Kapitel 52

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Y/n:

Die ganze Last, die noch vor wenigen Minuten wie ausgelöscht war, prallte gerade wie Steine auf mich ab.

Nein, das kann nicht sein.
Er..

Das Telefon klingelte weiter und bei jedem piepen wurde ich umso mehr in die Realität zurückgeschleudert.
Steine um Steine fielen und es fühlte sich an, als würde ich gleich im Erdboden versinken.

Erinnerungen.
Massenweise Erinnerungen.

"Y/n?"
Aufeinmal spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter und ich zog scharf die Luft ein.

"Was ist los?", hörte ich Shoto besorgt sagen, doch ich konnte ihm nicht in die Augen blicken.
Stattdessen stand ich ruckartig auf, murmelte irgendetwas, wie dass ich  auf die Toilette müsste und lief so schnell es ging aus dem Zimmer.

Mein Adrenalin stieg noch nie so schnell ich nie Höhe und mein Herz pochte, wie wild. Ich wusste, dass das hier die einzige Chance war.

Er hatte seit Monaten nicht mehr angerufen und das hier war warscheinlich eine komplette Ausnahme. Wenn ich mich jetzt nicht melden würde, dann würde ich diese Gelegenheit verpassen.
Scheiße.

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit eine freie Toilette fand, stürmte ich rein und schloss hinter mir die Tür ab.

Ohne zu zögern nahm ich den Anruf an und hielt meinen Atem an.

Stille.
Doch dann.

"Y/n?"
Die Stimme war tief und rau, aber es war die Stimme meines Vaters.
Meine Hände fingen an zu zittern und meine Augen brannten.

"Y/n?", wiederholte er nach ein paar Sekunden und mir wurde etwas schwindelig.

"Hi. Dad.", stieß ich mit voller Kraft heraus, doch meine Antwort war nicht lauter als ein Wispern.
Ich lauschte seinem ungleichmäßigen Atem und war mir sicher, dass er weinte.

Bis jetzt habe ich ihn nur zwei mal in meinem ganzen Leben weinen sehen.
1. Als ich Ohrringe bekam.
2. Als er mich gebrochen in meinem Zimmer vorfande.
Und jetzt.

Er schiefte, bevor er sagte: "Ich.. ich habe nur drei Minuten."
Mein Herz verkrampfte sich und ich nickte, obwohl er es nicht sah.

"Wie geht's dir?"
Diese Stimme. Ich habe für einen kurzen Moment gedacht, dass ich sie vergessen hätte. Aber nein. Sie war wie immer, aber.. sie klang gebrochen.

"Gut.", antwortete ich schnell und kaute nervös an meinen Nägeln.

"Wirklich?", hackte er nach.
Nein, mir geht's nicht gut. Mir ging es nie gut. Ich hasse meine Mutter, mein Umfeld und mich. Ich hasse alles auf dieser verdammten Welt.

"Wirklich.", versicherte ich ihm und versuchte nicht zu stottern.
Lüge. Alles ist eine verdammte Lüge.

"Wie geht's dir?", erkundigte ich mich auch nach einem kurzen Moment der Stille.

Er schnaubte.
"Y/n, wir reden über dich. Ich weiß, es geht dir nicht gut."

Ihm ging es selber nicht gut.
Ich hätte schwören können, dass es ihm sogar schlechter ging als mir.

Meine Lippen bebten.
"Mir geht es gut.", entgegnete ich noch einmal. "Ich habe Freunde."

"Freunde sind nicht alles.", wandte er ein und ich hielt mein Telefon fester fest.

"Dad, drei Minuten. Mir geht es gut, es reicht." Ich war kurz davor ihn anzufahren, ließ es aber sein.
Wieder eine Pause und erneut hörte ich nur seinen Atem.

"Du brauchst Hilfe.", stieß er aufeinmal aus und mein Herz blieb stehen.

"Nein, brauche ich nicht."

"Du solltest zur Therapie gehen."

Ein Schlag in mein Herz.
Obwohl ich wusste, dass er es nur gut meinte, war ich wütend.

"Nein. Ich brauche keine beschissene Hilfe!", schrie ich und bohrte meinen Nägel in das Porzellan des Waschbeckens.

"Y/n, bitte.", flehte er, doch ich hatte meine Gedult schon längst verloren.

"Nein! Ich gehe nicht zur verdammten Therapie! Du weißt nicht wie es mir geht und das wirst du auch nie, weil du nicht hier bist! Du weißt garnichts! Deswegen lass mich in Ruhe!"

Das war ich nicht.
Das bin ich nicht.
Meine Augen tränten und mir wurde übel. Scheiße.

Doch bevor ich überhaupt noch irgendetwas hinzufügen konnte, bewegten sich meine Finger wie von selbst und ich legte auf.

Ein Anruf.
Eine Chance.
Und ich habe sie einfach so weggeworfen, wie Müll.
Was war ich bitte für ein hasserfüllter Mensch, dass ich meinen Vater, den ich so lange Zeit nicht mehr gesehen habe einfach so behandelte.

Ich hasse mich. Endgültig.
Und dann brach ich wieder in Tränen aus. Alles war kaputt. Es gab nie ein perfekt.

Ich werde nie wieder so ein Mensch wie früher werden.
Ich werde nie wieder glücklich werden.

Katsuki:

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder ins Haus reinkommen war, umgab mich die schwüle Luft und mein Kopf pochte.

Ich wollte nicht wissen, was sie alle hier gemacht haben.
Nicht wissen, was Y/n und Shoto gemacht haben.

Sofort trieb ich mir wieder meine Gedanken aus dem Kopf und wandte mich zu den anderen, die gerade in einem Kreis auf dem Boden saßen.

"Hey Katsuki! Komm setz dich doch zu uns!" Kiri winkte mit einem strahlenden Lächeln, doch ich schüttelte nur leicht meinen Kopf.

Ich hatte wirklich keine Lust mit den Leuten und Y/n Warheit oder Pflicht zu spielen. Warte.. wo ist Y/n?

Ich fixierte wieder jeden einzelnen Menschen, doch nirgendwo war das Mädchen mit dem wunderschönen Kleid und Sommersprossen im Gesicht.

Abrupt fing mein Herz an schneller zu schlagen und ich kämpfte dagegen an, sofort das ganze Haus nach ihr zu durchsuchen.
Vielleicht ist sie auf der Toilette, oder so? Sie kommt bestimmt gleich wieder. Beruhig dich.

Ich beschloss, mich doch zu Kiri zu setzen, aber nicht mitzuspielen.
Ochacko drehte die Flasche und alle Blicke blieben, wie gebannt darauf geheftet. Pf, was für ein Scheiß.

Nachdem fünf Minuten vergangen waren, bekam ich ein mulmiges Gefühl im Magen und ohne darüber nachzudenken, drehte ich mich zu Kiri und fragte leise: "Wo ist Y/n?"

Auf seinen Lippen spielte sich ein leichtes Grinsen ab, aber nicht so eins wie bei Denki, wo ich ihm gleich in die Fresse schlagen würde.
"Auf der Toilette, glaub ich.", antwortete er und blickte mir in die Augen.

"Seit wann?", hackte ich mit grober Stimme nach und er kniff seine Augen zusammen.

"Hmm. Ich schätze so seit 15 Minuten."

15 Minuten?!
Reflexartig stand ich auf und ging ohne etwas zu sagen aus dem Raum.
15 Minuten. Und niemand sorgte sich nach ihr?! Was sind das bitte für Freunde?? Was ist, wenn ihr etwas passiert ist??

Als ich endlich das Badezimmer gefunden hatte, blieb ich vor der Tür stehen und hielt die Luft an.
Es war komplett leise.
Doch gerade, als ich klopfen wollte, hörte ich ein leises Schniefen.

Und darauf ein schreien.
Aber kein normales.
Dieser Schrei kam aus der Seele.
Aus einer wirklich gebrochen Seele.

Bakugou x Reader (Bevor Ich Falle)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt