Kapitel 38 Weihnachten

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Christina und ihre Mutter brachten mich zum Bahnhof zurück und warteten bis ich Abfuhr, mein Vater holte mich zuhause dann auch wieder ab. „Ich möchte dir jemanden vorstellen", grunzte er als er die Haustür aufschloss und mich hineinließ. „Wen", ich zog meine Winterstiefel aus und stellte sie in das Schuhregal: „Hast du dich von Mama endgültig getrennt?" Ich sah ihm solange in die Augen bis er schließlich nickte, ich seufzte genervt: „Habe ich mir doch schon gedacht." Ich zog mir mit ein wenig zu ruppigen Bewegungen die Jacke aus und hängte sie auf, meine Mütze und den Schal warf ich grob in das Gaderobenfach. „Bist du jetzt sauer", mein Vater folgte mir in die Küche, wo ich mir ein Glas Orangensaft einschenkte: „Ich bin nicht sauer, ich bin nur genervt, dass du mir das verheimlicht hast."

Der Besuch saß in unserem Esszimmer, eine Frau im Alter meines Vaters mit kurzen rotbraunen Haaren. Sie war ziemlich groß als sie aufstand und mir die Hand gab: „Hallo du musst Carlos sein?" Ich nickte mit skeptischem Blick: „Ja der bin ich, wer sind sie denn überhaupt." Sie stellte sich als Britta Miskarian vor und sie war mir im ersten Moment sympathischer als mein Vater. Mein Vater hatte mich gezwungen meine Haare auf höchstens drei Zentimeter schneiden zu lassen, was ziemlich das Beschissenste war, was mir hätte passieren können. Meine Haare waren inzwischen ein bisschen länger wieder, was meinen Vater nervte, aber mir dauernd die Haare zu schneiden brachte nichts. Meine Haare wuchsen schon immer recht schnell, aber meine und Solas Flaggen sowie einige Kleidungsstücke waren bei Johanna in Sicherheit.

Morgen war Weihnachten, eigentlich war es bis letztes Jahr mein Lieblingsfest gewesen, aber alleine ohne Sola und meine Mutter stieg Verzweiflung aus. Meine Mutter war mittlerweile in eine andere Psychiatrie verlegt worden, in einem kleinen Kaff in Bayern sollte sich jetzt ihr Gesundheitszustand bessern. Allerdings ohne die Möglichkeit, dass wir sie bald besuchen konnte, auch wenn sie nicht mehr in einer geschlossenen Station war. Mein Vater hatte sich laut seiner eigenen Aussage schon offiziell von ihr getrennt, als sie wieder mehr als eine halbe Stunde an ihr Handy durfte. Davon hatte ich allerdings nichts mitbekommen, er lag als ich so darüber nachdachte schon mit Britta in einem Bett, dass er und meine Mutter zu ihrer Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Mein Bett dagegen war der ganz normale Ikea Kram, den ich schon seit ich neun war hatte.

Am nächsten Morgen war ich überrascht , dass ich durchgeschlafen hatte, nachdem ich die letzten Wochen immer mehr Albträume gehabt hatte. Am Weihnachtstag vielleicht gar nicht schlecht, ich hatte eigentlich vor mit Mia und Mira auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, um meinem Vater aus dem Weg zu gehen. Ich schlüpfte aus dem Bett, angelte mir mein Handtuch von meinem Regal und ging duschen, es war erst Viertel vor acht. Mit meiner Badehose bewaffnet stieg ich unter die Dusche und ließ das warme Wasser auf meine Haut und Haare prasseln. Als ich in Badehose und Handtuch aus dem Bad kam, stand schon Britta vor der Tür und musterte mich von oben bis unten. „Auch kein Nacktduscher", wollte sie von mir wissen, ich zuckte mit den Schultern und wickelte mich fester in mein Handtuch.

Fünf Minuten später stand ich mit immer noch nassen Haaren vor meinem Kleiderschrank und überlegte was ich anziehen sollte. Es waren draußen -3 Grad Celsius und es sollte noch im Laufe des Tages noch schneien, was es nicht wärmer machen würde. Mit einem Seufzen suchte ich mir Unterwäsche heraus und zog sie an zusammen mit einer langen Unterhose. Ich wählte ein Shirt mit dreiviertellangen Ärmeln und einen von innen gefütterten schwarzen Hoodie mit General Grievous Aufdruck. Im gemeinsamen Familienbad lief immer noch die Dusche, meine eigene Dusche neben meinem Zimmer war kaputt und noch kein Handwerker war bestellt worden. Das schon seit dem Sommer, mein Vater fand irgendwie keine Zeit dazu.

Nach einem Frühstück mit Rührei und Brötchen machte ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Bahnhof und nahm den Zug nach Braunschweig und von dort aus zum Weihnachtsmarkt. Ich war die erste am vereinbarten Treffpunkt unter der riesigen Pyramide die sich langsam im Kreis drehte und musste in der Kälte warten. Mia war als erste da und schloss mich in die Arme, Mira schrieb uns allerdings, dass sie im Weihnachtsstau standen und wir ihr schonmal eine Bratwurst oder so kaufen sollten. Mia war seit dem Sommer allerdings Vegetarierin und kaufte sich nur eine Packung gebrannte Mandeln, während ich zwei Bratwürste kaufte und mich nach einem Geschenk zu Weihnachten für die neue Freundin meines Vaters umsah.

Am Ende entschied ich mich für eine Art Tonfigur die bunt bemalt war und nach meinem Empfinden ziemlich hübsch war. Erst dann stießen Mira und ihr Vater zu uns. Ich gab Mira ihre Bratwurst und wir liefen weiter über und versuchten Miras Vater irgendwie loszuwerden. Wenn er einmal da war, wollte er seine Tochter nie alleine lassen, allerdings hatte er Höhenangst, was wir dreist ausnützten. Wir nahmen das Riesenrad mit und kauften uns gleich zwei Fahrten, damit wir uns in Ruhe und vorallem alleine unterhalten konnten. Ihr Vater blieb unten zurück, er wusste nichts davon, dass ich Trans war, es war wahrscheinlich auch besser so, er war mit meinem Vater befreundet und der sollte nichts davon erfahren.

Am späten Nachmittag brachte Miras Vater uns alle nach Hause und setzte mich direkt an der Kirche ab, deren Glocken schon zum ersten Weihnachtsgottesdienst um halb fünf riefen. Meinen Vater traf ich vor der Kirche wieder: „Da bist du ja endlich, war so viel Stau auf dem Weg zurück?" Ich nickte und nahm das Heft von einer Gottesdiensthelferin entgegen, bevor wir uns ins Innere der Kirche bewegten. Britta hatte uns zwei Plätze freigehalten und winkte uns ungeduldig heran: „Ist ja schon gut, wir haben noch fünf Minuten." Mein Vater sah auf sein Handy und seufzte, es war 16:27 Uhr also noch ein bisschen Zeit bis wir aufpassen mussten. Die Orgel begann zu spielen und der Gottesdienst samt Krippenspiel begann.

Der Gottesdienst ging zu Ende und das Frohe Weihnachten wünschen ging lustig los, mein Vater umarmte mich lange und fest. Nachdem wir uns verabschiedet hatten liefen wir zum Auto von Britta das etwas abseits von unserem Haus stand und fuhren zu dem Friedhof auf dem Sola lag. Ich setzte mich in den Schnee und legte eine Kerze vom Weihnachtsmarkt zwischen die Blumen: „Frohe Weihnachten Schwesterherz." Erst als auch mein Vater sich verabschiedet hatte, fuhren wir nach Hause zurück und mein Vater machte sich daran das Weihnachtsessen zu kochen. Es gab traditionell Rinderbraten mit Spätzle und Rotkohl, den er schon vor dem Gottesdienst kochfertig gemacht hatte. Den würde es nach der Bescherung geben.

Mein Vater konnte Klavier spielen und spielte einige Weihnachtslieder, zu denen wir sangen, auch wenn es in meinem Fall eher widerwillig war. Das Auspacken ging dagegen schnell, ein Spiel für die Nintendo Switch, die immer noch in Solas Zimmer stand, ein paar Bücher und zwei neue Pullover, das war es schon. Aber Britta freute sich über meine Tonfigur.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt