Kapitel 49 Schatten|TW Suicide

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Die nächsten Tage waren für mich immer derselbe Ablauf, morgens zur Schule, teilweise mit Klausuren und bis in den Nachmittag Unterricht. Nachmittags wechselte sich Training mit endlosen Stunden die ich nur im Bett lag ab, einige Narben zierten mittlerweile meinen Unterarm und Mia schien immer mehr den Verdacht zu schöpfen, dass ich mich nicht nur mich an einem Karton geschnitten hatte. Aber sie sagte nichts, ich bekam nur ihre skeptischen Blicke zu spüren, wann immer sie den Verband an meinem Unterarm sah. Ich ignorierte sie so gut wie es mir eben möglich war was das anbetraf, was mit Mia nicht allzu schwer war. Sie schwieg es einfach aus, wartete, bis ich selbst etwas sagte, das war zumindest meine Vermutung.

Von der Verhandlung mit meiner Mutter gab es immer noch keine Neuigkeiten, ich wusste nur, dass meine Mutter in der nächsten Zeit einen Job in ihrem alten Bereich begann. Mein Vater arbeitete immer noch in demselben Altenheim in Braunschweig wie zuvor, auch wenn sein Arbeitgeber im Moment wegen des Gerichtsverfahrens sehr skeptisch war. Aber er hatte ihn noch nicht gefeuert oder vom Dienst freigestellt, das war zumindest mein Wissensstand, der sich über einige WhatsApp Nachrichten belief. Das Gericht und das Jugendamt hatten aber den Beschluss nicht geändert, dass ich mit meinen 13 Jahren, nicht in den Streit einbezogen werden. Mein Vater war alles andere als begeistert davon und hatte auch schon mithilfe eines Anwalts die Scheidung von meiner Mutter eingereicht. Er wollte mit ihr genauso wenig mehr zu tun haben, wie mit Solas Tod.

Das Wetter meinte es jetzt im Mai allerdings nicht so gut mit uns, es gab immer wieder Gewitter und es regnete tagelang durch, zwei Trainings mussten deswegen auch ausfallen. Marie war mittlerweile offiziell im Verein und hatte auch ihr Fahrrad inzwischen in dem Wohnheim. Wir machten uns an dem Freitag, wo endlich wieder Training stattfand, es waren ja nur gut drei Kilometer bis zum Fußballplatz. Wir fuhren einfach nur schweigend nebeneinander her zum Training, es nieselte kräftig im, was sich aber auch nicht ändern sollte für den Rest des Tages. Zumindest sagte das der Wetterbericht meines Handys, den ich vor der Abfahrt zum Training gelesen hatte. Aber zumindest war der Platz wieder bespielbar laut Sabrina.

Das Training fuhr zumindest meinen Stress ein wenig herunter, es war immer noch mehr Wasserschlacht als Fußball und entsprechend war es anstrengend. Mit Schlammbespritzten Hosen und Schuhen machten Marie und ich uns wieder auf den Rückweg, in Maries Haaren klebte eindeutig auch Schlamm. Meine Haare konnte ich selbst ja nicht sehen, ich beschloss trotzdem einfach sobald wir in der Gruppe waren duschen zu gehen. „In deinen Haaren klebt Schlamm", merkte ich hilfreich an, als wir an einer Ampel hielten. „Ach und in deinen etwa nicht", Marie pflückte einen Klumpen Schlamm aus meinen Haaren, die mir mittlerweile, bis zum Kinn reichten. „Kein Wunder nach dem vielen Regen", ich wischte mir die immer noch ungewohnt langen Haare wieder hinter die Ohren: „Geh du zuerst duschen, bei mir ists schon nicht so schlimm."

In der Gruppe zurück sprang Marie kaum, dass wir uns angemeldet hatten, unter die Dusche zu meiner Erleichterung. Ich tauschte meine nassen und dreckigen Sportsachen gegen eine saubere Jeans und ein blau-pinkes gestreiftes T-Shirt. Den Schlamm kämmte ich mir ein bisschen aus den Haaren und warf die Klumpen in meinen Mülleimer. Nach dem Duschen, wollte ich den Dreck nach draußen zur Restmülltonne bringen, Marie brauchte allerdings auch ein wenig um zu Ende zu duschen. Draußen kam der Regen wieder und trommelte gegen meine beiden Fenster, das riss meine Stimmung wieder mit in den Keller. Den Keller der Gruppe hatte das Wetter bisher unbeschadet überlebt, aber ob das so blieb war noch fraglich. Ich schnippte einen Erdklumpen noch von meinem Schreibtisch und suchte dann schon einmal mein Handtuch.

Marie war wenig später auch schon fertig, mit meiner Badehose in der Hand schlüpfte ich ins Bad und legte meine Kleidung auf den Toilettendeckel und streifte möglichst ohne nach unten zu sehen in meine Badehose. Die Dusche würde vielleicht meine Stimmung ein wenig heben, aber das stand bei meinen Problemen gerade sowieso unter Frage, vielleicht wäre es einfacher, wenn ich einfach in eine Psychiatrie könnte. Aber das war unmöglich, ohne mit meinen Eltern darüber zu kommunizieren und die sahen keinen Grund, dass ich irgendwelche Probleme hatte. Es existierte nicht, jegliche Versuche das Thema anzuschneiden, waren sofort unterbunden worden. Es hatte nichts gebracht bisher, es stresste mich unheimlich, einfach keine Möglichkeiten zu haben, mir helfen zu lassen Hormone konnte ich quasi vergessen.

Die männlichen Hormone sorgten bei mir dafür, dass sich gerade bei mir Behaarung vermehrt bildete. Immerhin hatte es bisher weder für den Stimmbruch noch für Bartwuchs gesorgt, Julius machte mir dabei allerdings Angst. Er war gerade einmal ein paar Monate älter als ich und bei ihm begann gerade der Stimmbruch, auch wenn die Betreuer sagten, dass er in dem Punkt ziemlich früh war und ich sicher noch mehr Zeit hatte. Aber sicher ob ich ihnen in diesem Punkt glauben konnte, wusste ich nicht wirklich, aber zum Googeln war ich auch zu feige. Ich wollte die Wahrheit nicht wirklich wissen, in Biologie hatte ich nicht wirklich zugehört, als wir in der sechsten Klasse darüber gesprochen hatte. Aber die Hoffnung ließ mich dann doch nicht wirklich los.

Die Dusche brachte zumindest ein bisschen auf andere Gedanken, zumindest solange bis ich mich wieder anziehen musste. Das beendete meine kurzzeitige Hochphase augenblicklich, alleine mich selbst zu berühren war schon schlimm genug. Aber das reichte immer noch nicht, um es meinen Eltern erklären zu können ohne sie zur Weißglut zu bringen. Ich schlurfte zurück in mein Zimmer und legte mich auf den Rücken auf meinem Bett, die Zimmerdecke hatte ein entspanntes Muster. Draußen nieselte es immer noch, meine Fenster hatten Wasserspritzer, damit konnte ja der Sommer beginnen. Erinnerungen an Sola kamen hoch, ich vermisste sie immer mehr und hatte das plötzliche Bedürfnis zu ihrem Grab zu fahren. Es regnete zwar immer noch, aber ich hatte ein Regencape und eine Wasserdichte Jacke.

Der Stein an Solas Grab schimmerte Regennass, es war kein Moos darauf gewachsen, irgendjemand musste ihn freigehalten haben. Ich hatte nicht einmal neue Blumen dabei, um das Grab zu verschönern, lediglich eine neue Grabkerze aus der kleinen Kapelle konnte ich kaufen und in das Behältnis auf dem Grab stellen. Ein Feuerzeug gab es ebenfalls in der Kapelle, das reichte schon, behutsam stellte ich die Kerze auf eine freie Stelle zwischen die Pflanzen. Der gelbe Schein der Flamme tanzte leicht über die Pflanzen am Grab. Eine seltsame Ruhe überkam mich, so als wäre es nicht so schlimm, was in meinem herumspukte seit Tagen. Es war nicht so schwer meine Pläne eigentlich umzusetzen, aber anscheinend war das jetzt mein Punkt um das alles zu beenden.

Vom Friedhof war es nicht mehr weit bis zu den Stahlwerken, die mein endgültig letzter Halt sein sollten. Auf der Fahrt dahin begegnete mir zumindest niemand, den ich kannte.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt