Prolog

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Pov. Indigo

Auf Zehenspitzen betrete ich das Haus und schleiche mich durch den Flur, vorbei an der Treppe zum Keller, und zur Küche, in der es unglaublich duftet. Ich gehe ein paar Schritte hinein und bemerke eine Ladung frisch gebackener Croissants. Bedeutet das, dass wir Besuch bekommen? Kommt Louis endlich wieder vorbei? Er und Jamie scheinen sich in letzter Zeit nicht allzu gut zu verstehen. Neugierig sehe ich in den Kühlschrank und bemerke die drei neuen Sorten an Marmelade. Damit ist mein Mittagessen gesichert. Schnell verlasse ich die Küche wieder und gehe leise weiter an geschlossenen Zimmertüren vorbei, bis ich an der meines großen Bruders ankomme. Noch bevor ich die Tür aufreißen kann, um ihn zu erschrecken, höre ich ein Schluchzen. Langsam öffne ich die Tür einen Spalt breit und sehe ihn auf seinem Bett liegen. Er hat den Kopf im Kissen vergraben, welches schon sichtlich nass ist. In seiner Hand hält er den Löwen aus Plüsch, den er vor vielen Jahren von unseren Eltern bekommen hat. Er hat mir erzählt, dass das sein Geschenk zum ersten Schultag war. Er hatte große Angst vor diesem Tag, und der Löwe hat ihm Kraft geschenkt. In letzter Zeit schafft er es leider nicht mehr. Viel zu oft öffnet mir Jamie die Haustür mit roten Augen, oder ich erwische ihn dabei, wie er einfach nur im Bett liegt. Er denkt, dass ich es nicht mitbekomme, und wenn ich nach Hause komme, spielt er den Starken. Er tut so, als wäre nichts, aber wenn man genauer hinsieht, sieht man seinen Schmerz. Leise schließe ich die Tür wieder, schleiche mich aus dem Haus und klingle an der Tür.

Pov. Jamie

Ein Klingeln an der Tür reißt mich aus meinen trüben Gedanken. Ich setze mich auf, wische mir schnell über die Augen und werfe den Löwen in die Schublade, in der ich ihn immer verstecke. Anschließend renne ich zur Tür, setze ein Lächeln auf und öffne sie. Vor mir steht meine kleine Schwester, welche mich grinsend ansieht „Hallo Jamie, ich habe heute früher frei. Mathe ist ausgefallen." Tanzenden Schrittes schiebt sie sich an mir vorbei und zieht sich ihre Schuhe an der Garderobe aus. Schmunzelnd sehe ich ihr nach. Meine Schwester ist der Sonnenschein in meinem Leben, der mich jedes Mal aufmuntert. „Hast du Hunger? Ich habe gebacken." Sie reißt die Augen auf und sieht mich dabei vermeintlich überrascht an „Was gibt es denn?" Ich wuschele ihr durchs Haar, wofür ich einen bösen Blick ernte „Du kannst ruhig sagen, dass du die Croissants schon riechst und musst nicht überrascht tun." Sie sieht mich entschuldigend an „Ich wollte dir nicht die Freude nehmen, Jamie." Ich winke ab und gehe dann mit ihr in die Küche, in der sie zielstrebig auf die Box zuläuft, zwei Teigwaren herausholt, sie auf Teller verteilt und diese auf den Tisch stellt. Ich gehe zum Kühlschrank und hole die drei Marmeladengläser heraus, welche ich für heute gekauft habe. Indi sieht mir ungeduldig entgegen und nimmt mir die Gläser ab, sobald ich nahe genug am Tisch bin „Das perfekte Mittagessen vom besten Geschwisterteil der Welt!" Sie umarmt mich liebevoll und setzt sich dann. „Mittagessen? Eigentlich sollte das nur ein Snack sein. Ich wollte noch kochen."

Sie schüttelt sofort den Kopf „Du kannst auch heute Abend kochen, jetzt lassen wir uns erst einmal das hier schmecken." Sie deutet auf den Stuhl neben sich, auf den ich mich lächelnd fallen lasse „Wie war die Schule?" „Deutsch und Bio waren okay, die Schularbeit in Französisch lief gut und Mathe ist glücklicherweise ausgefallen." Ich sehe meine 14-jährige Schwester stolz an „Das ist klasse, Indi." Sie sieht mich liebevoll an und greift dann nach dem ersten Marmeladenglas, nur um dabei zu bemerken, dass sie etwas vergessen hat. Sie geht zu einer Schublade, holt Löffel und Messer heraus und legt sie auf den Tisch. „Wenn dein Kopf nicht angewachsen wäre, würdest du ihn irgendwann verlieren." „Nicht witzig, Jamie." Ein Blick in ihr Gesicht zeigt, dass sie sich ein Grinsen verkneift, was mich zum Lachen bringt „Es ist nur die Wahrheit." Sie wirft mir einen gespielt bösen Blick zu und beißt in ihr Gebäck „Kommt Louis heute auch noch?" Verwirrt sehe ich sie an „Wieso sollte er?" Sie deutet auf die restlichen Croissants „Du möchtest mir nicht sagen, dass wir die ganze Box allein essen müssen, oder?" Nachdenklich sehe ich auf die verbleibende Menge und sehe sie dann verlegen an „Kann sein, dass ich etwas zu viel gemacht habe." Indigo beginnt zu lachen „Jedes Mal dasselbe. Wenn du möchtest, kann ich ein paar mit in die Schule nehmen. Wie ich meine Freundinnen kenne, werden sie sich darüber freuen." Ich nicke ihr zu und beiße dann selbst in mein Croissant.

Seit unsere Eltern vor einem halben Jahr gestorben sind, kümmere ich mich um meine Schwester. Ihr Tod hat mir sehr zugesetzt, und mich in ein tiefes Loch gestoßen. Nachdem ich mit meiner Ausbildung zum Konditor fertig war, die meine Eltern als nicht angemessen für einen Mann empfunden haben, musste ich mir eine Stelle suchen. Unter dem Druck, nun für meine Schwester und mich sorgen zu müssen, habe ich den erstbesten Job angenommen, den ich bekommen habe. Leider hat sich dieser als absolut schrecklich herausgestellt, doch damit muss ich leben. Ich bin der Mann im Haus, der Versorger für uns beide und kann es mir nicht leisten, diese Arbeit zu verlieren. Ich könnte Indi auch nie sagen, dass es mir schlecht geht, schließlich muss ich für sie stark sein. Mein Vater sagte immer, dass Männer nicht weinen dürfen, dass sie stark sein müssen, und dabei niemals versagen dürfen. Der Löwe, den ich vorsorglich vor meiner Schwester verstecke, war ein Geschenk zu meiner Einschulung. An diesem Tag setzte mein Vater alles daran, dass ich mein rosa Shirt gegen ein Hemd tausche, mein Einhorn landete im Müll und ich habe eine Predigt darüber bekomme, wie ich sein sollte. Mein Vater meinte, dass ich mir an diesem Tier ein Beispiel nehmen solle. Löwen seien stark und geborene Anführer, die ihre Frauen beschützen, keine Weicheier, die in rosa Sachen herumlaufen, mit Kuscheltieren kuscheln und sich vor Angst beinahe in die Hose machen. An diesem Tag habe ich den Löwen angefleht, dass er mir hilft. Ich habe versucht, der Mensch zu werden, den mein Vater in mir sehen wollte, und es hat geklappt. Doch heute kann ich keine Kraft mehr aus dem Plüschtier schöpfen, egal wie sehr ich ihn darum anflehe. Einzig meine geliebte Schwester ist der Grund, aus dem ich jeden Morgen aufstehe und zur Arbeit gehe. Wenn ich sie nicht hätte, würde ich aufgeben. Natürlich darf sie das niemals erfahren, schließlich bin ich der Mann im Haus.

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Was wahre Stärke ausmachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt