Kapitel 46 Kampf

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Geschichtsklassenarbeit, Thema Französische Revolution, gelernt hatte ich dafür, aber die Fragen gaben mir ein wenig den Rest. Ich kritzelte einfach irgendwas auf mein liniertes Papier in der Hoffnung zumindest keine fünf dafür zu kriegen. Um mich herum raschelte Papier, Stifte kratzten und irgendjemand rollte seinen Stift über den Tisch, das Klappern nervte. Es riss mich immer wieder aus meiner Konzentration und ich fluchte innerlich, die Arbeit sowieso schon schwer genug. Ich drehte die Kappe meines Füllers zwischen meinen Fingern, sorgsam bedacht darauf die Kappe nicht fallen zu lassen. Wir hatten noch zwanzig Minuten und ich hatte noch eine Aufgabe zu erledigen, wir sollten eine Argumentation aufstellen. Nach einer Weile denken flog dann allerdings auch mein Stift über das Papier, gerade noch rechtzeitig.

Nach der Arbeit flüchtete ich auf die Toilette, um nicht über die Inhalte davon diskutieren zu müssen. Draußen goss es aus Kübeln, kaum war Ostern vorbei machte der April was er wollte. Ostersonntag und Montag war es noch so warm und schön gewesen, dass ich im T-Shirt rumgelaufen war. Mara war Ostersonntag tatsächlich in die Gruppe gekommen, um ein paar Formalitäten zu klären, ein paar Sachen noch zu holen und mit einem halbwegs vertrauten Umfeld Ostern zu feiern. Sie hatte in der Psychiatrie auch Unterricht, aber da auch Handyverbot, damit sie sich darauf konzentrieren konnten. Ich kam erst zum Ende der Pause wieder hinaus und lief zu unserem Klassenzimmer für die letzte Stunde des Tages, Mathe. „Geschichte war so kacke", brummte Mia genervt: „Das hatte doch nichts zu tun mit dem was wir gemacht haben."

Was das anbetraf, waren wir uns alle einig, aber in Mathe half das wenig, in der nächsten Stunde schrieben wir da nämlich die Klassenarbeit über Lineare Funktionen. So richtig konzentrieren konnte ich mich dabei allerdings auch nicht, ständig kreisten meine Gedanken darum, was bei mir eigentlich alles falsch lief. Ich konnte mich schlecht konzentrieren, schlief schlecht und war von allem und jedem ständig gestresst und gereizt. Das trug nicht unbedingt zur guten Stimmung in der Gruppe bei, zumal bald eine neue Bewohnerin einziehen sollte. Wie sich zurück in der Gruppe herausstellen sollte, doch plötzlich direkt heute und nicht erst zum Wochenende. Frau Timmerlahn und Herr Müller rannten aufgeregt durch die Gegend, Tina bastelte an einem Willkommensschild.

Die neue Bewohnerin kam nur eine halbe Stunde später, sie war ähnlich wie ich dreizehn, hatte lange, rotbraune Haare und grüngoldene Augen. Sie war unbeschreiblich hübsch wie Julius direkt feststellte, ohne überhaupt ihren Namen zu kennen, wir beobachteten sie von der Küche aus, während sie von Frau Timmerlahn zum Eingang gebracht wurde. „Die gehört mir", zischte Julius mich an: „So ein Mädel gibt's nicht noch einmal, wag es ja nicht ihr zu nahe zu kommen." Ich verdrehte einfach nur wortlos die Augen und lief nach unten, um den Betreuern zu helfen, die dem Mädchen gerade die Koffer abnahmen. „Das ist Luna eine neue Mitbewohnerin von dir", stellte Frau Timmerlahn mich vor und drückte mir einen der beiden großen Koffer in die Hand.

Das Mädchen stellte sich als Marie vor, sie zog in das Zimmer neben meinem und verstand sich ziemlich schnell gut mit Tina und mir, während wir noch zu Mittag aßen. Zu Julius schien sie aber permanent eine gewisse Distanz wahren zu wollen, was diesen ziemlich frustrierte. Besonders als sie sich zu mir wandte, auf meinem Pullover war das Logo meines Vereins gedruckt, wir hatten den zu Ostern geschenkt bekommen: „Was für einen Sport machst du?" „Fußball", ich drehte abwesend meine Gabel mit einem Stück Schnitzel in der Hand: „Schon seit ich fünf bin oder so." „Oh nice", Marie legte ihre Gabel beiseite: „Kann man bei euch irgendwie einsteigen oder zum Probetraining oder so?" „Ich kann mal fragen", ich schob mir das Stück Schnitzel in den Mund: „Die werden wohl kaum nein sagen."

Gesagt, getan, ich schrieb Sabrina direkt eine Nachricht über WhatsApp und fragte sie, ob ich heute Abend jemanden mit zum Training bringen durfte. Sie stimmte direkt zu und fragte auch nach, ob sie Fußballschuhe mitbringen sollte, die Marie allerdings selbst besaß. „Um 18 Uhr dann", meinte ich zu der Rothaarigen, die auf der anderen Seite des Küchentisches saß: „Wir fahren dann mit dem Bus, nehme ich an? Du hast ja kein Rad hier." „Jap, aber ich habe ein Busticket", Marie räumte ihren Teller ab: „Also alles kein Problem, weißt du welchen Bus wir dafür nehmen müssen?" „Jap", ich sammelte meinen Teller auf und stellte ihn zu ihrem in die Spülmaschine: „Der hält 200 Meter von hier entfernt, das passt."

„Schön, dass du dabei bist, Marie richtig", Sabrina gab Marie die Hand und lächelte als diese nickte: „Hast du schonmal Fußball gespielt?" „Jap", Marie spielte nervös mit dem Ärmel ihrer Sportjacke: „Zuletzt Ende Februar, allerdings nicht hier in Niedersachsen, hab da noch in Hessen gewohnt." „Das macht keinen großen Unterschied", Sabrina führte uns zum Kunstrasenplatz: „Hier kannst du gerne zumindest schonmal auf Probe spielen. Spielerpässe und so kriegen wir dann gegebenenfalls auch organisiert." „Okay", Marie lächelte und schien etwas eingeschüchtert als sie sich dem Rest vorstellte, heute waren wir allerdings auch nur neun, wodurch sich nicht wirklich Teams für das Trainingsspiel am Ende formen ließen. „Wir würden dich gerne zum Probetraining einladen", erklärte Sabrina am Ende: „Das wären drei Termine, wenn du an einem davon krank bist, einfach Bescheid sagen."

„Du bist echt gut", meinte ich zu Marie, als wir zur Bushaltestelle liefen, sie lächelte mich kurz an: „Danke, du aber auch." „Danke", ich blieb an der Bushaltestelle stehen und legte meine Tasche auf die niedrige Mauer dahinter, der Bus kam erst in zehn Minuten. „Ich freue mich aufs Probetraining", meinte Marie daraufhin: „Ich find es toll, dass ich hier direkt die Chance auf eine Mannschaft habe." „Das ist doch gut", ich setzte mich auf die Mauer neben meine Tasche und sah auf mein Handy, Mara hatte mir eine Nachricht geschrieben. Ich habe mithilfe von einem Therapeuten hier einen Namen gefunden glaube ich. Das waren ja tolle Nachrichten weswegen ich sofort zurückschrieb Das ist echt cool, welchen hast du denn? Es entstand eine Pause, wir stiegen in den Bus, bevor Mara antwortete Elian.

Wir schrieben noch eine Weile hin und her, aber ich fand den Namen für ihn perfekt, auch wenn sich Maras Begeisterung noch ein wenig in Grenzen hielt. „Immerhin hat er jetzt einen Namen für sich", befand Frau Timmerlahn: „Den kann ihm keiner mehr nehmen." Ich beschloss ihn umzuspeichern, auch wenn ich seinen alten Namen auf Eigenwunsch noch in Klammern behielt. Mit einem zufriedenen Grinsen tappte ich zum Abendessen, es gab die Reste vom Mittagessen oder Brot. Marie quatschte sehr zu Julius Ärger die ganze Zeit mit mir und Tina und schenkte ihm nicht die erhoffte Aufmerksamkeit. „Ich bin froh endlich wieder im Verein zu spielen", meinte sie zu Frau Timmerlahn: „Die zwei Monate Pause waren zu lange." „Kann ich mir vorstellen", erwiderte die Gruppenleiterin nur: „Das ist schön, dass du dich so drüber freust."


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt