er durchlitten hat, sonst drehe ich durch", knurrte Liv gegen Ende und schwang sich ihre Waffe um. Ihre kurzen schwarzen Haare hörten neben ihren Wangenknochen auf und ihre dunklen Augen waren eine Handbreite unter meinen eigenen.
Liv war schon immer groß gewesen, schon seitdem sie auf die Lichtung gekommen war, wenn sie auch nie wirklich breit geworden war. Sie konnte Muskeln aufbauen, aber sie hatte eine schmale, rechteckige Figur. Minho hatte sie deswegen schon immer aufgezogen, da Liv stolz auf ihre Muskeln war. Konnte sie auch, da sie immer noch trainierter als alle anderen Mädchen in unserer Gruppe war.
"Heute holen wir ihn uns zurück", erwiderte Thomas, der am Tisch neben Brenda stand. Auch sie bereiteten sich für unseren Aufbruch fort, dessen Weg zuerst durch die Kanalisation in die Stadt führen würde.
"Ich kann's immer noch nicht glauben, dass wir das wirklich machen...", murmelte Pfanne, der zu uns herangetreten kam. Neben ihm war Emilia, die eine Spur verschreckt und aufgeregt wirkte, was ich identifizieren konnte, da ich sie lange kannte. Mit ihr, Pfanne und Liv war ich aus unserer Gruppe am längsten auf der Lichtung gewesen und jetzt würden wir uns Minho zurückholen, der zu uns gehörte.
"Ja, wir spazieren einfach in den Tower und treten Paige in ihren alten Hintern", erklärte Liv. Brenda nickte bestätigend.
"Was, wenn etwas schiefgeht?", fragte Emilia, die sich ebenfalls umgezogen hatte. Sie trug eine schwarze Jeansjacke, dazu waren ihre blonden Haare in zwei geflochtenen Zöpfen, von ihrer Kopfhaut ausgehend. Aus blauen Augen sah sie uns besorgt an, und sie war schon immer eine Person gewesen, die in ernsten Situationen vom Schlimmsten ausging.
"Entweder wir können mit der Veränderung unseres Plans umgehen, oder-"
"Wir werden draufgehen", beendete eine neue Stimme den Satz von Brenda, die sich als die von Rosaly herausstellte. Sie schien alles erledigt zu haben und kam rechtzeitig zu uns, da sie eine Zeit fort gewesen war.
"Aber das ist egal", erklärte sie weiter, kam an den Tisch, auf welchen sie ein paar Funkgeräte ablegte, "Das Wichtigste ist, dass wir bis zum Ende kämpfen, nicht aufgeben, auch wenn es bis zum letzten Atemzug sein sollte."
"Du ziehst das alles wieder ins Ernste, Rosy", seufzte Liv, "Ich hab' absolut keine Lust, heute draufzugehen, danke."
"Ich will auch nicht sterben...", nuschelte Emilia und Pfanne neben ihr sagte: "Keine Sorge, wir schaffen das schon."
"Dann schaffen wir es", erklärte Rosaly, wenn sie auch weniger überzeugt klang.
Mir war natürlich bewusst, dass sie heute einem eigenen Ziel nachging. Sie wollte Ava Paige töten und ich machte mir Sorgen um sie, aber ich wusste, dass ich sie davon nicht abhalten könnte. Rosaly hatte einen sturen Kopf, was sich besonders nach dem Labyrinth gezeigt hatte, als sie ihre Erinnerungen zurückbekommen hatte.
Bis heute blieb ich jedoch bei meinen Worten, dass unser Gedächtnisverlust uns zu keinen anderen Menschen gemacht hatte. Aus diesem Grund war Rosaly für mich immer noch das Mädchen, das ich damals auf der Lichtung kennengelernt hatte, in das ich mich verliebt hatte, obwohl ich zu dieser Zeit noch keine Ahnung gehabt hatte, was Liebe überhaupt war. Das zwischen uns hatte sich innerhalb von zwei Monaten entwickelt, doch erst nach der Brandwüste und beim Rechten Arm hatten wir uns wirklich kennengelernt.
Die Erinnerungen an die Lichtung waren deshalb aber nicht weniger wert. Es war bloß eine andere Zeit in unserem Leben gewesen, in der wir zwar ohne Gedächtnis auf einer Lichtung gelebt hatten, umgeben von riesigen Mauern und Griewern, aber ohne alledem wäre ich gegenwärtig nicht hier, bestimmt nicht dieselbe Person wie jetzt. Ich war froh, dass es so gekommen war, ich eine kitschige Liebesbeziehung mit Rosaly gehabt hatte, wie es in unserem Alter üblich gewesen wäre. Zum Teil hoffte ich, dass wir wieder dorthin zurückkehren könnten; ich vermisste Rosalys ausgelassenes Lachen, ihre leuchtenden Augen, denn heute konnte man ihr ansehen, dass ihr Leben sie geprägt hatte. Vielleicht würde es eine Zukunft für uns beide geben, in der wir genau das sein konnten, was wir waren, und zwar Jugendliche, weiter nichts.

Ja, vielleicht wird es eine solche Zukunft geben, oder auch nicht...
Viele Faktoren hängen davon ab, nicht nur der Brand in meinem Körper...

Ich dachte nicht mehr darüber nach, sondern konzentrierte mich auf die Gegenwart, in der wir weit entfernt von einem friedvollen Leben waren. Ohne Minho gäbe es ein solches Leben jedoch sowieso nicht, warum ich mich sogar auf diese Mission zum Teil freute. Ich wollte meinen besten Freund endlich wieder umarmen können, ihn von Wicked befreien, wie wir es mit Emilia gemacht hatten.
Rosaly stattete uns folgend mit Funkgeräten aus. Als alles erledigt war, kam Gally zu uns zurück. Er schien noch etwas erledigt zu haben, doch indessen trug er ebenso seine Tarnung. Er gesellte sich zu uns, erklärte, dass wir zum Aufbruch bereit waren, Teresa zum Glück in ihrer sozusagen Zelle keinen Unfug angestellt hatte.
"Okay, dann los", meinte Liv, sah uns alle an, "gehen wir, aber zuvor motivierende Worte: Wir werden unser Bestes geben, nicht draufgehen und Minho zu retten! Niemand von uns Strünken wird heute sein Leben lassen, verstanden?"
Nach ihren Worten ging Kopfschütteln durch unsere Reihen, doch wir stimmten Liv zu, anschließend folgten die Ersten Gally nach draußen. Ich jedoch wartete und als Rosaly sich in Bewegung setzen wollte, hielt ich sie davon ab. Meine rechte Hand, in einen Handschuh gehüllt, umfasste ihre. Sie drehte sich mir zu, ich blickte in ihre Augen. In diesem Moment wusste ich nicht, wie ich mich fühlen sollte. Zusammen standen wir in einem leeren Raum, nur von einigen Lichtern und Kerzen beleuchtet, neben uns eine gigantische Stadt. All das gab mir das Gefühl, dass ich klein, unwichtig war. Hier in diesem Moment standen nur Rosaly und ich.

Ja, in diesem Moment...

Mein Blick schien all diese Emotionen zur Geltung zu bringen, denn Rosaly war in meinem Blick gefangen. Sie sah mich an, dann küsste ich sie einfach, gab dem Gefühl in meinem Inneren nach. Unsere Lippen berührten sich und sofort ließ sich Rosaly auf den Kuss ein.
Ich zog sie näher zu mir, wusste, dass es das letzte Mal sein könnte, dass wir uns so nah waren, ich das Mädchen, das ich liebte, in meinen Armen halten konnte.
Unsere Lippen berührten sich sanft, dann fordernd. Rosalys Hände wanderten in meinen Nacken und kurz vergaß ich, dass wir bald unser Leben riskieren würden. Ich vergaß, dass mein eigenes Leben bereits am seidenen Faden hing. Um Rosaly machte ich mir in diesem Moment keine Sorgen, da ich sie einstweilen noch nicht mit dem Brand infizieren konnte. Ich hatte noch keinen schwarzen Schleim gehustet, der ansteckend war.
Wichtig war Rosaly, von der ich mich langsam löste. Meine Hand lag auf ihrer Wange, wir sahen uns an. Hinter ihren Augen konnte ich Sorge und Entschlossenheit aufflammen sehen. Ich nickte langsam, streichelte ihr über Wange, folgend bekam sie einen Kuss auf ihre Stirn, wurde in eine Umarmung gezogen.
"Egal, was passiert, ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe, okay?"
"Das weiß ich schon...", flüsterte sie, ihre Arme waren um mich geschlungen, "Ich liebe dich auch."
Mit diesen Worten lösten wir uns voneinander, schritten Richtung Tür. Ich hielt Rosalys Hand und jetzt war der Moment gekommen. Würden wir es schaffen, Minho zu retten, Wicked zu zerstören, auch wenn es bis zum letzten Atemzug gehen würde?

Bis zum letzen Atemzug | Newt Ff / Teil 3 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt