An einem Freitagnachmittag im Mai war das erste Mal, dass mein Vater mich besuchen kommen durfte. Es war allgemeiner Besuchstag, Elian war auch da, er sollte am Wochenende Probe zu Hause haben. Aber er war nicht alleine, sondern mit einem Jungen aus einem anderen Zimmer da, der zwar nicht bleiben durfte, aber ganz in der Nähe wohnte. Ich saß mit den beiden Jungs und Marie im Wohnzimmer, wo sich Julius, Tina und die anderen drei Bewohner hin verkrochen hatten wusste ich nicht. Um drei begann die Zeit, es war schon fünf nach drei, aber keiner war bisher bis in das Wohnzimmer vorgedrungen. Draußen strahlte die Sonne durch die Fenster und eigentlich hatte ich vor heute noch mit Marie laufen zu gehen, so wurde das allerdings nichts.
Auch um zwanzig nach drei war noch niemand da und so langsam hatte ich auch keine Lust mehr darauf zu warten, dass sich jemand hierher bemühte. „Ich gehe hoch", ich stand auf und lief nach entsprechend in mein Zimmer, mein Vater wollte wohl doch nicht kommen. Ich warf mich rückwärts auf mein Bett und sah auf mein Handy, mein Vater hatte mir keine Nachricht geschrieben. War ja auch klar gewesen, er hatte keine Lust in die Gruppe zu kommen, er war soweit ich wusste mal wieder in einer Beziehung und gefühlt war ich ihm sowieso schon egal gewesen. Wozu hatte ich den Aufwand betrieben mir überhaupt etwas vernünftiges anzuziehen? Ich trat mit Schwung gegen meinen Schrank, es tat fürchterlich weh, aber es half meine Gefühle wieder in den Griff zu bekommen.
Gerade als ich mir frustriert Sportsachen anziehen wollte, klopfte es an meiner Tür und Frau Bach stand vor meiner Tür: „Dein Vater ist da." Mit einem Seufzen zog ich mir mein T-Shirt wieder vernünftig über den Kopf: „Fast ne dreiviertel Stunde zu spät." „Hörs dir selber an wieso", Frau Bach hörte auf sich gegen meinen Türrahmen zu lehnen: „Arbeitsleben ist halt nicht unbedingt einfach." „Ich weiß", ich steckte meinen Zimmerschlüssel ein und lief aus meinem Zimmer: „Aber das ist ja nicht dauernd." „Das stimmt auch", Frau Bach sah zu, wie ich meine Tür abschloss und den Gang entlang zu Treppe schlurfte. Mein Vater wartete unten an der Treppe und umarmte mich, kaum dass ich unten war: „Tut mir leid, dass ich zu spät bin."
Wir gingen aus der Gruppe, die Straße hinunter zu einer Eisdiele, wo mir mein Vater unbedingt das Eis ausgeben musste. Während des Essens schwiegen wir allerdings die meiste Zeit, ich erzählte nur kurz von der Schule in der meine Noten immer besser wurde, die Lehrer waren zufrieden mit mir. Dass ich im Mädchentrakt wohnte erzählte ich einfach nicht, dass war ja auch einfach irrelevant, ich erwähnte nur, dass ich mit Marie in Nachbarschaft wohnte, warum war ja egal. Meinen Vater interessierte es sowieso nicht, aber mich mitnehmen ging auch nicht, die Gerichtsverhandlungen zogen sich, da nichts bewiesen oder widerlegt werden konnte. Ich sollte allerdings immer noch da rausgehalten werden, das trieb allerdings meinen Stress in unerwartete Höhen, weswegen ich zusah, dass der Termin zu Ende ging.
Am Abend zog allerdings eine Gewitterfront über uns hinweg, worauf das Laufen ausfiel, was Marie und ich auf Morgen früh verschieben wollten. „Dann ist das halt so", entschied ich, als wir uns zusammen auf den Weg zum Abendessen machten. „Dann ist das so", Marie lief in die Küche, wo schon Tina und Julius über irgendwas auf Julius Handy. Julius warf mir einen tödlichen Blick zu, als wir uns hinsetzten und auf den Rest der Bewohner warteten. Julius Blick war mir egal, sein nächster Kommentar dann allerdings nicht mehr: „Wusstest du eigentlich, dass dieses Gör da eigentlich ein Junge ist?" „Und", Marie goss sich weiter konzentriert Wasser ein: „Das ist doch ihre Sache und nicht deine." Ihre Augen sprachen dabei allerdings eine andere Sprache.
Nach dem Abendessen stellte sie mich in ihrem Zimmer dann doch zur Rede: „War wohl nicht so wichtig, dass du mir das erzählen musstest? Immerhin sind wir befreundet." Sie stellte sich absichtlich vor ihre Zimmertür, damit ich nicht einfach vor dem Gespräch abhauen konnte. Sie kam mir auf einmal viel erwachsener als 13 vor, mehr wie 16 oder 17 und ich atmete ein paarmal tief durch, bevor ich antwortete. „Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der LGBTQ+ schon ein verbotenes Wort ist, glaubst du da kann ich mit jedem einfach so drüber reden?" Marie stieß die Luft aus, ihre grünen Augen blitzten: „Hab ich nicht mehrfach deutlich gesagt, dass ich nichts gegen LGBTQ+, Transgender oder sonst was habe?" Ich nickte worauf sie die Augen verdrehte: „Siehst du? Du ergibst ernsthaft teilweise keinen Sinn merkst du das?"
Nach einer ausführlichen Audienz bei Marie verkroch ich mich einfach nur in mein Bett und schrieb eine Nachricht in die Transgruppe. Ich habe endlich mal jemanden gefunden, der nicht auf mir rumhackt, weil ich es verheimlicht habe, oder was gegen Trans* hat. Luan schien darüber irgendwo am Glücklichsten, er hatte sich eng mit Sola angefreundet in der Zeit in der sie in der Gruppe gewesen war. Er schrieb zwar nicht viel zurück, außer dass er sich für mich freute, aber sein Verhalten mir gegenüber tat den Rest. Er schrieb mir sobald ich etwas schrieb, wie es mir ging und ähnliches und hatte eigenhändig einen selbstbemalten Stein auf Solas Grab gebracht, als ich dagewesen war.
Samstagmorgen jagte mich Marie mit Klopfen aus meinem Bett, sie wollte unbedingt Laufen gehen. Ich zog mir rasch ein Sporttshirt und eine dreiviertellange Hose an und schlüpfte in meine Laufschuhe. Marie wartete schon ungeduldig draußen vor dem Haus: „Ich habe uns schon abgemeldet." „Gut", ich joggte los, Marie war mir dicht auf den Fersen: „Wo wollen wir eigentlich heute lang laufen?" „Keine Ahnung", Marie holte mich ein und trabte locker neben mir her: „Da wo Okay", willigte ich schlicht ein und bog direkt nach rechts ab, wo wir fast in Elian und seinen Kumpel hineinrannten, die unterwegs zum Bäcker waren. Der Bäcker war noch ein paar Meter in die Richtung aus der wir gekommen waren.
Zurück in der Wohngruppe waren inzwischen mehr Leute wach, wobei wir direkt Julius schlechte Laune wieder abbekamen. Er rammte mich einfach beiseite als er die Treppe hinuntertrampelte wir gerade lustig sind?" „: „Sag mal spinnst du", brüllte Marie ihm hinterher und Julius brüllte etwas Unhöfliches zurück, das sich auf die Herkunft von Maries Familie bezog. „Idiot", ich zog Marie weg bevor sie ebenfalls beleidigend werden konnte: „Der wird's eh nicht lernen, dass man das nicht macht." Marie zuckte leise schimpfend mit den Schultern, aber folgte mir in den Mädchentrakt und verschwand in ihrem Zimmer. Ich zog mich um, ein rotes T-Shirt und normale Jeans, heute war Konfirmandenunterricht, wie jeden zweiten Samstag. Ich aß also auswärts zu mittag und musste auch schon in einer Viertelstunde los, es war mittlerweile halb zehn und ich fuhr auch wirklich die Viertelstunde.
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Schatten der Vergangenheit
Подростковая литература,,Warum machst du einen Unterschied zwischen einem Mädchen und einem Jungen?" Klischees sind ein Problem, dass der 12jährige Carlos von einer ganz anderen Seite kennt. Gibt es einen Ausweg? Vorgeschichte zu: Ein Licht in der Dunkelheit Diese Story...