Kapitel 9 Springen

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Meine Eltern fanden ein Gymnasium in der Stadt in der mein Vater aufgewachsen war, welches bereit war uns nach den Osterferien aufzunehmen. Der letzte Tag vor den Ferien rückte immer näher und war viel zu schnell für meinen und Solas Geschmack auch schon da. Der neunte April war mein letzter Schultag in der sechsten Klasse meiner alten Schule. Der Abschied von meinen Freunden war dagegen einfach nur schwierig, Johanna wollte mich gar nicht mehr loslassen und ich musste ihnen tausendfach versprechen sie zu besuchen. Dieser Apriltag spiegelte unsere Stimmung wider es nieselte kräftig auf unsere Köpfe, ich hätte mich am liebsten einfach in einen Bus gesetzt und wäre möglichst schnell nach Hause geflüchtet. Wenn man unser kleines Haus noch ein Zuhause nennen konnte, das meiste war schon in Kisten oder in unserem neuen Haus untergebracht. Dorthin fuhren wir zweieinhalb Stunden, meine Eltern waren in den letzten Tagen gefühlt mehr unterwegs als zuhause gewesen. Erstaunlicherweise hatte meine Mutter eine Stelle in der Psychiatrie dort bekommen und Altenpfleger wurden sowieso immer gesucht, weswegen sich mein Vater nicht so viele Gedanken darum machte.

Jason beschloss kurzerhand mit mir zu mir nach Hause zu fahren und meinen Eltern auf den Geist zu gehen, in der Hoffnung noch was ändern zu können, auch wenn es nichts brachte. Übermorgen würden wir mit den letzten, in Koffer gepackten Sachen auch in unser neues Haus zu fahren. Auf der Straße mit unserem Haus kam uns das Auto meiner Eltern mit meinen Eltern entgegen: „Das wars wohl mit deinem Versuch meine Eltern zu überzeugen." Jason seufzte: „Da hast du wohl recht und ich fahre ja morgen in den Urlaub und Übermorgen bist du weg." Er begleitete mich noch bis zur Haustür und umarmte mich zum letzten Mal: „Dann naja tschüss man sieht sich."

Wir quatschten noch eine Weile vor der Haustür bis mir zu kalt wurde und wir dann endgültig unserer Wege gingen. Ich musste noch meinen Koffer soweit es ging fertig packen, sodass ich nur noch Kleidung für die nächsten beiden Tage auf dem Boden meines Zimmers liegen hatte. Meinen ganzen neuen Kram hatte Sola auch schon eingepackt und der war teilweise schon in unserem neuen Haus. Meine Eltern mussten mit der Fuhre unsere Betten mitgenommen haben, meine Matratze lag einfach mitten im Zimmer. Meine Eltern hatten für Morgen einen großen Transporter gemietet, um die Matratzen ins neue Haus ohne ein Umzugsunternehmen zu schaffen. Die letzte Nacht würden wir auf Isomatten auf dem Boden verbringen, die man leicht mitnehmen konnten. Mein Kleiderschrank lag auch schon in seinen Einzelteilen, auch er würde Morgen mit in das neue Haus umziehen.

Am Wochenende war ich schon einmal mit im Haus gewesen und hatte mein neues Zimmer angeschaut. Ich zog in den zweiten Stock unter das Dach, im Erdgeschoss würden meine Großeltern wohnen, mit eigener Küche und ohne Treppen die sie steigen mussten. Im ersten Stock war eine zweite Möglichkeit eine Küche einzurichten, dort wollten meine Eltern noch eine zweite Küche bei Ikea erstellen lassen und oben einbauen. Ich legte mich auf meine Matratze und schloss mein Handy an den Strom an, mein Handy war inzwischen ein wichtiger Bestandteil in meinem Alltag geworden und meine Bildschirmzeit ging größtenteils auf die WhatsApp Gruppe. Sola hatte jedoch kein Wort mehr zu ihrem Text für die Seminararbeit verloren.

Zwei Tage später saß ich im Auto und starrte auf die Landschaft, die an uns vorbeizog, im Kofferraum unseres VW Tourans waren unsere Koffer und die Isomatten auf denen wir die letzte Nacht verbracht hatten. Meine Mutter sang bei den Liedern im Radio mit, während sie über die Autobahn fuhr und mein Vater starrte konzentriert auf sein Handy. Sola hatte es geschafft innerhalb der ersten drei Minuten einzuschlafen und lehnte selig an der Fensterscheibe auf der anderen Seite. Ich sah auf mein Handy und kramte dann doch ein Buch aus meinem Rucksack und fing an zu lesen, es war ein Fantasyroman, den ich mir vor längerer Zeit gekauft hatte. Irgendwann drehte sich mein Vater zu uns um, Sola war inzwischen auch wieder aufgewacht und hört Musik über ihre Kopfhörer. „Habt ihr Lust auf ein gutes Essengehen?" Ich hob meinen Blick von meinem Buch, so langsam bekam ich auch Hunger und nickte deswegen, Sola antwortete fast gleichzeitig mit: „Gerne ich hab Hunger." Meine Mutter verließ an der nächsten Ausfahrt die Autobahn und fuhr über die Landstraße in ein kleines Dorf und hielt bei der Kirche an einem Restaurant, das „Zur tanzenden Hexe", hieß.

Wenig später saßen wir mit Getränken und Essen in der Tanzenden Hexe und ließen es uns gut gehen. Zumindest bis Sola mir unter dem Tisch vor das Schienenbein trat und so meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie starrte die ganze Zeit zu einer Familie an einem Tisch ein paar Meter entfernt, zwei Frauen und drei Kinder waren dort um den Tisch versammelt. Die beiden Frauen waren recht offensichtlich die Eltern der Kinder, sie sahen sich schon sehr ähnlich. Es überraschte mich irgendwie eine Familie mit Homosexuellen Eltern zu sehen. Meinem Vater war die Familie jetzt auch aufgefallen und er starrte giftig zu ihnen hinüber: „Sowas sollte verboten sein." Meine Mutter legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm: „Die haben nichts mit uns zu tun Schatz, ignorier sie einfach." Sola sprang plötzlich von ihrem Platz auf und sah mich an: „Ich muss mal ganz kurz auf Toilette!"

Ich sprang ebenfalls auf und lief ihr hinterher auf die Damentoilette, in der zum Glück niemand außer uns war. „Was ist denn los", Sola zog mich in eine Kabine und setzte sich auf den Toilettendeckel: „Das wird schrecklich für dich mit unseren Eltern. Papa hat sich ja komplett aufgeregt über die Familie." Ich schloss die Toilettentür ab, als sich Stimmen der Tür näherten und lehnte mich dagegen: „Meintest du nicht sowieso schon, dass das hart wird mit unseren Eltern. Warum musstest du mich auch so offen darauf aufmerksam machen?" „Hab ich nicht, Papa müssen die so aufgefallen sein", verteidigte sich Sola und kratzte mit ihren Schuhen auf dem schlammigen Fliesenboden herum: „Die saßen ja auch nicht so weit weg." Sie verstummte als die Tür aufging und Füße über die Fliesen scharrten: „Ich überlege mir was, wie man dir besser helfen kann, trotz unserer Eltern. Lass wieder nach vorne gehen." Sie sprang vom Deckel und wartete bis ich die Tür wieder geöffnet hatte und folgte mir nach draußen

Am Abend lag ich in meinem neuen Zimmer auf dem Fußboden, mein Bett hatte noch niemand nach aufgebaut, geplant war das erst für Morgen nach einem Ikea Trip. In dem Haus hatte ich erstaunlicherweise ein eigenes Bad, das direkt mit meinem Zimmer verbunden war. Sola hingegen hatte dafür einen begehbaren Kleiderschrank für ihre Sachen bekommen und lagerte dort auch meine Sachen ein. Meine normalen Sachen lagen noch in meinem Koffer in einer Ecke des Zimmers und warteten auf meinen Kleiderschrank. Das neue Heim konnte ja was werden.


Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt