25. Kapitel - Wickeds Reich

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Am Ende der Kanalisation erreichten wir Leitern, die nach oben führten. Gally suchte zuerst eine passende für Brenda, Emilia, Pfanne und mich heraus, da wir eine Gruppe bildeten. Bevor es nach oben ging, verabschiedete ich mich noch einmal schnell von Newt. In diesem Moment wurden keine Worte ausgetauscht, mussten es auch nicht, denn wir hatten uns bereits alles gesagt. Newt wusste, dass ich ihn liebte.
"Sagt, wenn ihr auf Position seid!", rief Thomas uns nach, als ich die Leiter nach oben kletterte. Die anderen meiner Gruppe waren bereits oben, leuchteten mir den Weg, weswegen es an mir lag, Thomas zu antworten: "Werden wir!"
Ich warf einen letzten Blick auf die Personen im Tunnel. Gally sah mich emotionslos an, also wie immer, Teresa hatte bis jetzt kein Wort mehr mit mir gesprochen und ich hoffte, dass das unser letztes Treffen in diesem Leben gewesen war. Thomas sah man an, dass er sich durchgehend Gedanken um die Mission machte. In seinem Kopf schien ein Windsturm von allen möglichen Gedanken zu toben und er wirkte besorgt, gleichzeitig entschlossen. Diese Entschlossenheit teilten Liv und Newt. Liv hatte einen Arm um Newts Schultern gelegt, wahrscheinlich um sich selbst zu beruhigen, und sie winkte mir zum Abschied.
Als ich zuletzt den Blick von Newt traf, vielleicht zum letzten Mal in diese braunen Augen blickte, die mir so viel Frieden schenkten, zog sich mein Herz zusammen. Ich musste meine Lippen fest zusammenpressen, um meine Emotionen zu unterdrücken. So sehr ich Wicked zerstört sehen wollte, gab es trotzdem einen kleinen Funken in meinem Körper, der Newt packen und mit ihm vor den folgenden Gefahren weglaufen wollte.

Aber das kann ich nicht...
Ich musste das hier tun, für Minho, für die Welt. Wicked müsste zerstört werden.

Aus diesem Grund nickte ich noch einmal, nahm den Blick von Newt und kletterte das dunkle Loch nach oben. Die Sprossen waren eiskalt. Je höher ich kam, desto greller wurde das Licht von Brendas Taschenlampe. Oben angekommen, fand ich mich mit den anderen in einem kleinen Technikraum wieder.
"Dann 'mal los...", sagte Pfanne, als er sich zuerst in Bewegung setzte. Ich musterte ihn von hinten. Wie Emilia trug er eine schwarze Jacke, nur dass auf seiner auf dem rechten Oberarm ein Abzeichen von Wicked zu sehen war. Es handelte sich um die Uniform von den Leuten, die für Wicked mit Bauarbeiten beschäftigt waren.
Wir wussten, dass sich hinter der nächsten Tür ein Bahnhof befand. Gally hatte ihn uns auf der Karte von der Stadt gezeigt, die Lawrences Männer im Laufe der letzten Jahre angefertigt hatten. Wir hatten die Karte bis ins kleinste Detail studiert, wussten, wohin wir müssten, um unsere Posten zu erreichen.
Entschlossen zog ich die Kapuze meiner schwarzen Weste über den Kopf. Meine Haare befanden sich in einem geflochtenen Zopf, um meine Locken zu bändigen, während meine Beine in eine graue Cargo-Hose gehüllt waren. Ich schulterte meinen schweren Rucksack, dann schloss ich mich der Gruppe als letztes Glied an. Hinter Pfanne ging Emilia, welche die Hand ihres Vordermannes hielt, dann folgte Brenda.
Wir kamen an den Bahnsteig und zuerst war ich mit den vielen Menschen überfordert. Sie gingen hektisch ihren Weg, erzeugten dabei eine ungemeine Lautstärke. Sie schienen im Stress zu sein, da bald die Ausgangssperre in Kraft treten würde. Auch wir mussten auf diese Sperre achten, denn ich hatte keine Lust, mich mit den Ordnungshütern Wickeds auseinanderzusetzen.

Das ist unwirklich, dachte ich fassungslos, als ich die vielen Menschen beobachtete.

Sie trugen alle saubere Kleidung, wirkten so, als würden sie in der realen Welt, der Brandwüste, keinen einzigen Tag überleben. Sie lebten im von Wicked erschaffenen geschlossenen Terrarium, das sie vor der Außenwelt schützte. Eine Welt, die ihrer Realität entsprach, aber sie hatte nichts mit der echten zu tun.
Ich erinnerte mich an Erzählungen von älteren Mitgliedern des Rechten Armes, die den Beginn des Brands miterlebt hatten. Sie hatten mir erzählt, wie die Welt früher funktioniert hatte. Hier sah ich genau das. Vor mir erstreckte sich eine Welt aus Beton und Stress. Die Menschen waren in einem Hamsterrad gefangen, doch sie glaubten, hier in Sicherheit zu sein, dass Wicked sie alle retten würde. Jeden Tag standen sie auf, wohnten in schönen Wohnungen und gingen dem Leben nach, das die ganze Welt einst gelebt hatte. Sie taten so, als würde der Brand nicht existieren, doch das war falsch; er existierte, lauerte bereits außerhalb der Stadtmauern.
Mauern, die den Rest der Welt von diesem scheinbaren Paradies fernhielten. Nur die Menschen hinter diesen Mauern hatten das Glück gepachtet, denn draußen starben tagein, tagaus Unschuldige. Mein ganzes Leben hatte ich jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen, Wicked als Feind erklärt, und hier fand man die Organisation. Sie lebten in Luxus, schirmten sich von der Realität ab, doch das war falsch. Sie liefen einer Idee von einer Welt nach, die schon eine lange Zeit tot war.

Bis zum letzen Atemzug | Newt Ff / Teil 3 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt