Solas Beerdigung fand an einem Mittwoch statt, es hatte über zwei Wochen gedauert, bis wir ihren Leichnam bekommen hatten. Die Polizei suchte verzweifelt nach Spuren des Flüchtigen, der sie ermordet hatte, sie hatten aber keine Ergebnisse bisher. Zwei silberne Wagen mit einem Blechschaden, der auf einen Unfall wie Solas hindeuten konnte, hatten sie gefunden. Der eine hatte aber einen Unfall mit seiner Garage vorweisen können und der andere hatte einen Tag davor einen Unfall mit einem Fahrrad gehabt, wo die Polizei auch Nachweise hatte, da dieser gemeldet worden war. Meine Hoffnungen waren gestorben, die meines Vaters anscheinend auch, er war in den zwei Wochen komplett in sich gekehrt und war viel mit seinen Freunden unterwegs.
Ich war von der Schule freigestellt worden, um in Ruhe trauern zu können, trotzdem kam ich nach drei Tagen wieder zur Schule. Zuhause zu sitzen und meinem Vater beim Ausräumen von Solas Zimmer zuzuschauen machte es nur noch schlimmer. Er brachte alles in einen Second-Hand Laden, wohl damit ich nicht auf dumme Ideen kam. Die Flaggen lagen aber immer noch in der Tonne auf dem Grundstück unseres Nachbarn, ich lief täglich mindestens zweimal hinüber, bis ich die Chance hatte sie Johanna per Paket zu schicken. Am Tag vor Solas Beerdigung, am 31. Oktober kam ein Paket an, Absender war Jasons Familie und ich war als Empfänger angegeben. Ich verzog mich rasch mit dem Paket in mein Zimmer und schnitt es mit meiner Schere auf.
Obendrauf lag ein Fotoalbum, vorne auf das Cover war ein Bild von Sola und mir vor dem Eisbärengehege im Zoo Hannover. Ich hatte es Jason damals mit einigen anderen Fotos geschickt, er musste es abgezogen haben lassen. Im Einband war in Regenbogenfarben „Beste Freunde für immer" geschrieben, darunter klebte ein Foto Jason, Johanna und mir an einem See, wo wir einen Segelkurs gehabt hatten. Das Fotobuch war voll mit Bildern von allem, was wohl Jason und Johanna an Bildern von uns hatten. Ich stellte es in mein Bücherregal inmitten meiner ganzen Sachbücher und alten Schulbücher, es fiel dort kaum auf.
Drei Briefumschläge hatten sich darunter versteckt, einer von Jason, einer von Johanna und einer von Johannas Eltern. Es waren Kondolenzkarten, das war mir bereits in der ersten Sekunde klar, sie schrieben so viel, über meine Schwester, über meine Familie über einfach alles. Sie waren auch teilweise an meinen Vater gerichtet, weswegen ich sie auch an meinen Vater weiterreichte und mich wieder in mein Zimmer zurückzog. Im Karton befand sich noch ein Rücksendeschein, mit dem ich die Flaggen weggeben konnte, zusammen mit ein paar Sachen, die ich in den letzten Tagen noch gerettet hatte. Eine Post lag auf meinem Schulweg, am Donnerstag konnte ich also den Karton einfach in meiner Sporttasche mitnehmen, wir hatten sowieso Sport.
Der Tag der Beerdigung kam viel zu früh, am Morgen weckte mich mein Vater um halb acht und legte mir meine Sachen wortlos vor die Füße. Einen schwarzen Anzug, samt Krawatte und ein weißes Hemd, alles davon war frisch gebügelt, ich besaß den Anzug seit Solas Konfirmation vor anderthalb Jahren. Er passte mir auf wundersame Weise immer noch, ich hatte ihn auch schon bei der Beerdigung meiner Oma getragen. Sie wurde kirchlich beerdigt, auf Wunsch meines Vaters, ich wusste nicht wirklich was ich eigentlich wollte. Meine Mutter wurde auch für die Beerdigung nicht aus der Psychiatrie entlassen, sie war immer noch zu suizidgefährdet. Wir mussten da zu zweit durch, meinem Opa hatten wir zur Sicherheit nichts erzählt.
Die Kirche war nicht stumpf in schwarz geschmückt, es waren ein paar von Solas Freunden gekommen, die Kirche war in grün und gelb geschmückt, Solas Lieblingsfarben. Der Sarg stand vor dem Altar, geschmückt mit Blumen und die Pfarrerin und der Organist begrüßten uns respektvoll. Zu meiner Überraschung platzten auch noch Mia und Mira herein, die hinter meinem Rücken von meinem Vater eingeladen worden waren. Es wurde Eingangsmusik gespielt, aber nicht irgendein Lied, sondern eines von Solas Lieblingsliedern, Heart of Courage von Two steps from hell. Es klang seltsam auf der Orgel, nicht so vertraut wie auf Spotify, aber es trieb mir die Tränen in die Augen. Mia legte mir den Arm um die Schultern, als der Gottesdienst begann.
Es wurden viele Kirchenlieder gespielt, aber immer wieder mischten sich auch Lieder aus Solas Playlist darunter. Sie klangen so fremd und fern, wie sie mir gerade war, mein Kopf lag auf Mias Schulter, sie strich mir immer wieder beruhigend über den Rücken in der Hoffnung mich zu beruhigen. Das Ende der Predigt kam mit einem Text der mich selbst überraschte: „Trauert nicht um jene, die ihr verliert, denket daran, sie sind immer bei euch. Nicht körperlich, aber in eurem Herzen, sie passen auf euch auf egal was geschieht und stehen euch bei, selbst in dunkelster Zeit. Verliert niemals die Hoffnung, sie sind im Himmel bei Gott und halten ihre schützende Hand über euch."
Der Sarg wurde zum Grab getragen von Solas Freunden, wir folgten ihnen schweigend, einige von ihnen waren selbst noch aus Osnabrück gekommen, obwohl sie mit in der Qualifikationsphase steckten. Schweigend wurde der Holzkasten in das Grab noch ohne Stein gelegt, der Steinbildhauer war noch nicht fertig, wir hatten allerdings auch lange gebraucht um einen Stein zu beauftragen. Ein provisorisches Holzkreuz zierte stattdessen das Grab. Auf dem senkrechten Balken stand ihr Name, Sola Schmitz eingeritzt, ihr Todestag, der 16. Oktober 2017 stand auf dem Querbalken. Auf dem Grabstein würde auch noch der Geburtstag stehen, der nicht auf das Kreuz gepasst hatte, welches nur provisorisch eingegraben war. Wir schütteten die Erde über den Sarg, während die Pfarrerin ein letztes Gebet sprach und ich sank auf die Knie.
Ich kniete immer noch dort als der offizielle Gottesdienstteil vorbei war, dass Mia immer noch da war merkte ich kaum. Ich kratzte in der frischen Erde herum, Blumen waren noch nicht gepflanzt worden, meine Fingernägel klebten schon voll mit dem dunklen Zeug. „Oh Gott", brachte ich schließlich heraus und sah zur Mittagssonne hinauf: „Warum musstest du mir das antun?" Ich erhielt natürlich keine Antwort vom Himmel, aber Mia kniete sich schweigend neben mich und reichte mir ein Taschentuch: „Luna, du musst aufstehen, du holst dir den Tod." Sie zog mich gegen meinen Protest auf die Beine und klopfte mir die nasse Erde von der Hose, bevor sie mich wegführte in Richtung des Autos ihres Vaters.
Ihr Vater schloss mich wortlos in die Arme und ließ mich gefolgt von Mia einsteigen, er schwieg eine Weile: „Dann bringe ich dich wohl besser nach Hause was?" Ich zögerte und Mia nahm meine Hand in ihre: „Möchtest du mit zu mir, ich bin von der Schule freigestellt worden, weil ich ja offiziell eingeladen worden bin. Mira muss wegen ihrer Mutter wieder hin, die will nicht, dass sie irgendwas vom Unterricht verpasst." Ich nickte schwach und der Vater meiner besten Freundin warf mir einen verständnisvollen Blick zu bevor er an der nächsten Ampel wendete und zurückfuhr in Richtung der Wohnung von Mias Familie.
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Schatten der Vergangenheit
Fiksi Remaja,,Warum machst du einen Unterschied zwischen einem Mädchen und einem Jungen?" Klischees sind ein Problem, dass der 12jährige Carlos von einer ganz anderen Seite kennt. Gibt es einen Ausweg? Vorgeschichte zu: Ein Licht in der Dunkelheit Diese Story...