39. Kapitel - Aber wäre es dir egal? Ja...

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Saras Ausruf konnte ich gut nachempfinden, denn mir wurde erst in diesem Augenblick wirklich bewusst, was ich getan hatte. Ich hatte einen Timer gestellt, den Tower in die Luft zu sprengen.

Nein, ich habe entschlossen, mich in die Luft zu sprengen...

Mit Sara hier im dunklen Gang, neben uns der Ausblick über eine brennende Stadt, sah ich es klar. Logisch betrachtet wusste ich, dass es so viel in dieser Welt gab, wofür es sich zu leben lohnte, trotzdem sah ich es nicht. Nicht einmal jetzt.
Ich hatte Angst um Sara, auch um Thomas, der sich ebenfalls im Tower befand. Was mit mir geschah, war mir egal. Mir jedoch vorzustellen, wie sehr meine Freunde, Familie aufgrund meines Todes leiden würde, konnte ich nicht. Ja, es wäre tragisch, doch würde ich es mitbekommen?
Würde es Newt mitbekommen?
Saras Worte, dass Newt noch nicht tot war, verdeutlichte mir nur, dass er es fast war. Die Wahrscheinlichkeit, hier lebend herauszukommen, war höher, als dass Newt überlebte.

Eine Welt ohne Newt...

Ich kannte ihn nicht einmal ein Jahr, trotzdem war er alles für mich. Ohne ihn würde ich mich in eine Person verwandeln, die bloß ein Schatten wäre. Eine niedrige Kreatur, die atmen und sich selbst am Leben erhalten könnte. Ich würde endgültig zerbrechen, doch dieses Mal könnte man die Scherben nicht mehr zusammenkleben. Dieses Mal würden sie am Boden zu Staub zerfallen, vom Wind hinfortgetragen werden.
Aber hatte ich das vielleicht verdient? Hatte ich es verdient, nach heute kein Glück mehr im Leben zu haben, mein Herz verloren zu haben? War es das, was das Schicksal sich für mich überlegt hatte?
Überlegt für die Person, die heute ganz allein auf ihre eigene Rache fokussiert war. Jemand, der Gott gespielt hatte, gleichzeitig Verantwortung für das Chaos außerhalb der Stadt trug. Ich hatte mit Lawrence einen Deal gemacht, ganz allein.
Der halbe Crank war nicht auf mich zugekommen, sondern ich auf ihn. Ohne Lawrence hätten wir Minho ebenfalls retten können, doch ich hatte mich ins Böse hineinziehen lassen. Ich war bis zur Kante an die dunkle Schlucht getreten, war nicht von den herabstürzenden Kieselsteinen abgeschreckt worden, nein, ich hatte mich hingekniet und in den Abgrund gespäht. Ich hatte mit dem Monster verhandelt, das in der Tiefe lauerte.
Jetzt hatte es mich nach unten gezogen. Ich war gefallen, fiel immer weiter und kein Schrei verließ meine Kehle; schließlich hatte ich es akzeptiert. Hatte das Böse Besitz von mir ergreifen lassen.
Am Grund der Schlucht wartete was? Der Tod?
Nein, Schlimmeres.
In diesem Moment bekam ich das Gefühl, als wäre ich dazu verdammt, nicht zu sterben. Sara war hier und nach Newts Tod würde ich den Rest meines Lebens dafür kämpfen müssen, dass nach Ava Paige kein weiteres Übel aufsteigt. Thomas war das Heilmittel.
Sollte er sich jemals dazu entscheiden, die Welt retten zu wollen, müsste ich neben ihm stehen. Das war das Mindeste, was ich nach heute tun könnte.

Warum kann ich es also nicht?
Warum ist es mir immer noch egal, was jetzt mit mir passiert?

Ich wusste es nicht, wusste nur, dass ich mich im nächsten Moment leise: "Thomas...", flüstern hörte.
In der Welt außerhalb meiner Gedanken starrte Sara immer noch schockiert auf das zerstörte Tablet. Links hinter mir lag Paiges Leiche und ihr dunkles Blut berührte meine linke Ferse. Ich blickte auf die dunkle Blutlache, die durch eine weitere Explosion in der Stadt orange schimmerte.
Mein Herzschlag war langsam, die Tränen auf meiner Wange getrocknet. Die Welt roch nach Zerstörung, aber ich war zu müde. Fühlte nichts, mein Körper war taub. Ich hielt nur meine Pistole lose in der rechten Hand, die Sara vom Boden aufgehoben hatte, während ich spürte, wie sich mein Brustkorb hob und senkte.
Ich trug den weißen Laborkittel. Einige Blutspritzer müssten auf ihm und meinem ganzen Körper zu finden sein, doch es war mir egal. Auch, dass meine Haare sich fast komplett aus dem geflochtenen Zopf gelöst hatten. Wichtig war nur Sara, die es nicht verdient hatte, meinetwegen zu sterben. Genauso wie Thomas.
"Scheiße!", stieß die Braunhaarige aus und wie immer trug sie ihre dunkle Kappe. Dazu hatte sie eine voll automatische Waffe um ihren Oberkörper geschnallt, eine Pistole in einem Holster auf ihrer rechten Hüfte. Sara trug eine Kette, mit einem Messer in einer grünen Hülle, das über einem schwarzen Tanktop lag. Ihre gebräunte Haut wurde von einer dünnen Schweißschicht überdeckt, und auf Saras brauner Hose sowie schwarzen Schuhen ließ sich Sand und Dreck von der Küste und Brandwüste ausmachen.
"Ich probier', ihn anzufunken. Dieser Bastard Janson hat uns gefunden und Thomas hat ihn abgelenkt. Hoffentlich hat er es geschafft", Sara griff nach einem Funkgerät, dass auf ihrem Gürtel befestigt war, "Thomas?"
Eine Zeit war es still.
"Thomas, hörst du mich?"
Ich dachte schon, dass keine Antwort mehr kommen würde, bis jemand in die Leitung keuchte: "Ja, ja, Thomas hört."
Es schien mir so, als würde er auf der Flucht sein, denn er keuchte stark.
"Thomas, hör mir zu, du hast genau noch zehn Minuten, deinen Hintern aufs Dach zu bekommen. In zehn Minuten verwandelt sich dieser Tower in eine Sauna, die deine letzte wird."
"V-verstanden", stieß Thomas schwach aus, "hast du Rosaly...?"
"Ja, sie ist hier."
"Gut", Thomas klang erleichtert, und ich fühlte ein Stechen in meiner Brust, "Janson, er, er ist tot. I-ich, ich-", er brach kurz ab, "Wir treffen uns am Dach, ich werde es schaffen."
"Verstanden, Sara over."

Bis zum letzen Atemzug | Newt Ff / Teil 3 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt