Kapitel 17 Grauen

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Als ich an dem Abend nicht besonders motiviert in die Küche meiner Großeltern kam, herrschte dort dicke Luft. Meine Oma saß mit verschränkten Armen auf einem der Stühle und starrte meine Eltern giftig an, ich ließ mich auf meinen Platz fallen und musterte die drei anwesenden skeptisch. Irgendwas schien hier eindeutig vorgefallen zu sein, ich rätselte was es wohl war, bis meine Opa plötzlich: „Da ist ja dein Sohn der sich als Mädchen verkleidet", schrie. In einer Lautstärke, dass sich meine Mutter, die am weitesten weg saß, die Ohren zuhielt. „Das haben wir dir schonmal gesagt", mein Vater seufzte: „Das kann nicht Carlos gewesen sein, du hast eine von Solas Freundinnen getroffen, die war sogar noch da als Lara nach Hause kam." Das war zwar eigentlich ein Notfall Manöver von Sola gewesen, die es dann lieber der Freundin erklärt hatte, als ein Problem mit meinen Eltern zu haben.

Es war ein erleichterndes Gefühl, dass meine Eltern nicht wussten, wie recht mein Opa gehabt hatte und sich dafür Streit eingehandelt hatte. Meine Oma war stinksauer, weil wir ihrem Mann nichts glaubten, nur weil er Demenz hatte, meine Eltern waren sauer über die dreisten Anschuldigungen von beiden und mein Opa war komplett verwirrt was er eigentlich nun war. Sola hatte die Story mittlerweile in die Transgruppe geschrieben, wie man mich als eine Freundin von ihr verkauft hatte. Inzwischen musste ich allerdings auch über die Idee meiner Schwester lachen, die innerhalb von zehn Minuten eine Freundin herbestellt hatte. Diese hatte sich einfach ein Kleid von Sola übergestreift und war so durch das Haus gerannt, um kurz nach fünf war sie erst wieder losgezogen. Das hatte meine Eltern eindeutig überzeugt.

Das traf allerdings wie zu erwarten nicht auf meine Oma zu, die fest davon überzeugt war, dass Sola log. Da es aber niemand außer Sola und mir wusste, konnte man es uns nicht wirklich nachweisen, was wir getan hatten. Hieß aber, wir mussten vorsichtiger sein, wenn unser Opa uns wieder entdeckte, hatten wir dann wohl ein gigantisches Problem. Zweimal würde das mit der Freundin wohl eher nicht klappen, da waren wir uns schon relativ sicher. Meine Eltern hatten mittlerweile die Bildschirmsperre meines Handys für die Wochenenden aufgehoben, sie kam erst Sonntagabend wieder. Ich hatte mein Handy so oft unter der Grenze gehabt, dass sie das vertretbar fanden, mir mehr Zeit am Wochenende zum YouTube schauen oder ähnlichem zu geben. So wirklich ausnutzen tat ich das zwar sowieso nicht, aber interessant war es dennoch.

Am nächsten Morgen warf ich einen Blick auf den Wochenplan meiner Eltern, der im Moment noch an ihrer Tür hing, da unsere Küche noch nicht da war. Mein Vater hatte Wochenenddienst und war schon nicht mehr zuhause um halb neun, als ich aufstand. Meine Mutter hatte heute den Plan in unser altes Haus, zu einem Ehepaar zu fahren, dass das Haus mieten wollte. Sola war schon fest als Begleitung eingeplant und ich klebte jetzt auch den Magneten mit meinem Foto dazu, tappte ins Bad und ging mich dann anziehen. In einem Hoodie und Jeans fühlte ich mich schon wohler als in meinem schlabbrigen Schlafanzug. Allerdings musste ich feststellen, dass der Hoodie dezent zu warm war und ich fast am 7. Mai im T-Shirt losziehen konnte. In meiner alten Vereinsjacke war es dann schon deutlich angenehmer von den Temperaturen.

Als wir dann endlich an unserem alten Haus hielten, stand schon ein junges Paar mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm vor der Einfahrt. Ein etwas älterer Renault stand auf dem Grünstreifen vor dem Hauseingang. „Guten Tag", die junge Frau gab uns nacheinander die Hand: „Ich bin Joline Schmidt und das ist mein Ehemann Merlin, die kleine Maus hier heißt Marie." Sie lächelte: „Ihr seid die Familie Schmitz sein." „Jup die sind wir", meine Mutter schüttelte ihre Hand: „Sie können mich Lara nennen, das sind meine beiden Kinder, Sola und Carlos." Die Hausrundtour mit der kleinen Familie wurde echt interessant, sie waren von den Farben der Zimmer begeistert und auch von dem Fotobuch, das meine Eltern von dem Hausbau angefertigt hatten. Wir erfuhren auch, dass Joline mit einem zweiten Kind schwanger war, weswegen die zwei Kinderzimmer echt gut passten, die einst mir und Sola gehört hatten. Die beiden wollten sich das mit der Miete noch überlegen, aber es hatte ihnen bisher gefallen, wie sie uns mehrfach versicherten.

Als wir am Nachmittag nach Hause knurrte uns allen der Magen, weswegen meine Mutter an einem kleinen Restaurant mit Mitnahme-Möglichkeit. Mit Wraps uns Pizza in Gepäck machten wir uns auf den Rückweg, wir mussten meine Mutter mit Pizzastücken und Wraps während der Fahrt füttern. Trinken hatten wir zum Glück genug mit, zwei Pizzen und drei Wraps waren schon teuer genug gewesen. Meine Mutter beäugte skeptisch die Baustellenschilder und fluchte leise über die Stauwarnung, die Warnung hatte sich schon bewahrheitet und innerhalb von den nächsten fünf Minuten wurden wir immer langsamer und kamen schließlich zum Stillstand. Meine Mutter fuhr möglichst dicht an den Rand der linken Spur, um eine Rettungsgasse dazwischen zu schaffen. Dann schaltete sie das Radio an, doch lange kam keine Staumeldung für die Autobahn wo wir waren. Dann erst kam die Polizei die mit Martinshorn an uns vorbeifuhr, dicht gefolgt von einem Rettungswagen.

Das Ganze entwickelte sich zu einer Vollsperrung, weswegen wir uns entschieden die Skartpackung aus dem Handschuhfach zu nehmen und auf der Mittelkonsole spielten. Immer wieder fuhren Rettungsfahrzeuge vorbei und im Radio wurde vor dem Unfall gewarnt, dass man woanders langfahren sollte. Meine Mutter hatte aber immerhin eine Powerbank dabei, woran wir unsere Handys aufladen und Musik anstellen konnten. Der Akku von Solas altem Handy war nämlich nicht mehr wirklich gut und ließ sich auch nicht mehr so schnell aufladen, worüber sich die Powerbank beschwerte. Wir hatten zu zweit eine Playlist erstellt, wo Musik von uns beiden drauf war, von Sola war mehr was in Richtung Fantasy Musik drauf und von mir ein Stapel Filmmusik.

Erst gegen sieben kamen wir zuhause an, mein Vater hatte schon Abendbrot gemacht und starrte konzentriert auf sein Handy als wir in die Küche trampelten. „Wie war die Besichtigung", fragte er meine Mutter ohne wirklich von seinem Handy aufzuschauen. „Eigentlich super", meine Mutter setzte sich auf den niedrigen Arbeitstisch und überschlug die Beine: „Eine sehr nette Familie, mit einem kleinen Kind einem im Anmarsch." Mein Vater steckte jetzt sein Handy ein: „Ist ja fast so wie bei uns, als wir da eingezogen sind, da war Sola auch nicht viel älter und du warst schwanger mit Carlos." Ein schmerzhafter Stich fuhr durch meinen Bauch, bei dem Gedanken, dass wir dort nicht mehr wohnten und wahrscheinlich auch nie wieder wohnen würden. Ich schmierte mir rasch mein Brot zu Ende und starrte schweigend während des Essens vor mich hin. Das war wahrscheinlich der endgültige Abschied von meinem alten Zuhause, die neue Familie würde wahrscheinlich in unser altes Haus einziehen, bei ihrem Feedback.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt