Kapitel 21 Urlaub

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Die Sommerferien rückten immer näher, bisher hatten meine Eltern noch nichts zu irgendwelchen Plänen für unsere Ferien gesagt. Meine Mutter hatte allerdings schon ihren Urlaub in den Kalender eingetragen, wann mein Vater welchen hatte, wusste ich allerdings nicht. Am 22. Juni gingen die Ferien dann schon los, bei mir war ziemlich klar, dass ich in die siebte Klasse mit einem guten Zweierschnitt versetzt werden würde. Sola war auch glatt versetzt, aber bei ihr war es noch lange strittig, was für Kurse sie für die Oberstufe wählen würde. Am Ende standen bei ihr Biologie, Physik und Deutsch als Leistungskurse fest. Ich war froh, dass ich mir darüber keine Gedanken machen musste, zumindest jetzt noch nicht, das würde noch fünf Jahre dauern, nachdem Solas Jahrgang der letzte Jahrgang im G8 war.

Der letzte Schultag kam rasch, davor fanden noch die letzten Chancen für zwei Schüler statt, um doch noch in die siebte Klasse versetzt zu werden. Die ersten beiden Stunden waren für einen Film und ein Frühstück verbucht bei uns, mit unserer Klassenlehrerin Frau Tielaken. Vermutlich waren das unsere letzten Stunden mit ihr, nächstes Jahr würden wir einen neuen Satz Lehrer bekommen. Als die letzte Pause des Schuljahres vorbei war kam unsere Klassenlehrerin auch schon mit einem dicken unter dem Arm. „Zeugnisse", sie legte den Ordner auf das Pult und sah in die Klasse: „Eure Zeugnisse werde ich euch in Alphabetischer Reihenfolge aushändigen. Das Wichtigste ist dabei aber, dass ihr alle versetzt werdet in die siebte Klasse."

Die Erleichterung darüber war den meisten ins Gesicht geschrieben, dann begann aber auch schon die Zeugnisausgabe. Ich war in der Klasse ziemlich weit hinten erst dran und begutachtete Mias Zeugnis schonmal, sie war als eine der ersten dran gewesen mit dem Nachnamen Diemann. Dann endlich wurde ich von meiner Klassenlehrerin nach vorne gerufen und bekam mein Zeugnis überreicht. Carlos Jason Schmitz, geboren am 7. Januar 2005 in Osnabrück stand oben drauf und darunter meine Klassenbezeichnung. Mein Zeugnis bestand aus einer Menge zweien und je einer drei in Sport und in Kunst. Das glich sich mit meiner eins in Englisch und Französisch aus und machte daraus einen glatten Zweierschnitt.

„Gib mal her", Mia angelte sich quer über den Tisch mein Zeugnis und warf einen neugierigen Blick darauf, bevor sie mir ihres zuschob. Bei ihr stapelten sich so einige Dreier auf dem Zeugnis die mir erspart geblieben waren, aber ihre eins Kunst war schonmal eindeutig besser als meine drei in dem Fach. Mia gab mir mein Zeugnis wieder, ich schob es vorsichtig in meine mitgebrachte Klarsichtfolie und heftete es hinter mein Zeugnis aus dem ersten Halbjahr der sechsten Klasse. Ich blätterte die Seite zurück und betrachtete das alte auf anderem Papier gedruckte Zeugnis. Meine alten Noten waren auch tatsächlich miteinbezogen worden in mein Zeugnis, mein alter Schulleiter hatte die Bewertungen übertragen lassen. So wirklich hatten sich meine Noten nicht verändert, abgesehen davon, dass meine zwei in Französisch noch eine eins geworden war.

Mit meinem Zeugnis verließ ich um halb elf das stickige Schulgebäude und verabschiedete mich von Mira, bevor ich mit Mia vom Schulhof fuhr. Mira wurde von ihrem Vater vor dem Schuleingang nämlich schon von ihrem Vater, einem herrisch wirkenden Mann erwartet. „Habt ihr was in den Ferien vor", fragte ich meine neue beste Freundin, während wir aus der Stadt fuhren. Mia hielt an einer roten Ampel: „Wir fahren zehn Tage nach Dänemark, meine Mutter will sich unter anderem Kopenhagen intensiv anschauen. Ich habe da nicht so wirklich Lust drauf, aber wenigstens sind wir nicht die Ganze Zeit zu Hause und ihr?" Ich stieß mich vom Boden ab, als die Ampel grün wurde und fuhr langsam wieder los: „Wir haben tatsächlich nichts vor, wegen meiner Großeltern wahrscheinlich. Die und lange Reisen sind eher schwierig im Alter."

Wir unterhielten uns noch länger, bis ich schließlich in eine andere Richtung abbiegen musste. Am Haus meiner Eltern war ich umso überraschter, dass ein dunkelblauer VW-Bus in unserer Auffahrt stand. Ich schloss mein Fahrrad in den Schuppen und sperrte die Haustür auf, mein Vater hatte Spätdienst und war noch zu Hause. Ich legte meine Zeugnismappe auf den Küchentisch und nahm mir ein Glas Apfelschorle. Mein Vater rumorte währenddessen im zweiten Stock und saugte hörbar oben sein Schlafzimmer, unüberhörbar das Parkett. Sola war noch nicht da, hatte sich aber mit Mitschülern zum Shoppen verabredet und ein Foto von dem Zeugnis in den Familienchat. Ihr Zeugnis war wie zu erwarten fast ohne Ausnahme voller Einsen.

Erst am Abend klärte meine Mutter auf, warum ein VW-Bus in unserer Einfahrt stand, sie goss sich eine Tasse Tee ein und machte es sich bequem. „Euch ist ja schon der VW-Bus in unserer Auffahrt aufgefallen", Sola nickte aufmerksam: „Wir haben vor mit euch in den Urlaub in die österreichischen Alpen zu fahren. Meine Eltern müssen natürlich auch mit, sonst ist unser Haus hinterher ein Haufen Schutt und Asche. Heißt wir werden in zwei Tagen fahren, erst bis nach Nürnberg und dann den Rest am zweiten Tag." Sie machte eine Pause und kramte in ihrer Handygalerie nach einem Foto von dem Hotel in dem wir zehn Tage verbringen würden.

Wir erfuhren auch, dass wir keine langweiligen kleinen Spaziergänge machen würden mit meinen Großeltern, sondern würden in einer Art Camp mitmachen würden. Ich schickte Mia Fotos in unseren Freundeschat und eine Bildbeschreibung für Mira, welche daraufhin Bilder von ihrem Flieger in die USA schickte, in dem sie schon saß. Die Bilder hatte laut ihr, ihr Bruder gemacht, was auch für die Bildqualität sprach. Wir würden noch eine Woche zuhause sein und ich verabredete mich mit Mia für den nächsten Morgen am Bahnhof. Wir wollten einen Zug nach Braunschweig nehmen und dort zum einen ins Kino gehen und zum anderen uns auch in den Läden umschauen. Vielleicht fand sie ja auch das ein andere Top oder T-Shirt für ihren Urlaub in vier Tagen.

Sola trampelte kaum, dass ich das in die Familiengruppe geschrieben hatte, in mein Zimmer hinein. „Hast du vor Mia endlich zu erzählen, dass du dich als eine Frau fühlst?" Ich seufzte, ich kannte Mia seit über zwei Monaten und sollte ihr wahrscheinlich zumindest ein bisschen vertrauen. Vorallem nach einer der letzten Stunden Religion im Schuljahr. Wir hatten darüber diskutiert, ob es ethisch richtig war Jugendlichen Hormone zu geben, die sich nicht mehr rückgängig machen ließen. Sie hatte vehement auch gegen unsere Religionslehrerin argumentiert, als diese Pubertätsblocker angeführt hatte. Die Jugendlichen waren da schon mindestens 14 und keine fünf mehr, hatte sie angeführt, sie konnten selbst abschätzen, ob sie mehr wollten wussten sie unabhängig vom Alter.

„Weiß ich doch nicht", gab ich zurück: „Es ist wahrscheinlich besser, sie hat sich schon für Transgender ausgesprochen. Aber die Angst vor Zurückweisung ist auch da." Sola schwieg lange: „Du kannst es ja Morgen so ein bisschen anstupsen, wenn ihr shoppen seid." „Ich versuche es", ich umarmte sie lange: „Vielleicht klappt es ja."


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