Kapitel 1 Traum

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Die Wissenschaft sagt Träume sind dazu da, um geschehene Ereignisse zu verarbeiten, manchmal sind sie allerdings einfach nur grausam. Ich schoss nach Luft schnappend aus dem Bett hoch und blinzelte panisch in die Dunkelheit meines Zimmers. Die Tür knarzte und ich konnte leise und ich konnte leise Schritte von nackten Füßen auf dem Teppich meines Zimmers hören. „Hast du schlecht geträumt Carlos", die verschlafene Stimme meiner Schwester war inzwischen ganz nah und die Kante meines Bettes sank ein Stück herab. Ihre Finger strichen über meine Stirn: „Ich habe dich gehört, auf dem Weg zur Toilette." Ich nickte schwach und Solas Hand löste sich von meiner Stirn, mit einem leisen Klick ging mein Nachttischlicht an und ich blinzelte gegen das grelle gelbe Licht, das mir direkt in die Augen strahlte.

Auch gut fünf Minuten später als ich mich beruhigt hatte saß Sola immer noch an meiner Bettkante und hielt meine Hand fest. „Wovon hast du geträumt", ihre blauen Augen glitzerten fast unnatürlich im Licht der Lampe und sie legte behutsam ihren Arm um meine Schultern und kuschelte sich an mich. „Davon das Papa mich zwingt wieder diesen Anzug anzuziehen", murmelte ich undeutlich: „Du weißt schon, das was er meinte, was sich für einen Mann anschickt mit der Krawatte." „Das Jackett meinst du?" Sola löste sich behutsam von mir: „Da hast du ja schon gegen protestiert, als Papa dir das das erste Mal andrehen wollte." Ich nickte stumm und lehnte mich wieder an sie: „Da hat ja aber Mama eingegriffen und hat gesagt, dass ein zwölfjähriger das noch nicht tragen muss. Aber in meinem Traum war Mama nicht da." „Das war nur ein Traum", meine Schwester schloss mich wieder fest in die Arme: „Papa hat ja nicht wieder versucht dir den Kram anzuziehen."

Ich betrachtete meine Schwester von der Seite, auch wenn sie ohne Brille eher verschwommen war, ihre dunkelblonden Haare fielen ihr verstrubbelt über die rechte Schulter und ließen sie jünger Aussehen als sie tatsächlich war. „Kannst du vorlesen", ich ließ mich wieder auf meine Matratze sinken: „Du kannst das doch so toll." „Na gut", meine Schwester stand auf und tappte zu meinem Bücherregal: „Was soll ich denn vorlesen?" „Die Story die du schreibst." Sie seufzte: „Dann muss ich ja mein Handy holen, aber wenn du das unbedingt möchtest." Sie verließ mein Zimmer und kam wenig später mit ihrem Handy in der Hand zurück. Sie öffnete etwas darauf und begann dann zu lesen.

„Als ich zwölf war, bekam mein Vater die Diagnose Darmkrebs und musste in Chemotherapie, die Therapie schlug sogar an. Nach einem Jahr galt er sogar als geheilt und musste keine weiteren Therapien machen. Aber an meinem vierzehnten Geburtstag war es vorbei, mein Vater brach zusammen und kam ins Krankenhaus. Der Krebs kam zurück, noch schlimmer als zuvor, es gab keine Möglichkeit mehr ihn zu heilen, am neunten Oktober desselben Jahres starb er an den Folgen des Krebses. Bis zum heutigen Tag stelle ich mir die Frage, was die Ärzte falsch gemacht hatten, dass sie den Krebs nicht erkannt hatten. Ich hatte seit dem Tod meines Vaters die Schuld den Ärzten gegeben und hatte meine Wut an anderen ausgelassen.

Meine Trauer um meinen Vater lässt mich Dinge tun, vor denen mich meine Eltern von klein auf gewarnt hatten. Alkohol und Drogen haben mich verändert, meine Einstellung verändert, Alkohol wurde ein Bestandteil meines alltäglichen Lebens. Ich kam schon angetrunken zur Schule und kassierte dafür mehrere Verweise und Konferenzen. Doch die Strafen die sie mir aufbrummten, führten nur dazu, dass ich anfing die Schule zu schwänzen, meine Träume rannen den Bach runter und zerplatzten wie eine Seifenblase. Der Schulleiter warf mich schließlich für mein undisziplinarisches Verhalten von der Schule und meine Mutter mich aus der Wohnung, ich trank zu viel.

Wer dachte, dass das Leben als Obdachloser außerhalb der größeren amerikanischen Städte einfacher ist, der hat sich wohl getäuscht. Es gab weniger Möglichkeiten an Essen zu kommen und die Leute hatten Mitleid aber keine Lösungen für mich. Bis ich diesen einen Jungen auf der Straße traf..."

Damit endete Sola mit ihrer Story und ließ ihr Handy wieder sinken und gab mir einen Kuss auf die Stirn: „Schlaf gut kleiner Bruder und jetzt keine Albträume mehr." „Gute Nacht", flüsterte ich zurück und schaltete das Licht in meinem Zimmer wieder aus. Ich hörte ihre leise Schritte, als sie mein Zimmer verließ und zurück in ihres tappte.

Am nächsten Morgen wurde ich dann tatsächlich von Sola aus dem Schlaf gerissen, indem sie sich auf mein Bett warf. „Guten Morgen kleiner Bruder, es ist Zeit aufzustehen", beim Wort Bruder verkrampfte sich in mir etwas, was ich mir nicht erklären konnte. „Ich hasse es aufzustehen", brummelte ich und ließ mich von meiner Schwester aus dem Bett ziehen. „Es ist Freitag", ihre Augen funkelten aufgeregt: „Morgen ist Wochenende und wir haben unsere Ruhe, weil Mama und Papa doch nach Stuttgart zu Oma und Opa fahren." Ich seufzte, das war das erste Wochenende ohne unsere Eltern, besonders gut kochen konnte Sola allerdings auch nicht, das konnte lustig werden.

„Ich gehe mich dann mal anziehen", meine Schwester stand von meinem Bett auf: „Das solltest du auch tun." Damit verschwand sie aus meinem Zimmer und ließ mich zurück, seufzend stand ich dann auch auf, mein Albtraum, war nicht wieder zurückgekehrt aber dennoch hatte ich zu wenig geschlafen. Ich hob meine Sachen vom Fußboden auf und streifte sie wieder über, tauschte allerdings meine Jeans gegen eine etwas weitere, als ich realisierte, wie eng sie saß. Schon länger fühlte ich mich unwohl, wenn man sah, wie mein Körper aufgebaut war, die Brüste meiner Schwester hatte ich schon beneidet, als sie angefangen hatten zu wachsen. Als ich meiner Mutter davon erzählt hatte, hatte sie gelacht und gemeint, dass ich mich wohl etwas zu früh mit meinen romantischen Interessen beschäftigen würde. Einzig allein Sola hatte das irgendwie süß gefunden und sich gefreut, dass ich an ihrem Mädchenkram Interesse fand.

Meine Schwester war drei Jahre älter als ich, Jungs waren neuerdings mit ihren Freundinnen ein heißes Gesprächsthema. Mit dem Thema Jungs konnte ich nicht viel anfangen, normal für einen Jungen, so wie mich meine Eltern erzogen hatten, dennoch blieb ein kleiner Stich, bei dem Gedanken, dass das als normal für einen Jungen galt. Ich warf einen Blick in den Spiegel, auf meine in der Meinung meines Vaters viel zu langen mittelblonden Haare, meine rechteckige randlose Brille, die meine blaugrünen Augen umrahmte war meinem Vater schon fast zu weiblich gewesen. „Bist du soweit", Sola stand in der Tür und flocht sich die langen Haare zu einem Zopf: „Wir haben ein bisschen zu lange getrödelt. Mama hat uns Brote zum Essen beim Fahren gemacht." Sie lief mir voraus die Treppe herunter und schnappte sich unsere Sachen vom Küchentisch, ich folgte ihr und warf einen Blick auf die Uhr 7:22 Uhr, das war eindeutig zu spät, wenn man um spätesten Viertel nach sieben losmusste, da die Schule um 7:50 Uhr begann.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt