Kapitel 4 Ausweichen

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Samstag, der perfekte Tag, um einfach einmal auszuschlafen, allerdings nicht, wenn die Eltern einem die Klischees aufdrängen. Jungen müssen Fußball spielen lautete die Devise meiner Eltern, ich konnte Fußball spielen, war sogar ziemlich gut und fühlte mich dennoch unwohl inmitten der vielen Jungen in meiner Mannschaft. Samstags früh um acht aufstehen, damit man um neun auf dem Platz stand, war allerdings nicht die Idee meiner Eltern gewesen, sondern die des Trainers, der sich auf 10 Uhr Punktspielbeginn mit dem Trainer der Gegner geeinigt hatte.

Dementsprechend raffte ich mich gähnend um kurz nach acht aus meinem Bett auf und tappte in das Bad, das Kleid meiner Schwester hatte ich sorgfältig an meinen Kleiderschrank gehängt. Nachdem sich die Überreste meines Essens von gestern aus mir verabschiedet hatten, tappte ich zu meinem Kleiderschrank und nahm mir Unterwäsche und eine saubere Jeans aus dem Schrank. Das T-Shirt und der Pullover von gestern stanken noch nicht, weswegen ich sie mir gleich wieder überzog und in die frische Jeans schlüpfte. Es klopfte an meiner Zimmertür und Sola spähte herein: „Guten Morgen, ich habe ein paar Brötchen geholt, wenn du magst kann es Frühstück geben."

Das Frühstück verlief größtenteils schweigend bis Sola plötzlich fragte: „Hast du schonmal darüber nachgedacht wie du als Mädchen heißen wollen würdest?" Ich zuckte mit den Schultern: „Noch nicht wirklich, ich denke doch generell erst seit gestern gezielt drüber nach. Davor waren es nur Wünsche." „Das hat ja alles noch Zeit", Sola lächelte müde: „Du musst dich erstmal auf dein Punktspiel konzentrieren." Ich seufzte wieder: „Schön wärs, wenn das so einfach wäre, wenn einen der Trainer immer mit Jungs anspricht und das einem jedes Mal einen Stich versetzt." Meine Schwester schloss mich in die Arme und sah mir in die Augen: „Das schaffst du schon, euer Trainer weiß ja außerdem nicht, dass du dich damit nicht wohl fühlst. Ich würde es ihm auch noch nicht verraten, das wandert nur zu unseren Eltern."

So saß ich wenig später im Trikot unseres Dorfvereins in der Heimkabine, umgeben von meinen Mitspielern und dem einzigen Mädchen Lea. „So Jungs und Lea", Herr Müller unser Trainer schloss die Tür hinter sich: „Heute Spiel gegen den FSV, den Tabellenführer. Heißt voller Fokus darauf, dass wir hinten dicht halten und vorne draufschießen was das Zeug hält, dann verkürzen wir unseren Rückstand auf die Truppe deutlich." Er sah mit ernstem Blick in die Runde: „Wir fangen mit einer Viererkette an vor Carlos im Tor." Die Taktikbesprechung zog sich für mein Gefühl ewig und meine Magengegend zog sich mit jedem Mal, dass er mich Carlos nannte enger zusammen." „So und jetzt raus mit euch aufwärmen", scheuchte uns unser Trainer vor die Tür. Ich folgte langsam als letzte nach draußen.

Der FSV in schwarz wirkte fast siegessicher als sie sich uns gegenüber aufstellten, die meisten waren fast zwei Köpfe größer als ich, auch die beiden Mädchen, die in der Mannschaft mitspielten. Dann liefen die Gäste an uns vorbei, um abzuklatschen: „Viel Glück", wünschte mir der gegnerische Torwart mit einem ekligen Grinsen. Na das konnte ja schonmal spaßig werden, wenn schon der Schlussmann arrogant zu allen war an denen er vorbeilief. Der Schiedsrichter loste die Seiten aus und nur eine Minute später ging es los. Anstoß FSV das große dunkelhaarige Mädchen führte ihn schnell aus, etwas wovor uns Herr Müller auch ausgiebig gewarnt hatte.

Nach einer halben Stunde stand es immer noch 0:0, die Spieltaktik wurde gröber, Lea unsere linke Außenverteidigerin hatte in dem Moment einen Gegner an der Außenbahn gestoppt und lief die Linie mit dem Ball herunter. Sie legte den Ball in die Mitte ab, oder versuchte es zumindest, als ihr das dunkelhaarige Mädchen in die Beine rutschte. Der Schiedsrichter gab ihr fast augenblicklich die gelbe Karte, während Herr Müller und Phillip einer der Ersatzspieler aufs Feld gerannt kamen und der verletzten Lea halben vom Platz halfen. Wenig später nahm der Trainer der Gegner das Mädchen vom Platz.

In der Pause allerdings kam es nicht wirklich besser, Herr Müller hatte den Krankenwagen für Lea gerufen, die kaum auftreten konnte und deren Knöchel die Form eines Apfels hatte. „Das hätte rot geben müssen", schimpfte Phillip lauthals als der Krankenwagen samt Lea und ihrer Mutter das Gelände des Sportvereins verließ. „Da hast du recht Phillip", Herr Müller knallte die Tür zu: „Das wusste auch der gegnerische Trainer sonst hätte er sie nicht sofort runtergenommen. Mit der offenen Sohle gegen den Fuß ist schon echt etwas was ihr niemals machen solltet, wenn wir nicht in der D-Jugend wären, hätte das wahrscheinlich rot gewesen." „Aber", hob Phillip zum Protest an, doch unser Trainer unterbrach ihn: „Stell du dir mal vor, du dürftest mehrere Spiele nicht spielen, das ist in eurem Alter ziemlich beschissen."

Am Ende ging das Spiel 1:0 für uns aus, nachdem Phillip Leas Foul rächte und aus über 20 Metern unter das Lattenkreuz schoss. Er bejubelte das Ganze, indem er quer über den Platz rannte und: „Für Lea!", schrie. Herr Müller gab uns eine Runde Getränke und Würstchen aus von unserem Kiosk. Als wir gerade fertig waren, klopfte es an unserer Tür, Herr Müller öffnete. Vor der Tür standen die beiden Mädchen aus der gegnerischen Mannschaft: „Luna wollte sich entschuldigen." Das etwas kleinere Mädchen schubste die Dunkelhaarige nach vorne, sodass sie fast direkt vor mir stand und ich sie ziemlich detailliert betrachten konnte. „Es tut mir leid, dass ich eure Verteidigerin so brutal umgetreten habe", Luna sah schüchtern auf den Boden. Ihre Mitspielerin stieß sie an, doch sie reagierte kaum, deswegen fragte jetzt die andere: „Wie geht es ihr denn?" „Wissen wir noch nicht so genau", Herr Müller sah auf sein Handy: „Ihr Knöchel war nur extrem dick." „Oh, gute Besserung ihr", murmelte die andere Spielerin. „Wir sagen eurem Trainer eventuell was rauskam", unser Trainer lächelte schief und die beiden Mädchen verließen unsere Umkleide wieder.

Auf dem Weg nach Hause kam mir wieder das dunkelhaarige Mädchen in den Sinn, dass das andere Mädchen Luna genannt hatte. Luna bedeutete Mond, soweit reichten meine Sprachkenntnisse auch noch, Sola hieß Sonne. Sonne und Mond schoss es mir durch den Kopf, das wären eigentlich tolle Namen, Luna war durchaus ein schöner Name. „Gewonnen?", empfing mich Sola kaum, dass ich durch die Küchentür kam, es duftete herrlich nach Pfannkuchen im Haus. Ich ließ meine Tasche an der Treppe fallen: „Jup haben wir, eins zu null." „Gut dann Hände waschen, es gibt Essen", sie hob den Pfannenwender als ich zum Protest ansetzte: „Ab mit dir."

Wenig später saßen wir zu zweit am Esstisch und mampften still Pfannkuchen mit Zimt und Zucker und Apfelmus. Der Zimt und Zucker verteilte sich allerdings quer über den Tisch wo wir ihn beim anrühren aus Versehen verschüttet hatten. „War es denn heute okay mit dem Spiel und Herrn Müller?" Sola rollte ihre Pfannkuchen zusammen und schob ihn sich in den Mund und ich nickte: „Ich habe glaube ich einen Namen gefunden, den ich ausprobieren möchte. Ich bin lange genug meiner Identität ausgewichen jetzt möchte ich, ich selbst sein."


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt