37. Kapitel - Das Leben endet mit dem Tod

73 10 0
                                    

Ich stand in diesem finsteren Gang, die Glasfassade des Hochhauses zeigte die Welt draußen, die im Chaos versank. Die Nacht war erfüllt von dumpfen Schüssen, schrillen Schreien und den furchterregenden orangefarbenen Explosionen. Eine lange, quälende Reise hatte mich hierhergeführt, aber meine Psyche war zerrissen. Der Gedanke, dass Newt in Gefahr war, traf mich wie ein mörderischer Schlag. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich blind vor Rache gewesen war.
Dennoch, ich hatte mein Ziel doch irgendwie erreicht, denn ich richtete meine Waffe in diesem Moment auf die Tyrannin dieser Welt. Lieber wäre es mir gewesen, wenn meine Hand nicht gezittert hätte, doch die Information von Teresa brachte mich durcheinander.

Nein, Rosaly, ein Fehler jetzt und du bist das Opfer, rief ich mir in Erinnerung.
Ich dürfte jetzt nicht durchdrehen, müsste einen klaren Verstand bewahren. Etwas, das mir in letzter Zeit bereits schwergefallen war.

Ava Paige, die Verkörperung all der Qualen dieser verdammten Welt, war vor mir. Eine ältere Frau mit dünnem blonden Haar und in Weiß gekleidet. Ihre offenen Haare rahmten ihr Gesicht ein, während ihre Lippen in einem Dunkelrot strahlten.
Jedoch, etwas war anders. Paige wirkte anders; viel zu ruhig und nicht wie die Tyrannin aus unserer letzten Begegnung.
Lächerlich, klar, aber die Ärztin, die hunderte von Kindern für ihre Experimente missbraucht hatte, sah in meinen Erinnerungen anders als das aus. Hier stand keine Ärztin, die alles dafür getan hatte, ein Heilmittel zu finden. Nur eine alte Frau stand vor mir.
Langsam kam Paige näher. Ihre schwarzen Stöckelschuhe schritten über den glatten Boden, erzeugten ein dumpfes Klackern. Paiges Beine waren in eine weiße Hose gehüllt, doch nichts Elegantes war in ihrem Gang zu erkennen.
"Paige!", hisste ich, doch sie kam näher. Wicked kam näher, der Kopf dieser verdammten Organisation, die die Welt beherrschte. Nein, beherrscht hatte, sollte ich sagen, denn nach dem heutigen Tag würde es kein Wicked mehr geben.
"Rosaly", erwiderte mein Gegenüber ruhig und drei Meter vor mir blieb Paige stehen, "ich hab' mir schon gedacht, dass wir uns heute noch über den Weg laufen."
Ich wusste, dass sie gerade versuchte, diese Konversation zu leiten. Sie zeigte mir, dass sie keine Angst vor meiner Waffe hatte, doch ich wusste nicht, ob es war, weil sie aufgegeben hatte, oder sie nicht glaubte, dass ich sie erschießen würde. Bei Zweiterem hätte sie Unrecht, denn das würde ich tun, auch wenn Paige mich vom Gegenteil überzeugen wollte.
Diese Mission war allein darauf ausgelegt gewesen, Paige zu töten, ihren verdammten Tower in die Luft zu sprengen. Die ganzen Sprengkörper, welche ich verteilt hatte, wären umsonst gewesen.

Mein ganzes Dasein in diesem Moment wäre umsonst, wenn ich Ava Paige am Leben lassen würde...

Ich hätte bei meinen Freunden sein können, helfen, Minho und die anderen Immunen zu retten. Wahrscheinlich hätte ich dann bemerkt, dass etwas mit Newt nicht stimmte, doch das hatte ich nicht. Ich hatte nichts bemerkt und jetzt stand ich hier. Würde ich das Ziel meiner Mission aus dem Fenster werfen, wäre alles umsonst gewesen. Mit nichts könnte ich rechtfertigen, meinen Freunden nicht geholfen zu haben.
"Warum stehst du dann einfach hier?", fragte ich, da ich nicht verstand.
"Mir gefällt die Aussicht über die Stadt an diesem Ort besonders gut."
"Eine brennende Stadt", korrigierte ich sie.
"Alles muss irgendwann enden", meinte sie trocken, wandte sich der Stadt zu. Diese wurde von Zerstörung heimgesucht und ich musste an all die Menschen denken, die in ihren Häusern hockten.
"Ist es das, was du gewollt hast?", fragte mich Paige plötzlich, "Ich kann nicht behaupten, dich zu kennen, ab-"
"Ja, du kennst mich nicht", unterbrach ich sie, blickte jedoch ebenfalls kurz zur Stadt, dann gestand ich: "Nein, so genau sollte es nicht enden. Dennoch, es ist nicht meine Schuld, dass die Menschen außerhalb dieser Mauern wütend sind. Sie sterben in der Brandwüste und hier drinnen hat es ein fast normales Leben gegeben. Menschen sind gierig."
"Interessant, dass du es so siehst."
"Wie sollte ich es sonst sehen?"
Kurz kehrte Ruhe ein und Paige schien mir Zeit zu geben, um selbst auf die Antwort meiner Frage zu kommen. Tat ich aber nicht, warum die Frau abermals ihre Stimme erhob: "Als ich diese Stadt gebaut habe, lebten außerhalb noch keine Menschen. Sie kamen erst und wir haben sie aufgenommen. Die Bewohner dieser Stadt kamen einmal aus der Brandwüste, zumindest die meisten.", die Frau machte eine kurze Pause. Ihre Augen schienen alles vor ihr aufzunehmen, als würde sie das letzte Mal in ihrem Leben diesen Anblick sehen.

Bis zum letzen Atemzug | Newt Ff / Teil 3 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt