Kapitel 12 Würzig

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Ostersonntag, eigentlich ein Tag um ihn mit der Familie zu verbringen, heute Nacht waren die Glocken ein ziemlicher Störfaktor gewesen und hatten mich wachgehalten. Wach war ich trotzdem um Viertel nach sieben, als mein Vater die Treppe hinunterpolterte, er kündigte dann wohl den Tag an. Um zehn war der Ostergottesdienst zu dem meine Eltern uns mitschleppen wollten. Es regnete draußen als ich meinen Rollladen hochzog, das war ja ein tolles Wetter für den Ostersonntag. Ich zog ein Hemd und eine anständige Hose aus meinem Schrank, meine Eltern verlangten anständige Kleidung an den Feiertagen. Gerade als ich nach einer Krawatte in einem Schrank suchte, kam Sola in mein Zimmer geplatzt. Sie trug ein Rotes Winterkleid und hatte sich wieder leichten Lidschatten aufgetragen. Wir musterten uns gegenseitig: „Frohe Ostern", gab Sola schließlich von sich. „Frohe Ostern", gab ich zurück.

Es hatte aufgehört zu regnen als wir zur Kirche liefen, das Läuten der Glocken war schon seit einer Viertelstunde unüberhörbar. Wir bekamen am Eingang den Gottesdienst Zettel, „Familiengottesdienst zu Ostern 2017" stand vorne auf dem Blatt. Ich setzte mich neben Sola in die fünfte Reihe der Kirche, im Verhältnis zur Kirche in unserem alten Dorf war sie noch klein. Der Rest meiner Familie saß in der Reihe vor uns, mein Opa rappelte die ganze Zeit hin und her, er trug als einziger Mann der Truppe kein Jackett. Er hatte sich heftig dagegen gesträubt als wir versucht hatten ihn dazu zu überreden auch eines anzuziehen. Meine Mutter redete leise auf meinen Opa ein, in der Hoffnung ihn davon abhalten zu können weiter herumzuzappeln, als die Orgel anfing zu spielen.

Das Abendmahl wurde hier extra für die Kinder mit Traubensaft abgehalten auch für die Erwachsenen. Zu meiner eigenen Überraschung bat die junge Pastorin nach dem normalen Abendmahl die nicht konfirmierten Kinder und Jugendlichen nach vorne vor den Altar. Sie verteilte an uns ein kleines Stück Baguette und kleine Gläser mit Traubensaft. „Die Konfirmation ist das erste Abendmahl für Jugendliche nach der Taufe die Bestätigung des Glaubens", sie pausierte und starrte wissend in die Menge: „Heute ist allerdings der Tag der Wiederauferstehung von Jesus. Ein Tag wo sich die Menschen freuen und Dinge miteinander teilen sollen, so teilen wir auch heute Brot und Traubensaft mit den Kindern." Das Baguette schmeckte ein wenig würzig, nicht so trocken wie ich es sonst gewöhnt war, wenn wir Baguette zu Suppen hatten.

Nach dem Gottesdienst kam die Suche nach dem Ostereiern, die meine Eltern aufgrund des Wetters im Haus versteckt hatten. Bei einem Haus mit drei Stockwerken und dem Keller war das eine langwierige Angelegenheit, Sola und ich waren fast zwei Stunden damit beschäftigt alle Eier und zwei kleine Geschenke zu finden. Meine Eltern und Großeltern schauten uns zu und lachten darüber als Sola auf den Kamin kletterte, um hinter dem Rauchabzug zwei Eier herauszufischen. Mein Vater seinen 1,90 Metern kam locker von unten daran, aber da Sola und ich mit 1,63 und 1,65 fast dreißig Zentimetern weniger kamen da nicht dran. Meine Familie fand das höchst amüsant wie wir uns an höheren Stellen abmühten. Irgendwann ging meine Mutter dann doch schonmal das Mittagessen vorbereiten und überließ den anderen drei das Lachen.

Das Mittagessen bestand aus drei Gängen, einer Tomatensuppe mit Baguette, einem Schweinefleisch-Ananas-Auflauf mit Kroketten und einer Art Osterkuchen. Die Kochkünste meiner Mutter waren schon immer großartig gewesen und auch mal wieder perfekt gewürzt. Mein Opa saute sein Hemd beim Essen ein, was ihn mehr aufregte als den Rest von uns. „Das Essen schmeckt großartig Marie", lobte meine Oma: „Sola Schatz kannst du denn schon kochen oder dauert das noch?" Sola hatte gerade ein Stück Fleisch im Mund und nickte stattdessen: „Ja so ein paar Basics kann ich schon kochen." Meine Mutter lächelte und kratzte sich ein Stück Fleisch aus den Zähnen: „Sie macht das schon echt gut, das musst du dir mal anschauen, Mama."

Der Tag ging absolut ruhig zu Ende und am Abend wurden noch die Reste des Mittagessens gegessen, auch wenn nicht mehr viel bis auf den Kuchen. Ich war froh nach dem Abendessen nach oben zu kommen und endlich meinen Anzug loswerden zu dürfen. In Jeans und Pullover fühlte ich mich dann doch wesentlich wohler, der Pullover war mir ein wenig zu groß und beulte sich aus, was mir das Gefühl gab, dass er auch etwas verbergen konnte auch wenn ich nichts hatte. Ich trank einen Schluck aus meiner Wasserflasche, die neben meinem Bett stand und warf mich dann auf meine Matratze.

Am Dienstagmorgen wurde ich immerhin nicht von irgendjemandem geweckt, sondern wachte um halb zehn von selbst auf. Noch hatte ich Ferien und heute Abend auch noch Fußballtraining, meine Familie war dagegen beim Einwohnermeldeamt, um sich um die Reste der Ummeldung zu kümmern, was allerdings noch ein wenig dauern konnte, da sie offenbar gerade erst aufgebrochen waren. Fußballtraining war jeden Dienstag und Donnerstag, heute war das zweite Probetraining und weil Ostern gewesen war, hatte die Trainerin zum Pizzaessen eingeladen und mich gleich miteingeladen auch, wenn ich erst das zweite Mal dann da war.

Sola kam einfach um zehn zu mir hinüberspaziert und musterte mich von oben bis unten: „Lass mal rausgehen." Ich folgte ihr nach draußen und ein Stück in den Wald an ein paar Seen vorbei: „Warum wolltest du nach draußen?" Sola lief um einen See herum und wich den beiden Enten aus, die über den Weg liefen: „Geht darum, dass es ja noch ein Problem gibt." Der Wind fuhr unter ihre blonden Haare: „Eigentlich könntest du schon längst zu einem Psychologen gekonnt, der sich mit Transgender auskennt, damit du nicht durch die Pubertät musst." In mir zog sich etwas zusammen, in Bio hatten wir schon zweimal über die Entwicklung in der Pubertät gesprochen und jedes Mal war es für mich eine Qual gewesen über das was auch auf mich zukam zu sprechen. „Es gibt eine Art Pubertätsblocker", fuhr Sola fort: „Aber für alles bräuchte man die Erlaubnis der Eltern, da du ja noch minderjährig bist. Genauso wie für weibliche Hormone, die du ab 14 bekommen könntest, theoretisch zumindest."

Das Gespräch wurde nicht unbedingt besser mit der Zeit und als Sola und ich irgendwann wieder nach Hause kamen, waren meine Eltern wieder da. „Wir haben uns schon gewundert, wo ihr abgeblieben seid", meine Mutter umarmte uns nacheinander: „Spaziergänge sind eine gute Idee, das gibt den Kopf frei." Sie ließ wieder von uns ab und sah uns zu, wie wir Schuhe und Jacken auszogen: „Es gibt gleich Mittagessen, meine Mutter hat Pfannkuchen gemacht." Ein Lächeln stahl sich auf Solas und mein Gesicht, die Pfannkuchen unserer Oma schmeckten uns allen, nicht nur Sola und mir. Leider hatten wir in den letzten Jahren davon viel zu wenige gehabt, meine Großeltern waren sehr selten in den letzten Jahren zu uns nach Niedersachsen gekommen und wir ebenso wenig nach unten nach Stuttgart.


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